Die Ärzte, Halle Münsterland Münster, 11.09.2023

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Coldplay innerhalb weniger Minuten ausverkauft, Taylor Swift auch, Die Ärzte auch. Ja, die selbsternannte „Beste Band der Welt“ ziehen immer noch. Dabei reicht es sogar, die Tour keine zwei Wochen vor Start anzukündigen. Kurz darauf der Vorverkauf, sofort sind alle 24 Shows in den deutschsprachigen Ländern ausverkauft. Allerdings lässt sich das unverwechselbare Trio aus Berlin nie auf ein bestimmtes Tour-Konzept festlegen. So verkauft man 2022 einerseits die größten Stadien, dann parallel x-male kleine Clubs in Berlin und nun eben Hallen, die höchstens an der 6000-Marke kratzen. Was auch immer: Voll ist es ausnahmslos. Auch über 40 Jahre nach der Erstgründung und genau 30 nach der Reunion bleibt der Kult.

Trotz 24 Gigs halten Die Ärzte nur in 13 Städten. Vieles ist zweimal, Oberhausen zum Abschluss gleich dreimal dabei. Münster gehört zu den drei Ausnahmen, bei denen lediglich ein Termin ansteht, dafür aber auch eine der größten Locations bietet. Mit eben guten 6000 Zuschauer*innen ist die Halle Münsterland bis zum Rand mit Fans befüllt, wovon locker ein Drittel passende Shirts trägt. Die neusten zeigen drei Hunde mit kitschigen Blumen. Zum Verlieben. Der Weg für die achte Vorstellung der Herbst des Lebens-Tour ist also mit Wonne und Liebe gepflastert. Rührselig verabschieden wir gemeinsam mit Bela, Farin und Rod den Sommer 2023.

Um 20:02 Uhr beginnt die 160 Minuten lange Show, bei der 34 Songs zum besten gegeben werden. Und zwischendrin herrlich wirrer Quatsch geredet wird. Der Running-Gag: Die Stadt Münster selbst. Einerseits berichtet Bela, dass er hier mal Fahrerflucht begannen hätte, er habe nämlich ein Fahrrad geschrottet. Die Straftat sei aber nach rund drei Dekaden verjährt. Außerdem ist Münster mal Ostwestfalen, mal Osnabrück oder auch Bielefeld. Oder Münster in Berlin. Einige Bezeichnungen erzeugen Buh-Rufe, andere hallendes Gelächter im Publikum. Außerdem werden mit Elan Arme in die Luft geworfen. Komplizierte und herausfordernde La-Ola-Wellen sind selbstredend genauso am Start wie Zurufe von Buchstaben, die das Wort „AWO“ ergeben.

Dass man bei diesen Späßen mitmachen kann, liegt daran, dass man sie bei diesem Konzertbesuch auch endlich akustisch versteht. Man munkelt, dass wir 2022 im Kölner Stadion das Konzert erwischt haben, das den schlechtesten Sound aller Zeiten parat hielt. Danke, dass sich dieses Debakel nicht wiederholt. Auch wenn der Sound am Montag, dem 11.9., in Münster ebenso nicht super perfekt ist, ist er aber zumindest solide. Musikalisch spielen die Drei ihre Tracks meist routiniert, nur hier und da ist man mal nicht ganz synchron, aber das hält oft nur einige Takte an.

Eine Besonderheit eines jeden Die Ärzte-Konzerts: Eine feste Setlist gibt es nicht. Worauf man sich recht sicher verlassen kann, ist das Opening mit „Wer verliert, hat schon verloren“ und „Lied vom Scheitern“, dann gibt es einen wilden Ritt durch ein gutes Dutzend Alben, die Beendung des eigentlichen Sets mit „Unrockbar“ und ein kleines Best-of im Zugabenblock bestehend aus „Wie es geht“, „Junge“, „Deine Schuld“, „Schrei nach Liebe“ und „Himmelblau“. Alles andere ist Tageslaune. So bekommt man wie bei einem Ü-Ei mal die Figur und mal das Plastikspielzeug. Besondere Highlights des Münster Gigs sind „Revolution ’94 / Kopfüber in die Hölle“, das Tourpremiere feiert, aber noch viel mehr das Comeback des Bademeisters „Paul“ – der darf nämlich das erste Mal seit über zehn Jahren aufgrund eines Publikumswunsches wieder live erklingen. Das wird von der gesamten Crowd wirklich sehr lauthals begrüßt. Zu „Ich, am Strand“ werden Wellenbewegungen von über 6000 Menschen gemacht, was von oben hervorragend aussehen muss.

Auf der Bühne gibt es ein großes „Ä“ im Background und verspielte Lichter. Die Halle Münsterland ist mit Kronleuchtern an der Decke ausgestattet, sogar die leuchten passend auf. Schön sind geteilte Farben, wenn die linke Hälfte grün und die rechte pink erstrahlt und deren Scheinwerfer auch die Decken erreichen. Weitere Effekte bleiben, wie man es von der Band kennt, aus. In seinem Solo „Leben vor dem Tod“ steht Farin allein im Scheinwerferlicht, währenddessen der restliche Raum verdunkelt wird. Bela äußert sich in einer längeren Rede mit großer Abhaltung gegenüber der AfD, führt auch nochmal die Widersprüche von Alice Weidel an. Dementsprechend sind auch gleich mehrere Anti-Nazi-Lieder auf der Setlist, die gegenwärtig emotional nochmal ganz anders kicken.

Das Ding mit der Songauswahl. Darüber lässt sich wohl ewig diskutieren oder eben auch gar nicht. Wenn jeden Abend immer ein bisschen etwas anderes passiert, ist das für Hardcore-Fans Anlass genug, um gleich mehrmals Karten zu kaufen – unter der Voraussetzung, dass man sie bekommt – für Gelegenheitshörer*innen wird aber besonders das Hauptset manchmal ein wenig mühselig, in dem sich über weite Teile Albumtracks aneinanderreihen, die man eben nur kennt, wenn man die Band wirklich liebt. Von den großen Classics gibt es zumindest in den ersten zwei Stunden lediglich „1/2 Lovesong“, „Lied vom Scheitern“ und „Unrockbar“. Zum Ende folgt dann das Hit-auf-Hit-Feuerwerk. Man könnte nun anfangen, was alles fehlt – man kann als große*r Liebhaber*in umgekehrt aber natürlich auch davon schwärmen, was dabei war. Geschmackssache.

In wenigen Wochen wird Farin 60. Bela ist es bereits, Rod hat noch ein paar Jahre. Aktuell sieht es so aus, als ob das Ganze noch ewig so weitergeht. Ob vor wenigen Hundert oder vor über 60.000 Besucher*innen – „die beste Band der Welt aus Berlin“ streut buntes Herbstlaub in die Herzen. Und wer bei der nächsten Wahl tatsächlich das Kreuz für die vermeintliche „Alternative“ plant, soll lebenslänglich bei jedem Hören eines Die Ärzte-Songs vor Scham erröten.

Und so hört sich das an:

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Foto von Christopher

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