Die Ärzte, RheinEnergieSTADION Köln, 04.06.2022

40.000 Personen, die zu dem gleichen Konzert gehen. Das war schon vor Corona beeindruckend. 2022 sorgt es jedoch sowohl für einen etwas befremdlichen, unangenehmen, beengenden Moment als auch für Gänsehaut. Das Gefühl, endlich wieder Musik feiern zu dürfen, begeistert die Massen im Innenraum und auf den Rängen des RheinEnergieSTADIONs in Köln – gleichzeitig auch Die Ärzte, die auf der Bühne stehen und ihren Genuss in Worten verdeutlichen.

Doch bis zum Beginn des Hauptacts, der am 4.6.22, einem Samstagabend, dafür sorgt, dass in der Fußballsommerpause das Kölner-Stadion perfekt genutzt wird, müssen Fans der älteren wie jüngeren Generation und auch die, die mit mehreren Generationen gemeinsam angereist sind, einige Strapazen auf sich nehmen. Organisatorisch wird’s hier äußerst schwierig. Der Innenraum ist mit zwei Wellenbrechern in drei Teile unterteilt. Obwohl der zweite Bereich schon gerammelt voll ist, gibt es weiterhin Bändchen fürs Handgelenk, um in die jeweilige Zone zu kommen. Für diejenigen, denen Corona doch noch etwas Sorge macht oder die es lieber etwas luftiger mögen, ist somit der hintere Bereich der gesuchte. Der füllt sich zwar bis zur Show auch ordentlich, aber immer noch so angenehm, um zu den großen Klassikern ein wenig die Hüfte schwingen zu können oder einen Moshpit zu eröffnen, ohne andere ungefragt an den Rand zu drängen.

Allerdings ist der Weg dorthin eben mühselig. Maximal ein Viertel des Eingangsbereichs zum Innenraum wird genutzt, um die Leute zu schleusen. Ein anderes Viertel dient als Rückweg, wenn man doch noch mal das Örtliche aufsuchen mag. Die Mitte dazwischen? Frei, bis auf drei oder vier Personen mit „Security“-Shirts. Das führt dazu, dass selbst drei Stunden nach Einlassbeginn und somit zum Start des Hauptprogramms, immer noch nicht alle dort angekommen sind, wo sie eigentlich hinmöchten. Schwierig.

Wer es rechtzeitig auf sein Fleckchen geschafft hat, wird hingegen mit Adam Angst als Support belohnt. Die 2014 gegründete Band macht eigentlich gar nicht so groß andere Musik als Die Ärzte. Vielleicht etwas lauter, noch etwas linker und aggressiver. Das passt aber ziemlich gut so den politischen Zeiten, die herrschen. Gleich 50 Minuten dürfen sie spielen und sorgen dafür, dass die doch ziemlich ballernde Abendsonne bei fast 30 Grad erträglicher wird. Die Ärzte selbst sind große Fans der Truppe und betonen während ihres Auftritts nochmal, wie wichtig Haltung ist. Adam Angst-Frontmann Felix tut dies ebenso. Recht haben sie.

Politische Statements gibt es sogar auf Merch. Passend zum Pride Month findet man nicht nur Shirts in Regenbogenfarben zum Kauf, sondern sogar das Bier in knallbunten Bechern. Ein schönes Take Away. Auch das aufwändige und gleichzeitig auch einzige Bühnenelement zeigt alle Farben, nämlich Spots, die über der Band hängen. Über 50 Sechsecke, die beweglich nach vorne und hinten gefahren können und im Laufe der Show ein riesiges „Ä“ ergeben. Links und rechts zeigen Bildschirme in derselben Form die drei Künstler, um in dem Raum auch die hinterste Ecke abzuholen.

Die Lichttechnik hat ihre Hausaufgaben gemacht. Die Tontechnik hingegen hat gefühlt an 90 Prozent der Schultagen gefehlt. Schon bei Adam Angst macht der Sound Angst – wow, was ein Wortspiel – und bessert sich für Die Ärzte nur marginal. Ja, natürlich ist ein Stadionkonzert etwas anderes als eine Show in einem Opernhaus. Aber verdammt, ist der Sound scheiße. Fast durchgängig. Wer im Innenraum im letzten Drittel steht, darf sich darauf gefasst machen, dass er beim vollen Bandsound nichts versteht und lediglich mit einem völligen Brei zugeschüttet wird. Mikrofone entschieden zu leise, Instrumente untereinander nicht stimmig. Der Gesang ist nur in den Momenten klar, in denen er A-cappella funktioniert. Davon gibt’s bekanntlich bei Die Ärzte wenn nur ein paar Takte als Intro. Sogar in den Moderationen muss man sich erheblich konzentrieren, um Gags mitzukommen oder auch die Aufforderungen ans Publikum zu hören.

Und sie sind doch stets genauso ein Highlight wie das Mitgrölen der Lieblingsnummer. Die Ärzte machen La-Ola-Wellen, Zurufspiele, lassen alle Zuschauer*innen sich dämlich im Kreis drehen – Spaß kann man hier in den 155 Minuten Show auf jeden Fall haben. Nur wäre der Spaß locker doppelt so groß, wenn man die Musik auch vernünftig wahrnehmen dürfte. Denn – wir lehnen uns hier mal kurz aus dem Fenster – der Großteil ist wahrscheinlich wegen der Musik hier und nicht nur wegen drei Menschen, denen man beim Musizieren zuschauen kann.

Die Ärzte sind dank ihrer vier Dekaden andauernden Karriere schon ewig alte Hasen, Profis in dem, was sie tun, aber trotzdem immer noch locker, bodenständig und publikumsnah. Dass sie innerhalb weniger Minuten mehrere Shows dieser Größenordnung verkaufen können, ist unlängst klar und muss auch nicht mehr bewiesen werden. Trotzdem ist wahrscheinlich ein 40.000 Personen umfassendes Stadionkonzert nicht das stimmigste Konzept. Fürs Auge passiert Ärzte-typisch bis auf die tollen Lichter nämlich nahezu nichts. Das ist auch absolut ok, gibt es immerhin genug Artists, deren Fokus auf Showelemente liegt, aber durch die hohe Entfernung, die viele Fans bei dieser Venue in Kauf nehmen müssen und dem wirklich unterirdischen Sound, springt der Funke ganz besonders in der ersten Hälfte nicht über.

Seitens der Setlist ist hingegen fast alles richtig. Von den 37 Songs setzt sich gerade Mal knapp ein Fünftel aus Titeln der beiden letzten Alben „Hell“ und „Dunkel“ zusammen. Der Rest ist ein buntes Potpourri aus 15 LPs voller kreativer Ergüsse. Die Spitze stellt „Jazz ist anders“ dar, wovon es gleich sechs Lieder bis nach Köln geschafft haben. Höhepunkte der Eskalation sind „Unrockbar“, „Schunder-Song“, „Rebell“, das immer noch aktuelle „Schrei nach Liebe“, die Schlager-Mitsing-Schmonzette „Zu spät“ und „Junge“. Aber auch fast schon vergessene Charterfolge wie „Manchmal haben Frauen“, „Dinge von denen“, „Lied vom Scheitern“ und der Ohrwurm „Lasse redn“ sind Momente, auf die viele Fans lange warten mussten, wurde nämlich die große „In The Ä Tonight“-Tour erst von 2020 auf 2021 verlegt und schließlich gänzlich abgesagt. „Westerland“, „Männer sind Schweine“ und „Deine Schuld“ werden dennoch vermisst.

Ein wenig Quatsch ist aber natürlich vorprogrammiert. „Elektrobier“ wird auf den übertragenden Bildschirmen im 80er-New-Wave-Look gezeigt, das Wort „Doof“ erscheint beim gleichnamigen Titel an den Köpfen der Bandmitglieder und überhaupt ist einfach viel gute Laune und ein schönes, old-schooliges Konzertfeeling in der Luft, bei dem vergleichsweise wenig fotografiert und gefilmt und dafür eben mehr ausgerastet und geschwoft wird. Schade, dass ein Gig mit viel Potenzial und einer geballten Ladung an guten Songs deutscher Popkultur letztendlich an einer ziemlich miesen Location zerbarst.

Und so hört sich das an:

Website / Ticket-Shop

Bild von Christopher.

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8 Kommentare zu „Die Ärzte, RheinEnergieSTADION Köln, 04.06.2022“

  1. Der Artikel trifft es sehr schön. In der ersten Hälfte sprang der Funken nicht über, bei der Vorband erst recht nicht.
    Den miesen Sound schreibe ich allerdings vor allem der „miesen Location“ zu. Der Nachhall die Reflexion von den Rängen war grottig, vorne war es besser, aber immer noch ein derber Sound-Brei. Selbst die beiden Moderatoren am Anfang haben sich erschrocken.
    Und richtig, die Einlass- und vor allem die WC Situation war richtig ätzend. Ein paar Dixis und Urinale im Innenraum hätten die Sache deutlich besser gemacht. Achja: das Bier war (genau wie der Merch) derbe teuer, aber trotzdem lief es am Getränkestand nicht zügig. Schade.

  2. Männer sind Schweine spielen die Ärzte nie Live, sie distanzieren sich von dem Song, weil er zu gut beim Ballermann- und Oktoberfestpublikum ankommt. Deshalb wurde der Song von keinem Fan auch nur ansatzweise vermisst. Es war auch kein Popkonzert, sondern Punk. Es wird nicht geschwoft, sondern gepogt. Dauerwelle vs. Minipli war definitiv eine Überraschung und ein Highlight, genauso wie „du willst mich küssen. Nicht diese „längst vergessenen Charterfolge“.
    Kann das nächste mal bitte jemand einen Konzertbericht schreiben, der wirklich Ahnung von der Band hat? Danke!

  3. Halb 4 am Stadion gewesen. Völlig relaxt 1. Welle Bändchen bekommen. Am Eingang mit netten Menschen ohne Gedränge bis zum pünktlichen Einlass gewartet. In der 1. Welle viel mehr Platz als erwartet gehabt – Publikum super umsichtig, fröhlich, Freundlich, familiär.

    Der Sound war wirklich nicht gut, wobei das direkt vorn nicht so auffiel.

    Ich fand es geil wie immer – seit 1993 keine Tour verpasst.
    Adam Angst waren meeega! Da war der Sound allerdings noch mieser… tat der Stimmung keinen Abbruch! Also, 1. Welle war perfekte Ärzte Party!!!
    Und wenn ich nicht geträumt habe war „Deine Schuld“ dabei….

  4. Soundtechnisch und organisatorisch kann ich mich nicht beklagen. War um 16 Uhr am Stadion, hab mir mein erste Welle Bändchen geholt und dann noch zwei Stunden im restaurant was gegessen mit anderen Fans. Wir waren pünktlich zu Adam Angst drin und standen vorne ganz entspannt in der 7 Reihe mit genug Platz zum tanzen und wer in den pit wollte konnte dies auch ganz gemütlich. Das der Sound in dem Stadion nicht gut ist, ist leider nichts neues, davon hat man vorne aber nichts gemerkt, im Gegenteil, im Gegensatz zu anderen Konzerten auf denen ich war hat man jedes Wort verstanden. Wer nach drei Jahren Konzert Pause und bei einem Ausverkauften Stadion der besten Band der Welt glaubt wenn er um 18 Uhr kommt kriegt er ein Bändchen für die erste Welle und alles ist tutti, der ist selbst schuld. Die setlist war mega und ich verzichte gerne auf Radio Klassiker wie Westerland und Männer sind schweine wenn ich dafür Lady, Schundersong und Elektrobier kriege. Alles im allen eine rockige und friedliche Ärzte Party.

    1. Hey Michi,

      oh gut zu wissen! Danke für deinen Hinweis.
      Vielleicht liegt es also echt an der Location!?

      Schönes WE!

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