Es war im Januar 2016 als ein bitterjunger Herr gemeinsam mit seiner Live-Band die Bühne der riesigen Bamberger Brose Arena betrat. Eine gute halbe Stunde sollte dieser spezielle Musiker mit seinem modernen 80s-Gitarrenpop – ja, Kunst kann gleichzeitig modern und retro sein – als Voract der Chemnitzer Indie-Band Kraftklub auf das Hauptprogramm vorbereiten. Das Potential, das damals schon in diesem Typen schlummerte, ließ sich nur schwerlich übersehen, so ganz ausgefaltet schien sich das Können jedoch noch nicht zu haben. Zweieinhalb Jahre später hat sich vieles getan: Drangsal, wie das Projekt des jungen Herren, der auf den bürgerlichen Namen Max Gruber hört, heißt, durfte Lieblings-Emo-Rapper Casper mehrfach als Support begleiten, war sogar als Feature-Gast auf dem letzten Album des Extertalers vertreten und sorgt mit dem gemeinsamen „Mit Verachtung“-Podcast auch auf anderem Wege für Unterhaltung, veröffentlichte sein zweites Album „Zores“, das auf Platz zwölf der Charts stieg und darf nun auf einer fast restlos ausverkauften Tournee die kleinen Hallen des Landes bespielen. Ließ sich damals in Bamberg nur ein kleinerer Teil des Publikums von der einnehmenden Art des Musikers fesseln, so kann hier nun niemand mehr vor dem Bann eines Drangsals fliehen. Als vorletzte Show der Deutschland-, Schweiz- und Österreichrundreise stand am ersten Dezembersamstag nun das Monate im Voraus bis auf den letzten Platz ausverkaufte Gloria Theater in der Kölner Innenstadt auf dem Plan.
Wie schon damals im Norden Bayerns, hatte sich auch Gruber für sein Aufwärmprogramm einen spannenden Newcomer ausgesucht. „Pabst aus Berlin“ gehört für 30 Minuten die Bühne des Saals. Das Power-Trio hatte im vergangenen Juli sein Debütalbum „Chlorine“ auf den Markt geschmissen, von dem man nun Songs präsentiert. Diese treiben sich stets zwischen dem Sound, den Nirvana Mitte der Neunziger so populär gemacht hatten und dem nasalen Gesang der Gallagher-Gebrüder umher und wissen im Auftrittsverlauf immer mehr an Druck zu gewinnen, was sich wohl auch auf die zu Beginn sehr leise Abmischung der Gitarre begründet. Obwohl Sänger Erik Heise die Menge zum Tanzen auffordert, konzentriert man sich vor der Bühne eher aufs laute Applaudieren und heftige Abnickieren als darauf das Tanzbein im Takt zu schwingen. Pabst geben sich trotzdem dankbar – wer so abliefert hat sich zumindest den lauten Applaus redlich verdient.
Der riesige Sprung, den Max Gruber und sein Projekt innerhalb der letzten Jahre gemacht haben, zeigt sich bereits in der Umbaupause. Nach einigen Minuten betritt der Wahlberliner die Bühne des schicken Theaters, um sein Equipment eigenhändig auf den Auftritt vorzubereiten. Gleich verlieren sich die vorderen Reihen enthusiastisch in unangenehmem Gekreische. Zum Glück hält sich das später in Grenzen als Drangsal gemeinsam mit seiner vierköpfigen Band und der Huldigungshymne des eigenen Geschmacks – „Jedem Das Meine“ – in sein anderthalbstündiges Set aus „Rock und / oder Pop mit traurigen Texten“ einsteigt. Die Bühnenpräsenz Grubers, der stilecht in Puma-Joggingsanzug auftritt, steht vor allem zwischen den Songs klar im Vordergrund. Er erzählt von einer versauten Fanfiction, die unrealistische Erwartungen an sein Gemächt stellt, teasert „Hot In Here“ von Nelly an, nachdem er auf die steigenden Temperaturen im Raum aufmerksam gemacht hat, und spielt auf Wunsch eines Fans den Beginn von „Ich Leg Mein Geld In Käse An“ seiner Nebenband Die Mausis. Später tänzelt der hagere Sänger mit nacktem Oberkörper zu Klaus Lages „1000 und 1 Nacht“ über die Bühne, betatscht seinen Bassisten Sam Segarra unsittlich am Po und lässt in der Zugabe zu „Eine Geschichte“ hunderte Handys im Lichtermeer untergehen. Es macht den Eindruck, als könne der 25-jährige seiner Bühnenpersönlichkeit Drangsal mittlerweile bis auf’s Letzte ausleben.
Die fünf Menschen auf der Bühne beweisen jedoch nicht nur, dass sie für einzigartige Unterhaltung sorgen und erstklassige Entertainer abgeben, sondern auch an ihren Instrumenten abliefern können. So ufert das Intro von „Weiter Nicht“ in einen grandiosen Instrumental-Jam aus, bevor der Song selber noch einmal die letzten Kräfte im Moshpit mobilisiert. Auch ansonsten treibt es die Musiker immer wieder ins Jammen, sodass einige Übergänge und Stücke live deutlich länger als ihre Studioversionen ausfallen. Abseits hiervon sitzt ebenfalls jeder Handgriff und Ton.
Aus dem Hoffnungsträger, an den in der Vergangenheit hohe Erwartungen gestellt wurden, ist mittlerweile nämlich ein waschechter Künstler gewachsen, hinter dem eine eingespielte Band steht, die als Einheit agiert. Das tut dem Projekt als Ganzes nur gut – die Konzerte lassen Entertainment und musikalisches Können miteinander verfließen und wirken zugleich frisch und in ihren Wurzeln geerdet. Der zurückhaltende Herr von damals ist einem selbstbewussten Charakter gewichen, der zwar vom deutschen ESC-Komitee ignoriert worden war, für deutsche Pop-Kultur jedoch in Zukunft noch sehr viel bewegen kann. Mal schauen, wer sich als nächstes so prächtig entwickelt.
2019 setzt Drangsal die Tour zu “Zores” fort. Tickets für die Konzerte gibt es hier.*
Das Album „Zores“ kannst du dir hier kaufen.*
Und so hört sich das an:
Website / Facebook / Instagram
Drangsal live 2019:
08.03. – Dresden, Beatpol
09.03. – Berlin, Huxley’s Neue Welt (hochverlegt)
15.03. – Frankfurt, Zoom
16.03. – Stuttgart, Im Wizemann
21.03. – Kiel, Die Pumpe
22.03. – Dortmund, FZW
23.03. – Bremen, Lagerhaus
Foto von Jonas Horn.
* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.