Im Mai 2020 findet der Eurovision Song Contest in den Niederlanden statt. Das war das letzte Mal 1980 so und auch nur, weil Israel freiwillig darauf verzichtete, als Austragungsort herzuhalten. Gewonnen hat die Niederlande nämlich zuletzt vor 44 Jahren, also 1975. Zwischen 2005 und 2012 schafften unsere Nachbarn es nicht einmal, sich fürs Finale zu qualifizieren. Seitdem läuft vieles besser. Mit „Calm After The Storm“ hatten The Common Linnets 2014 einen bemerkenswerten 2. Platz erreicht – die Frontfrau Ilse DeLange hatte ein gutes Händchen im Songwriting. Dieses Jahr legte sie noch einen drauf und nahm Duncan Laurence unter ihre Fittiche, der nun der Grund ist, warum Rotterdam in weniger als einem halben Jahr in die nächste ESC-City verwandelt wird.
Mit „Arcade“ gab es dieses Mal einfach das Rundumpaket. Ein tiefberührender Text, eine unverbrauchte Melodie, die im Ohr bleibt und ein junger, talentierter, attraktiver Sänger am Klavier. Da brauchte es nicht mehr viel und der Sieg war in der Tasche. Zwar sahen weder die Zuschauer noch die Jury ihn als Favoriten – die Gesamtpunktzahl reichte aber dann doch. So wurde schließlich aus dem 25-jährigen Holländer, der in einem Kaff mit nicht mal 75.000 Einwohnern geboren wurde, der 5. ESC-Gewinner für die Niederlande und gleichzeitig der neue Megastar des Landes.
Ein halbes Jahr später ist kein Abbruch in Sicht. Duncans erste Single schaffte in seiner Heimat Vierfachplatin, der Nachfolger „Love Don’t Hate It“ steht seit gut einem Monat in den Startlöchern und zeigt, dass auch andere Facetten möglich sind. Und wo die sind, sind noch viele mehr, wie er nun auf seiner ersten Tour unter Beweis stellen möchte. Seit Anfang November wird durch Europa gereist und auch sechs Mal in deutschsprachigen Städten gehalten. Köln steht am 5.12. auf dem Plan.
Als Location dient das bereits seit Monaten ausverkaufte Luxor. Eine – das muss man leider wirklich so sagen – Horrorlocation. Der kleine, dunkle Club mit niedrigen Decken mag mit Sicherheit am Wochenende für gute Partys sorgen. Dass Konzerte hier stattfinden, ist aber absolut keine gute Idee. Die Bühne befindet sich am anderen Ende des Raumes, daneben die Toiletten. Vor der Stage drubbelt sich das Publikum, das teilweise gar nicht weiß, wohin. Hier eine Stufe, da eine Rampe, dort zig Leute, die sich zu den Klos durchkämpfen und mehrmals stolpern. Pünktlich um 20h zum Konzertbeginn droht der Laden schon fast zu platzen und man schaut in mehrere enttäuschte Gesichter, da ab der Hälfte der Reihen eigentlich kaum noch etwas zu sehen ist.
Sam Calver als Opening sorgt für eine erste, kurzweilige halbe Stunde mit angenehm komponiertem und hübschem Singer/Songwriter-Pop auf Gitarre. Die Emotionen sind also schon vor Duncan da, wenn auch musikalisch stark reduziert. Gefällt, geht nur in dem Chaos ein wenig unter.
Der Umbau geschieht schnell, sodass um 20:50h der Hauptact beginnen darf. Was erwartet einen auf einem Konzert von einem Künstler, der gerade zwei Singles veröffentlicht hat? Ein bunter Mix aus Eurovision-Coversongs am Klavier? Weit gefehlt. Allein schon die vierköpfige Band verspricht mehr Aufwand. Sphärische Effekte dringen durch das Luxor und hüllen mit lauten, tiefen Bässen ein. Der Sound ist leider nicht ganz optimal und häufig etwas übersteuert. Das knallt zwar gut, klingt aber auch nicht so sauber.
Die nächste große Überraschung: Duncan Laurence hat Fangirls. Und zwar richtige Fangirls. Fünf Teenie-Mädels stehen vor der Bühne in der 3. Reihe und schreien sich den gesamten Gig über die Seele aus dem Leib. Zusätzlich wurden Choreografien zu Songs einstudiert und Schilder gebastelt. Das wirkt auf einem Konzert von einem Eurovision-Künstler doch arg befremdlich. Das restliche Publikum ist bunt gemischt, aber doch mindestens zehn Jahre älter, einige vielleicht sogar 40 Jahre älter. So hält sich der andere Teil der Crowd doch eher bedacht und schaut häufig irritiert zu den Girls, die ebenfalls aus Holland angereist scheinen.
Duncan selbst hat ein interessantes Auftreten. Der etwas schüchterne Mann ist stylish in eine Lederjacke gekleidet und besitzt den Hang zum Hipster. Bei vielen Ansprachen muss er schlucken und ist davon sichtlich ergriffen, dass er auch im ausverkauften Köln viele zu begeistern vermag. Er redet von starkem Mobbing und seinem Ausbruch in der Musik. Er erwähnt mehrere Mentoren, die ihm den Weg geebnet haben. In der zweiten Hälfte tanzt er ausgiebig und kommt in kurzen Momenten voll aus sich heraus.
Gesanglich liefert der sympathische, aber etwas unnahbare Newcomer, der definitiv Potenzial zum Star hat, wirklich eine beachtliche Leistung. Technisch einwandfrei gleitet er durch sämtliche Tonlagen, als ob er noch nie etwas anderes getan hätte. Egal, wie anspruchsvoll – hier sitzt jeder Ton. Das sorgt für einige offenstehende Münder, Gänsehaut und Zwischenapplaus.
Die Setlist besteht aus einem dutzend Titeln und überrascht ebenfalls: kein einziger Coversong, ausschließlich eigene Lieder. Somit also auch zehn, die man nicht kennt, wenn man nicht bereits Konzerte von ihm besucht hat. Songs, die größtenteils gar nicht so einfach zu konsumieren sind. Viele verzichten auf Charttauglichkeit und gehen Wagnisse ein. Manche haben lange Instrumentalsoli, andere keinen klar erkennbaren Refrain. Irgendwo zwischen London Grammar und Alex Vargas pendelt sich die Musik ein und braucht definitiv die volle Aufmerksamkeit und am besten Kopfhörer. Deswegen gehen leider ein paar Titel im Gekreische der Fangirls und auch im viel zu heißen Clubgedränge unter.
Trotzdem wissen manche Songs auf Anhieb zu fesseln. „My Memory Hates Me“ mit seiner melancholischen Tristesse oder „Ice Age“ mit seinem Electro-Beat. Generell ist der Großteil äußerst elektronisch, verspielt und nochmal anders als „Arcade“ oder „Love Don’t Hate It“. Selbst der ESC-Gewinnertitel wird ein wenig im Arrangement angepasst, sodass „Arcade“ einerseits natürlich wesentlich länger geht als drei Minuten, andererseits aber auch dank Drumcomputer zusätzliche Nuancen bereithält. Mit „The Woods“ entlässt Duncan nach 70 Minuten das Publikum in die Nacht.
Es bleibt spannend! Duncan Laurence ist ohne Frage ein Künstler, den man im Auge behalten sollte. Anspruchsvoller Pop, der mehrere Anläufe braucht und beim nächsten Mal besser auf einem bestuhlten Konzert zu hören ist. Trotz unangenehmer Location bleibt ein guter Auftritt im Kopf und man darf auf das Debütalbum gespannt sein.
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Bild von Christopher.
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