Stoische Bässe, zwischen ausdruckslos und giftspuckend grätschender Gesang, eine düstere Atmosphäre: Das Geheimnis des Post-Punks entwickelte schon bei der Genre-Geburt einen unnachgiebigen Sog, der vor allem kühle Kellerräume verzaubern konnte. Kaum eine andere Spielart könnte den momentanen Zustand der Gesellschaft zwischen Armut, Rechtsruck und Entfremdung durch vermeintlich soziale Netzwerke so treffend untermalen wie die, die einst Joy Division und die Talking Heads entworfen haben. Nun ist das alte Genre treffenderweise wieder gefragter denn je, wie die Erfolge unzähliger Bands wie Idles, The Murder Capital oder Shame beweisen. Mit “Dogrel” konnten auch Fontaines D.C. ihren Beitrag zum großen Hype beisteuern – Das Konzept- und Debütalbum gilt vielerorts als eins der (Gitarren-)Alben des Jahres. Nur folgerichtig, dass das Quintett bei ihrer Köln-Show weit im Voraus “ausverkauft” melden darf.
Düsterer Massenwahn
Trotz ihres jungen Alters locken die Iren nicht nur ihre eigene Altersklasse an, sondern – vermutlich dem Sound geschuldet vor allem die Ü-40-Generation. Dementsprechend gemütlich gestaltet sich auch der Beginn des Konzerts, selbst bei der ebenfalls aus Irland stammenden Supportband The Altered Hours stehen sich die Fans noch nicht gegenseitig auf den Füßen. Für Begeisterung sorgen die zwischen irren Riffs, spannendem Doppelgesang und krachenden Eskapaden bei den meisten, auch wenn der Sound so gar nicht zu dem der Hauptband passen möchte. Wenn die schon beinahe absurd energetische Bühnenperformance der Sängerin Elaine auch vermuten lässt, dass auch gesanglich einiges passiert, machen die unglücklichen Soundeinstellungen es dann doch zu oft anstrengend, sich durch den wüsten Lärm zu kämpfen. Bei Fontaines D.C. wird dieses Problem zumindest ein wenig gelindert, Grian Chattans zermbürbenden Texte versteht man dennoch in den meisten Momenten kaum.
Oben Post, unten Punk
Aber wozu denn auch, als würden nicht ohnehin alle Anwesenden jeden Song im Schlaf singen können. Die Kantine gleicht ab den ersten Takten des Openers “Hurricane Laughter” einem Hexenkessel, der tosende Moshpit zu den mäandernden Zeilen “There is no connection available” hingegen einer lebendig gewordenen Gesellschaftskritik – ihr wollt die Menschen entzweien, wir halten zusammen. Nicht nur zu den offensichtlichen Hits wie “Sha Sha Sha” oder “Boys In The Better Land” gröhlen allesamt die Texte mit, denn “Dogrel” funktioniert auf ganzer Länge so gut, dass auch die ruhigeren Stücke von den meisten Anwesenden mitgesungen werden – und das im Streamingzeitalter! Dabei steigert sich das Energielevel von Song zu Song, über die bedrückende Bestandsaufnahme “Too Real” bis zum gigantischen Finale “Big”, dessen Versprechen Fontaines D.C. jetzt schon nachgekommen sind: “My Childhood was small, but I’m gonna be big”. Gänsehautmomente gibt es am laufenden Band, denn bei diesen Songs entsteht schnell das Gefühl, als müsste es sie doch eigentlich schon seit Jahrzehnten geben – den Klassikerstatus hätten sie zumindest verdient.
Aber was machen eigentlich die fünf Musiker, die für diese Ekstase verantwortlich sind? Frontmann Chattan stapft zunächst unruhig auf und ab, schüttelt dabei immer wieder manisch eine Hand. Drogen? Vielleicht. Angestaute Energie? Mit Sicherheit! Sobald die Musik dann einsetzt, sind die Iren ganz die Profis, insbesondere die Instrumentalisten spielen sich ziemlich unbeeindruckt durch ihr Set, gesprochen wird so gut wie gar nicht. Chattan heizt höchstens gestikulierend den Moshpit auf, fixiert sich aber ansonsten auf seine Texte. Beinahe kühl wirkt die Atmosphäre auf der Bühne und wären da nicht diese phänomenalen Songs, könnte man den Auftritt auch schlecht als langweilig bezeichnen. Doch Fontaines D.C. verkörpern den Post-Punk, wie er 2019 sein muss: Auf der Bühne werden die beißenden Thesen formuliert und in düstere Arrangements getaucht, damit die Massen diese aufsaugen und mit tausenden Kehlen verbreiten kann. Wie sonst könnte man die momentane Misslage intensiver inszenieren als hier?
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Beitragsbild von Julia.
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