Thrice und Refused eint nicht nur, dass die Bandmitglieder jeweils für einige Jahre getrennte Wege gingen. Viel wichtiger ist die richtungsweisende Bedeutung, die beide Gruppen für die Post-Hardcore-Szene der frühen 2000er-Jahre hatten. Das zeigt sich auch bereits an den Menschen, die über das ehemalige Fabrik–Gelände in Richtung Location – hier spielen heute beide Bands – schlendern. Der Großteil der anreisenden Fans scheint die mittlerweile lange zurückliegende Hochphasen beider Acts noch persönlich mitgenommen zu haben. Der Altersschnitt lässt das zumindest vermuten.
Die Breitseite der Politik
Bevor die alten Helden übernehmen, spazieren jedoch erstmal die Petrol Girls auf die Bühne des Carlswerk Victoria. Das ist heute deutlich besser gefüllt als noch vor einigen Wochen beim Touché Amoré–Deafheaven-Duo. Das Quartett spielt dreißig Minuten lang vertrackten Punk-Rock, der von der Menge gut aufgenommen wird. Wirbelwind Ren Aldridge nutzt die Pausen zwischen den Songs, um sich für Feminismus stark zumachen, das Konzept des sexuellen Konsens zu erläutern und auf die schreckliche Lage im nordsyrischen Rojava aufmerksam zu machen.
Ausufernde politische Ansagen hat auch Dennis Lyxzén im Gepäck. Der Refused-Frontmann verweist, wenn er nicht gerade wie besessen tanzt und dabei sein Mikrofon samt Kabel spielerisch um Hand, Kopf und Körper windet, gleich mehrfach auf die problematischen Seiten des liberalen Finanzkapitalismus. Der trägt für den 47-Jährigen die Schuld am Erstarken der neuen Rechten, zunehmenden sozialen Ungleichheiten und den Erhalt patriarchalischer Strukturen. Dass er zwischen all den coolen Moves und komplexen Gedankenspielchen außerdem nahezu jeden Ton trifft und sowohl Screams als auch Gesangspassagen sitzen, tritt dabei fast in den Hintergrund. Seine vier Mitstreiter liefern ebenfalls ab, verlieren sich mal in den chaotischen Ausbrüchen des Szene-Meilensteins „The Shape Of Punk To Come“, mal in dem rockigem Riffing der aktuellen Platte „War Music“.
Die andere Facette des Post-Hardcore
Thrice zeigen im Anschluss, dass Post-Hardcore auch fernab von Politik existieren kann – zumindest abseits der textlichen Ebene. Frontmann Dustin Kensrue und seine drei Kollegen halten sich mit Ansagen zurück und widmen sich 60 Minuten lang nur ihrer Musik. Für die scheint die Mehrheit der vielleicht 1300 anwesenden Menschen auch da zu sein. War die Stimmung bei den Schweden zuvor vor allem während der Klassiker ausgezeichnet, so ist die Menge nun sowohl bei Neuem als auch Altem textsicher und tanzfreudig. Thrice geben ihren Fans aber auch genug Futter und umrahmen die vielen alten Songs mit Opener und Closer des aktuellen Albums „Palms“. Dazwischen gibt es neben mittlerweile äußerst beliebten Stücken der Comeback-Platte auch fast zwei Handvoll Songs der Post-„The Illusion of Safety“-Zeit.
Dass die Amerikaner ihre Liebe für Details nicht nur in das Songwriting tragen, zeigt ein kurzer aber eindrucksvoller Moment während des Singalong-fähigen „Black Honey“. Auf die Zeile „I like all the pretty colours“ schneiden auf einmal bunte Lichtstrahlen in verschiedensten Farben durch die Halle. Das düstere „The Arsonist“ unterlegt man wiederum mit bedrohlich intensiven Rot-Tönen. Dieser Hang zur Ästhetik unterscheidet Thrice dann doch von ihren schwedischen Kollegen. Das zeigt wiederum wie vielschichtig und spannend Post-Hardcore klingen, auftreten und sein kann. Die Liste der Dinge, die Refused und Thrice eint ist deswegen vermutlich genauso lang wie die der Dinge, die sie unterscheidet. Gerade das macht dieses Paket so spannend.
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Und so hört sich das an:
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Refused und Thrice live 2019:
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