Es ist ein bisschen wie Nachhausekommen. Gerade für Menschen, bei denen regulär Konzerte, Musicals und andere Shows regelmäßig im Terminkalender erscheinen, ist es fast schon ein unwirkliches Gefühl, wieder zu einer der altbekannten Konzerthallen zu fahren, in denen man vor März 2020 so viele einschlägige Momente erleben durfte. Doch seit Anfang Juni wacht Dornröschen aus ihrem gefühlten Endlosschlaf wieder auf. Es gibt gerade Konzerte. Mit Zuschauer*innen. Wahnsinn.
Eins der Konzepte, die schon letztes Jahr zur ersten Corona-Hochzeit funktionierten, waren die Strandkorb-Open-Airs in Mönchengladbach. Mit dem nötigen Abstand hat hier nicht jede*r nur sein*ihr nötiges Plätzchen, sondern dazu auch noch eine Sitzmöglichkeit inklusive Überdachung. Strandkorb eben. Somit nur eine logische Konsequenz, das Ganze dieses 2021 so richtig aufzufahren – und das gleich deutschlandweit an 16 Ortschaften. Doch das Herz bleibt der Sparkassenpark, in dem über 40 Gigs in ziemlich genau zwei Monaten auf der Agenda stehen. Abfahrt!
Am 26.7., einem Montag, kehrt eine kühle Brise aus dem Norden in die Stadt im Rheinland ein. Jan Delay und seine elfköpfige Disko No.1-Crew sind ready, um mal ein bisschen Alarm zu machen. Der ist auch bitternötig, sind die Leute ausgehungert und wurden erst vor wenigen Wochen Mitte Mai mit dem neuen Longplayer „Earth, Wind & Feiern“ zwar in hüftschwingende Laune gebracht, aber hatten doch wenig Hoffnung darauf, auch live mit dem Herrn mit der unverkennbaren nasalen Stimme zu grooven.
Doch der Musikgott scheint es nicht anders zu wollen: Es darf gedancet werden. Zwar meint es das Wetter während des Einlasses nicht allzu gut mit der Crowd, doch pünktlich um 20:02 Uhr zum Beginn der Show, die ohne Vorband auskommt, ist die Regenwolke weitergezogen und zeigt sich in den kommenden 115 Minuten auch nur noch für wenige Augenblicke und dann eher zaghaft. Jan Delay zitiert sich passend dazu aus seinem aktuellen Albumeinstieg „Intro“ mehrfach selbst: „Lass uns die Wolken vertreiben, ich hab‘ Sonne dabei.“ Good boy.
Der Regen hört auf, die Meute startet. Man merkt, das Publikum hat Bock. Schon nach wenigen Takten steht sowohl der mit Strandkörben vollgeballerte Innenraum, in dem nur wenige der Zweisitzer unbesetzt bleiben, als auch die ebenfalls fast ausverkaufte Tribüne und guckt, ob die eingerosteten Hüftknochen nach dem Knacken noch können. Zum Thema „Ausverkauft“: Selbstverständlich bleiben sehr, sehr viele Plätze frei. Aber natürlich gewollt. Denn die „Corona-Schutzverordnung“ scheint hier kein Fremdwort zu sein. So werden Drinks und Snacks zwar leider nicht am Grillstand verkauft, sondern nur in abgespackter Form per Website geordert, aber besser als nix. Besonders löblich ist, dass auch beim Verlassen auf Abstände geachtet wird, sodass einzelne Plätze aufgerufen werden, die gehen dürfen. Nicht schlecht.
Doch back to Jan. Jan versaut es eigentlich nie und tut es an dem Abend auch nicht. Auf der zwölf Meter hochgebauten Bühne, die somit von jeder Ecke aus gut im Blick ist, hat der mittlerweile 45-jährige Hamburger zwar nicht so viel Auswahlmöglichkeit, nutzt diese aber famos. Seine Band im Rücken – bestehend aus zwei Keyboardern, einem Drummer, einem Bassisten, einem Gitarristen, drei Bläsern, die auch Percussions zocken und drei Background-Ladies – klaut natürlich ordentlich Fläche, doch Eizi Eiz springt, hüpft, tanzt, shaket und groovet sich mit ordentlich Energie durch das fast zweistündige Programm. Ganz nebenbei schwitzt er sein Shirt bis zum Ende fast komplett voll. Körpereinsatz! So muss das. Congas spielt er übrigens auch an mehreren Stellen.
Jan Delay ist klar, dass die Leute einerseits aus der Übung und andererseits ultra auf Entzug sind. Dementsprechend viel Interaktion ist eingeplant. Neben extrem witzigen Tanzschritten, die das Publikum mitmachen darf, ohne sich unangenehm in die Quere zu kommen, gibt es lauter Mitsing- und Mitwinkmomente. Gequatscht wird insgesamt vielleicht zehn Minuten. Davon sind gefühlt ein Drittel Gags auf Kosten von Helge Schneider, der zwei Tage zuvor einen Strandkorb-Gig mittendrin frühzeitig beendet hat, weil ihm das Konzept doch nicht so gefiel. Bei den ersten zwei Malen ist Jans Nachmache noch arg witzig, wird dann aber nach der fünften Wiederholung doch ein wenig redundant.
Stattdessen ist die Setlist umso kurzweiliger, die eigentlich nur Hits bereithält. Die 20 Tracks setzen sich aus acht Titeln der neuen Platte plus zwölf Songs zusammen, bei denen quasi nichts fehlt. Ob kultige Coverversionen wie „Türlich, Türlich“ und „Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann“, große Hymnen wie „St. Pauli“ oder „Disko“ und nicht zuletzt den Chartbangern „Klar“, „Oh Jonny“ und „Feuer“ – hat er alle mit am Start. Ziemlich cool: Unzählige Songs werden durch Samples großer Classics aufgelockert. So darf man zwischendrin zu den Beats und Melodien von Missy Elliott, Dr. Dre, Eminem, MC Hammer oder Michael Jackson dancen, was einfach ordentlich Spaß macht. Von den neuen Liedern gehen „Spaß“ und „Eule“ besonders gut.
Bühnentechnisch ist – wie bereits erwähnt – nicht allzu viel möglich, sodass neben synchronen Tanzeinlagen zwischen Jan, Background und Band nur ein paar Lichteffekte und zwei große Leinwände zur Übertragung der Show zu sehen sind. Macht jedoch nicht viel, da der sympathische Typ mit der Sonnenbrille und dem schicken Hut zusätzlich zu Konzertfeeling und Gute-Laune-Musik auch gleich ein wenig Discoatmosphäre zaubert, die man ja immerhin auch schon lange nicht mehr hatte. Übrigens alles im ziemlich gut gemischten und sehr verständlichen Sound, bei dem gerade die Brass-Section total glänzt.
Ohne Zweifel: Das hat man wirklich vermisst. Selbst für Nicht-Jan–Delay-Fans sollte das eine Show gewesen sein, bei der man sich sehr leicht von dem Hip-Hop-Funk-Soul-Reggae-Mix anstecken lassen konnte – und für die Anhänger*innen war’s, wie er eben im „Intro“ versprach, Summerfeeling pur. Ob mit oder ohne Regen am Himmel. Delay kündigte des Weiteren seine im kommenden März geplante Tour an, die wieder indoor sein darf. Möge er auch damit Recht haben. Daumen sind gedrückt.
Und so hört sich das an:
Website / Facebook / Instagram / Twitter
Foto von Christopher Filipecki.
* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.
Schöner Bericht, danke – konnte leider nicht dabeisein.
Hallo! Oh, das ist schade. Du hast echt was verpasst! Aber vielleicht ja beim nächsten Mal?! VLG Christopher