Ein altes Sprichwort besagt: „Schuster, bleib bei deinem Leisten“. Ein Motto, das sich viele nicht zu Herzen nehmen. Grade in der Kunst denkt jeder, dass er alles kann und alles auch unbedingt mal machen muss. Man hat ja so viele Ideen im Kopf, die wollen raus. Ob das vonnöten ist, ist quasi latte. Die Anhängerschaft wird’s schon fressen. Doch Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Manche treten aus ihrer Comfortzone und sind plötzlich in einer ganz anderen Form der Künste besser als in der vorigen. Oder sie wagen ein Crossover aus beiden Bereichen. In dieser Königsdisziplin übt sich Jason Bartsch und meistert diesen Versuch leichtfüßig.
Viele kennen den 25-jährigen Wahl-Bochumer von diversen Poetry-Slam-Stages, die er seit knapp acht Jahren sein Zuhause nennt. Egal, ob als Teilnehmer an Wettbewerben, als ausführender Moderator und Organisator oder als Mitglied von regelmäßig stattfindenden Lesebühnen – Jason ist überall und dazu noch ziemlich erfolgreich. Warum es sich nicht in der Literatur bequem machen, sich ausbreiten und weiterwachsen? Weil man eben auch die Musik liebt und schon parallel zu den ersten Poetry-Erfolgen auch in einer Dortmunder Punkband unterwegs war. Demnach macht Jason nun einfach beides gleichzeitig.
Seit wenigen Wochen steht das zweite Album mit dem herrlich kantigen Namen Eine Idee für das Klappen aller Dinge in den Regalen und dient als Basis für die parallel laufende Tour durch deutsche Nationen. 25x wird gehalten und gezockt, unter anderem am 29.01., einem Mittwoch, in der Zeche Carl in Essen. Einer Ortschaft, die Bartsch sehr schätzt, wie er im Laufe des Abends verrät, da sie vielen großen und kleinen Kollegen eine Bühne bereits geboten hat und somit eine Art Knotenpunkt darstellt.
Um kurz nach Acht darf eine seiner geschätzten Freundinnen zwanzig Minuten das Publikum für sich beanspruchen. Aylin Celik, ebenfalls kein unbekannter Name in der Slammer-Region NRWs, macht auch Musik, hat gerade ihre EP veröffentlicht und präsentiert zwar soundtechnisch ein komplett anderes Klangbild als der Hauptact, aber keinesfalls ein schlechtes. Sie spielt ihre Playbacks selbst vom Laptop ab, die alle aus modernen, elektronischen, atmosphärischen Beats mit dröhnendem Bass bestehen. Ein wenig Trap, ein wenig Hip-Hop und trotzdem poppig genug. Das klingt spannend, kommt cool und lässig rüber und darf gerne weiterverfolgt werden.
Mit weniger als 15 Minuten Umbau ist die Pause zwischen den Künstlern kurz und knackig. Um 20:35 Uhr gibt es dann den in Solingen geborenen, leicht nerdigen Herrn, der 100 Minuten unterhält und das so gut macht, dass man es direkt nach der Show gerne nochmal sehen würde.
Nahezu alle Titel aus seinem neuen bereits genannten und seinem 2017 erschienenen Album „4478 Bochum“ hat Jason im Gepäck. Obendrauf seine zwei Bandmember Malte Weber an den Drums und Gabor Bodolay am Bass. Jason selbst zockt abwechselnd Synthesizer und an zwei Gitarren und unterstreicht sein Staging durch funky Dancemoves und überzogener, aber effektiver Gestik. Sein stärkstes Utensil bleibt aber das Mikrofon.
Das wird genutzt, um Tiergeräusche nachzuahmen, in Lagerfeuer-Manier zu singen, auf ziemlich hohem Niveau zu rappen, mit dem Publikum zu plauschen, äußerst witzig zu moderieren, schlagartig zu reagieren und sogar einen Poetry-Text vorzutragen. Das Erschreckende: er macht alles davon gleich gut. Man sucht nach Schwächen und Pannen, findet sie aber nur schwer.
Allein die Schlagfertigkeit, die er im Umgang mit den Zuschauern nutzt, ist so gekonnt und erfahren (hey, der Typ ist seit zig Jahren Slammer), dass man pausenlos ein Lächeln auf den Lippen hat, wenn man denn im Tempo mitkommt. Das ist so stark angezogen, dass man sich gern dabei ertappt, über einen Witz von vor zehn Sekunden zu lachen, dies dann zehn Sekunden anhält und man in den 20 Sekunden bereits zwei weitere Gags verpasst hat. Auf die Frage, wer heut Geburtstag hat, meldet sich zwar keiner, dafür hatte Diane in der vergangenen Woche ihren Ehrentag. Was sie denn an ihrem Geburtstag getan habe, beantwortet sie mit „Einem Besuch in der Philharmonie“. Eine Steilvorlage, um diese fortan in der Show mehrmals unterzubringen. Genauso wie den alkoholisierten und völlig in Ekstase tanzenden Herrn in der ersten Reihe. Die bleibt bis auf ihn sogar frei, sodass zwischen Bühne und den ersten Besuchern gut ein Meter Platz ist. Ja, auch das wird äußerst humorvoll kommentiert.
Und dennoch ist die aktuelle Tour keinesfalls eine Comedyshow. Obwohl die Zeit, in der nicht gelacht wird, einen minimalen Anteil ausmacht, ist in erster Linie Musik. Musik, die old-schoolig wirkt, wenig auf elektronische Spielereien ausgerichtet ist, sondern eher nach klassischem Indie-Pop klingt, gleichzeitig auf Singer/Songwriter trifft und auch vor Rock und Hip-Hop nicht zurückschreckt und eben auch auf Gesangsebene völlig klargeht. Lauscht man dann noch den Lyrics, bekommt man scharfsinnige Beobachtungen aus dem Alltag, Ruhrpott-Romantik, Kritik gegen politische Strömungen oder untypische Liebesbekundungen. Gut gereimt mit Verssprüngen. Quasi eine Kombination aus AnnenMayKantereit, Jupiter Jones und Tomte im Instrumental, auf Textebene hingegen Christian Steiffen und Helge Schneider. Das ist gleichzeitig so irre wie genial.
Highlights folgen am laufenden Band. Der Opener „4478 Bochum“ steht für Heimatliebe und Raps in Doubletime, „Wütende RentnerInnen“ ist ein böser Ohrwurm mit Wortspielereien, der in jedem alternativen Club zu laufen hat, „Sören“ und „Marie“ verblüffende Einzelschicksale, „Hundelied“ und „Katzenlied“ sind genau das, was sie scheinen zu sein und „Aber dann“ ist ungewohnt ernst, melancholisch, traurig und behandelt zu wenig ernst genommene Depressionen. Selbstverständlich gibt’s auch den kleinen Insider-Hit „Son of Anarchy“. Wem das Alles noch nicht genügt, darf im letzten Drittel dem Text „Fünfe grade sein lassen“ lauschen, der gewaltig nachwirkt.
Wir wiederholen uns. Eigentlich findet man an dem Auftritt von Jason Bartsch in Essen nichts zu meckern. Deswegen machen wir das jetzt auch nicht. Gute anderthalb Stunden kluge, kreative, alternative deutschsprachige Musik, die sich einerseits retro anhört und andererseits mit Gegenwartspoetik verfeinert wird, vorgetragen von einem talentierten Mann, der in seinem Nicht-extra-cool-sein-Wollen so cool ist wie aktuell kaum jemand anderes.
Und so hört sich das an:
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Bild von Christopher.
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