Lewis Capaldi, Palladium Köln, 04.02.2020

Ed Sheeran macht eine Pause auf unbestimmte Zeit. Für Millionen von Fans eine ernüchternde Nachricht. Zwar gab es mit seinem Collaborations-Album aus dem vergangenen Jahr nochmal ordentlich Material für sein wahrscheinlich jüngstes Publikum, den Großteil ließ der Sound aber wohl enttäuscht zurück. Doch zum Glück steht bereits ein weiterer Sänger aus UK in den Startlöchern, der dem Rotschopf nacheifern mag: Lewis Capaldi hat vor fast vier Jahren seine erste Single veröffentlicht und seitdem ganz schön abgesahnt.

Mit „Bruises“ fing es im Mai 2016 an, aktuell ist „Before You Go“. Insgesamt gab es eine gute Hand voll Singles, die alle die Top 10 in Großbritannien stürmten, und das bereits mit Doppelplatin ausgestattete Debütalbum Divinely Uninspired To A Hellish Extent (lest HIER nochmal unsere Kritik zum Album). Bisheriger Karrierehöhepunkt ist aber ohne Diskussion „Someone You Loved“. Fast sechs Millionen verkaufte Einheiten weltweit und nahezu in allen relevanten Jahrescharts eine Top 10-Platzierung – und das eben in unzähligen Ländern. Obendrauf eine Grammy-Nominierung. Kann man machen. Hat Ed Sheeran im vergangenen Jahr nicht geschafft.

Lewis war bereits mehrmals in Deutschland zu sehen, u.a. als Support bei Sam Smith in Köln. Dort beginnt nun auch seine Europatour, lässt man mal das Vereinigte Königreich außenvor. Das Palladium ist seit Monaten ausverkauft. Ursprünglich war der Auftritt auch einige Zeit früher geplant, musste jedoch krankheitsbedingt abgesagt werden. 4000 Besucher wollen den 23-jährigen Schotten sehen.

Vorher darf man sich aber eine halbe Stunde mit Fatherson beschäftigen. Die ebenfalls schottische Alternative Rock-Band schlägt eindeutig lautere Töne an als der Hauptact. Wenige Sekunden vor 20h geht das Licht aus und das Trio spielt 30 Minuten einige Titel aus der bereits zehn Jahre andauernden Bandzeit. Kann man sich anhören, gibt aber doch relativ wenig neuen Input.

Genauso pünktlich beginnt das eigentliche Programm. Mindestens dreiviertel der Zuschauer sind weiblich und größtenteils recht jung. Ein klein wenig Teeniealarm ist also kostenlos mit dabei. Dementsprechend laut wird zum Beginn gekreischt, wenn der besonders optisch eher untypische Star auftritt. Auch heute wird dabei keine Ausnahme gemacht: rosafarbener Hoodie, darüber eine Art Regenjacke, zottelige Haare. Wer Lewis Capaldi sieht, kommt nicht so schnell darauf, dass das tatsächlich der Herr mit der doch recht eigenwilligen Stimmfarbe und der zu beachtenden Range ist.

Für das Palladium ist der Bühnenaufbau ziemlich aufwendig. Große Leinwand mit abwechslungsreichen Farbspielen, Songtexten, Aufnahmen aus dem Publikum und Freezing Momenten des Sängers. Daneben zwei große Wände mit knapp 20 Spots. Auf der Bühne leicht erhobene Podeste, auf denen die vierköpfige Band Platz nimmt, die ebenfalls beleuchtet sind. Ja, hier wird ordentlich aufgefahren, um den Antihelden des gegenwärtigen Singer/Songwriter-Pops in tollem Licht erscheinen zu lassen, was auch super funktioniert. Selbst bei der Abmischung, die in der Halle gerne mal daneben geht, läuft heut alles glatt.

Der Einstieg klappt vorzüglich. Gesang und Klang der Musiker sind so gut abgestimmt, dass kurzzeitig der Eindruck entsteht, man höre Playback. Ein Wow-Effekt beim Zuschauer ist nicht unüblich – Lewis klingt wirklich 1:1 wie in den Studioaufnahmen und kann, dank wenig elektronischen Spielereien und eher klassisch-musikalischen Elementen, alles genau so reproduzieren. Neben dem Mikrofon greift er bei vielen Titeln zu unterschiedlichen Gitarren.

80 Minuten Spielzeit gehen auf Capaldis Kappe. Generell für einen Artist mit nur einem Album nicht wenig, allerdings gibt es hier doch einige Abzüge: von den 80 Minuten sind mindestens 15 Minuten ziemlich verwirrender, improvisierter Smalltalk mit schottischem Akzent. Lewis ist in Redelaune. Wer seinem Instagram-Profil folgt, weiß, dass der Sänger sich selbst wenig ernst nimmt, äußerst humorvoll und derbe in der Wortwahl unterwegs ist. Genau diese unterhaltende Art bringt er auch auf die Bühne mit, übertreibt es aber doch ganz schön. Das Wort „Fuck“ wird inflationär und fast im dreistelligen Bereich genutzt, er scherzt von seiner verlorenen Jungfräulichkeit, da er erstmalig ein eigenes Bühnenbild besitzt, nimmt Fangeschenke entgegen. Das ist zwar authentisch und auch sympathisch, aber auch ganz schön konträr zur Musik.

Die entfacht in den besten Momenten wohlige Schauer und kuschelt das Herz. Leider ist mit Intimität trotzdem nicht viel. Immerhin wird man im Raum durch zig filmende Handys und wenig Platz beim Loslassen von Gefühlen gestört. Das ist äußerst schade, stehen seine Songs doch gerade für verletzliche Situationen und traurige Erkenntnisse. Trotz gutem Klang und starker Stimme bleibt die Emotion teilweise auf der Spur. Vieles ist doch eher professionell und runtergespielt als für den Moment.

Zusätzlich mogelt Herr Capaldi ganz schön. Viele seiner Lieder sind äußerst hoch gesetzt, schwer nachzusingen und erwecken bei den kratzigen und druckvollen Stellen Gänsehaut. Die meisten davon singt er allerdings nicht. Stattdessen ist dann das Publikum dran oder es werden einfachere Phrasierungen gewählt. Der Hit „Someone You Loved“ als Zugabe (seht HIER einen kleinen Ausschnitt auf unserem Instagram-Kanal) ist nicht in Originaltonart, sondern der Leichtigkeit wegen tiefer gemacht. Ja, lieber live und tiefer als Playback und zu hoch, aber bei einem noch recht frischen Song sollte der Originalinterpret schon dazu fähig sein, sein Lied so auch singen zu können. Immerhin macht es die Tatsache, dass es nicht jeder mittelprächtige Karaoke-Star nachmachen kann, so besonders. Da waren die Erwartungen doch ein wenig höher.

Trotzdem gibt es ungefähr ein Dutzend gut komponierte Popsongs, die mal mehr, mal weniger Charttauglichkeit beweisen, insgesamt aber alle stimmig und passend wirken. Leider fehlen ein paar seiner Titel, obwohl er bisher nicht so viele vorweisen kann, gänzlich. „Tough“, „Mercy“ und „Lost On You“ lassen auch nach dem Konzert auf sich warten. Große Highlights sind dafür das schwungvolle „Hollywood“, der erste virale Hit „Bruises“, das traurige „One“ und die aktuelle UK-Nr. 1 „Before You Go“, die mit mehrminütigen Fangesängen ergänzt wird.

Butter bei die Fische: der neue Ed Sheeran ist er nicht. Da fehlt es doch noch an einigen Stellen. Aber Lewis Capaldi hat bestimmt noch einige weitere Schmankerl parat, die seiner guten, wenn auch nicht perfekten Liveperformance schmeicheln und den neuen Liebling im Singer/Songwriter-Genre weiter aufsteigen lassen.

Und so hört sich das an:

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Bild von Christopher.

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