Mika, Kunst!Rasen Bonn, 29.07.2024

mika auf dem kunstrasen in bonn während pyroeffekten

Wie zufrieden man am Ende mit einem Konzert ist, hängt von zig Faktoren ab. Sound, Publikum, Location, Motivation der Künstler*innen, Begleitung. Ein Stück weit sogar von der eigenen Laune. Aber ganz ehrlich: Kann man nach dem Mika-Gig in Bonn überhaupt irgendwie schlecht gelaunt oder enttäuscht nach Hause? We doubt it.

Mika. Das ist schon eine Weile her. Deswegen kurze Auffrischung: Der im Libanon geborene Michael Holbrook Penniman hat eine libanesische Mama und einen amerikanischen Papa. Schon als Kleinkind geht es für die Familie schnell über Paris nach London. Mit elf Jahren spielt der talentierte Junge in einer Oper im Royal Opera House mit, mit 19 geht’s ab ans Royal College of Music und mit 23 schließlich in die Charts. Bereits die erste Single „Relax, Take It Easy“ wird 2006 zum Radiohit in der Heimat und kurz darauf europaweit. Auch der Nachfolger „Grace Kelly“ – bei uns übrigens in umgekehrter Reihenfolge erschienen – geht in alle Gehörgänge. Es regnet nur so voller positiver Kritiken, das Debütalbum „Life in Cartoon Motion“ wird mehrfach mit Platin ausgezeichnet und verkauft sich über vier Millionen Mal. Der heiß ersehnte Nachfolger „The Boy Who Knew Too Much“ bleibt allerdings ein wenig hinter den Erwartungen zurück – und ab dem dritten Album „The Origin of Love“ sinkt das Interesse kontinuierlich.

Zumindest bei uns. Sowohl in Frankreich, aber noch mehr in Italien gehört Mika weiterhin zu den absoluten Megastars, war in TV-Shows wie „X-Factor“ und „The Voice“ als Juror geladen und durfte sogar 2022 den Eurovision Song Contest in Turin mitmoderieren. Mika nimmt sogar ein ganzes Album auf Französisch auf. Allerdings scheint er für das deutsche Publikum schnell auserzählt zu sein, was man einerseits an den Verkäufen, andererseits aber auch schlussfolgernd an den Auftritten des fast 41-jährigen Künstlers erkennt: Spielte man anfangs in NRW zweimal in der Philipshalle in Düsseldorf – heute die Mitsubishi – gab es auf der letzten Tour nur noch die Kantine in Köln, und das war 2012. Seitdem warten die Fans im bevölkerungsstärksten Bundesland und auch im restlichen Deutschland auf eine Rückkehr.

Doch 2024 ist eine gute Zeit, um Verkaufszahlen ein wenig zu ignorieren und einfach auf ein treues Publikum von Damals zu setzen. Die 00er sind zurück und gelten als Retro, Mika war es ja mit seinem Stil damals schon. Wenn also nicht jetzt, wann dann? Lief die Comebackshow im April in Berlin schon ordentlich, geht es im Sommer nun noch auf zwei Open-Air-Bühnen. Erst auf den Kunst!Rasen nach Bonn, um doch noch mal NRW Hi zu sagen, und wenige Tage danach ins Schloss Schwetzingen. Hätte man so wohl vorher auch nicht erraten.

Der Kunst!Rasen ist seit einigen Jahren eine echt gute Adresse für Acts, die man ansonsten eher selten zu Gesicht bekommt. Gar nicht mal so selten finden hier sogar exklusive NRW-Gigs statt. Auch 2024 ist das Line-Up wieder wild, aber dadurch auch spannend. Kommt man am Montag, dem 29.7., auf das große Wiesengelände, wird die Vorfreude arg gedrosselt: Nicht einmal der Front-of-Stage-Bereich ist ausverkauft, und der kostet nur 10 Euro mehr als die normale Stehkarte und ist oftmals nach kurzer Zeit vergriffen. Doch nix. Eigentlich ist hier Platz für 10.000 Besucher*innen, geschätzt dürften hier aber allerhöchstens 1500 stehen. Hart.

Bereits um 19 Uhr spielt Jaimi Faulkner ein richtig nettes Vorprogramm. Der Australier, der aber schon viele Jahre in Deutschland lebt, spielt schön beschwingten und gut gelaunten Singer/Songwriter-Pop, der nicht die Welt verändert, aber auf jeden Fall angenehm ins Ohr geht. Dabei kommuniziert er viel mit dem Publikum und macht seine 35 Minuten zu einem sympathischen Opening, wie man es an einem Sommerabend gut gebrauchen kann.

Mit gerade einmal drei Minuten Verspätung geht es für Mika um kurz nach 20 Uhr los. Allerspätestens jetzt wird man an zwei Mankos des Kunst!Rasen erinnert. Das erste ist die Uhrzeit, schließlich ist 20 Uhr für ein Open-Air-Konzert ganz schön früh und somit auch ganz schön hell. Wesentlich problematischer ist aber die Tatsache, dass die Musik hier nicht so laut aufgedreht werden darf, was einfach ein Stück Spaß nimmt. Es muss ja nicht direkt in den Ohren wehtun, wenn man sich aber noch in normaler Lautstärke unterhalten kann oder ein normales Mitsingen vom Umfeld lauter wahrgenommen wird als der Act selbst, ist das eindeutig zu leise.

Wenig Menschen, nicht wirklich laute Musik – ein Trauerspiel? Glücklicherweise kommt aus den Boxen nach einigen Minuten doch etwas mehr, sodass die Songs gut abgenommen und gepegelt, aber auch akzeptabel laut daherkommen – das Problem mit dem Mini-Publikum wird aber nach einem, spätestens zwei Tracks von Mika so wegentertaint, dass es komplett egal ist, ob da nun 1000, 10.000 oder auch nur 10 Fans vor ihm stehen. Mit einem unerschütterlichen Elan und einer völlig übersprudelnden Lebensfreude wird der 100-minütige Auftritt schnell zu einem richtigen Highlight im Konzertejahr 2024.

Mikas Musik klingt wie ein Bonbonladen. In der Show wird sie aber dank guter vierköpfiger Band in Standardbesetzung Bass, Drums, Keys und Guitarre, ziemlich irren Comic-Visuals und einem schlichtweg hervorragenden Frontmann zum wahr gewordenen Schlaraffenland. Die Stärke der Show ist zweifelsfrei der Spaß. Jede einzelne Minute macht einfach unglaublich viel Fun. Man bekommt gar nicht mehr das Grinsen aus dem Gesicht, weil Mika entweder sehr extravagant tanzt und springt oder dramatisch und stimmakrobatisch singt oder wie ein erfahrener Comedy-Act moderiert. Das ist ursympathisch, immer on point und dennoch wahnsinnig authentisch.

Er pickt sich zwei Menschen im Publikum heraus, die einen sehr besonderen Platz haben, nämlich in einem Turm über dem Front of House. Er nennt sie König und Königin und lässt sie bei „Underwater“ sogar ganz allein singen, was den Beiden aber doch arg peinlich ist. Dennoch wirkt es von dem Künstler nicht wie ein unangenehmes Fronting, sondern einfach total komisch und britisch. Bei „Big Girl (You Are Beautiful)“ – Body-Positivity, bevor es den Begriff gab – geht Mika durch den gesamten Front-of-Stage-Bereich bis zu den hinteren Stehplätzen und animiert alle wild zum Mitspringen. Bei „Good Guys“ erzählt er von einer Liste an Ikonen, die er mal als Kind angefertigt hat. Menschen, die ihn beeindrucken. Auf die kommt nun auch eine junge Frau, die ihm aus dem VIP-Bereich ein Kölsch bringt, das ist nämlich sein liebstes Bier in der Welt.

So viele persönliche, individuelle Momente, in denen man Mika und seinem Charme verfällt. Doch auch gesanglich haut der Gute nach 18 Jahren immer noch genauso raus wie eh und je. Wer die Songs kennt, weiß, dass das ganz schöne Herausforderungen sind. Auch wenn er im Falsett nicht immer tonal ganz richtig ist, so ist aber locker 95 Prozent korrekt und vor allen Dingen immer mit Mühe vorgetragen. Nix da stimmschonend und schon an Morgen gedacht. Die Instrumentalist*innen unterstützen ihn zum Teil im Background, ein paar kleinere Spuren gibt es aber auch vom Band. Körperlich wird sich ebenso komplett verausgabt, sodass der Entertainer schon ab dem zweiten Song völlig verschwitzt ausschaut. Fancy Anzüge werden trotzdem bis zum Ende getragen – insgesamt vier an der Zahl. Ob Regenbogen-Farben oder Weiß mit riesiger Blume, der kann’s tragen. Beim Finale „Love Today“ ist es obenrum dann nur noch eine Blumenkette mit der Aufschrift „Bloom“. Auch ok.

Showtechnisch erwarten einen neben schönen Lichteffekten, wirklich coolen und arg schrillen Visuals bei „Elle Me Dit“ auch einige Pyroeffekte sowie bei „Happy Ending“ ein Klavier, das in der Hinterwand ein leuchtendes M verbirgt und aus dem dann auch noch Hunderte von Blumen gespuckt werden. Kitsch-Overkill, der bei so viel „Rosa Brillen“-Atmo passt. Manchmal ist mehr eben einfach mehr. Ans Klavier setzt sich Mika für einige Songs selbst und haut mit ordentlich Enthusiasmus auf die Tasten. Oder er vergleicht sich sowie die Zuschauer*innen mit Charakteren aus Winnie Puuh, was in völligem Nonsens abdriftet. „Wehe, davon wird irgendwas gefilmt und landet online“. Natürlich nicht.

15 Songs auf der Setlist ist nicht viel, dafür sind die aber gnadenlose Hits am Fließband. Fast das komplette Debütalbum sowie jeweils mindestens ein Highlight aus den vier LPs danach. Schade, dass es „We Are Golden“, „Rain“ oder „I See You“ nicht geschafft haben, ansonsten kann man aber überhaupt nicht motzen. Ganz im Gegenteil: Mika in Bonn reißt einfach jede Laune nach oben und gibt einem ein hervorragendes Gefühl. Das ist so schräg wie genial, so künstlerisch gut wie herzerwärmend süß. Mehr kann man aus einem Montag nicht herausholen.

Und so hört sich das an:

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Foto von Christopher

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6 Kommentare zu „Mika, Kunst!Rasen Bonn, 29.07.2024“

  1. Danke für diesen grandiosen Konzertbericht, sehr schön recherchiert und wunderbar geschrieben. Wollen wir hoffen, dass dieses tolle Konzert eine Strahlkraft auf hoffentlich kommende Konzerte haben wird.

  2. Danke für das tolle positive Feedback. Ich weiß schon, warum ich MIKA von Anfang bis jetzt treu geblieben bin, unabhängig von Erfolg in. Für mich ist er einer der besten Entertainer der Gegenwart

    1. Danke dir für deinen Kommentar, Frauke.
      Ich verfolge ihn auch schon seit Anfang an und fand’s toll, ihn mal wieder live gesehen zu haben.

      VLG Christopher

  3. Schöner Bericht. Wünschte, ich wäre dabei gewesen. Nach dem Berlin Konzert wollte ich da auch unbedingt hin. Aber Termine, Termine, Termine. Man kann ja nicht zu jedem Konzert. Der Sommer ist schon so voll damit.
    Seltsam, dass Du schreibst, dass Konzerte auf dem Kunstrasen zu leise gespielt werden würden. Ich erinnere mich noch genau an die Ohrenschmerzen nach einem Konzert Front of Stage bei Alanis Morissette in 2018. Die Menschen nehmen es aber sicherlich auch alle unterschiedlich war. Ich finde es zum Beispiel furchtbar, wenn der Bass bis an den Anschlag gedreht wird und man jedes Rums am Körper spürt. Es muss gut ausbalanciert sein.

    Grüße Bernhard

    1. Hi Bernhard,

      vielen Dank für dein Feedback. Bestimmt war’s in Berlin auch super.
      Und ja, alles kann man nicht mitnehmen, richtig 🙂
      Womöglich hat sich seit 2018 dahingehend einiges getan – übrigens war ich auch 2018 bei Alanis Morissette im Front of Stage, erinnere mich aber nicht mehr so gut dran.
      Dass es seit einiger Zeit dort aber schon vergleichsweise echt leise ist, ist eine recht breite Meinung, würde ich sagen. Schau da gern auch mal nach anderen Berichten!

      VLG Christopher

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