Steven Wilson, Ruhrcongress Bochum, 16.02.2019

Dass man älter wird, bemerkt man auch häufig am Musikgeschmack. Viele Acts, die man als Teenager gefeiert hat, findet man dann Anfang 20 plötzlich total furchtbar, stattdessen entwickeln sich ganz neue Interessensgebiete. Um also auch mal vorzeitig über meinen eigenen Schatten zu springen, wollte ich schon sehr lange mal ein Progressive-Rock-Konzert besuchen. Wer weiß, vielleicht hat sich mein Geschmack in den letzten Jahren ja hin zu diesem sperrigen Genre entwickelt? Mit der “To The Bone”-Tour von Steven Wilson habe ich mir dafür wohl einen sehr angenehmen Einstieg ausgesucht, denn selten wurde ein Prog-Künstler für ein Werk so misstrauisch beäugt wie Wilson für das gleichnamige Album. Grund dafür: die zarten Pop-Anleihen in den Songs. Das ließ mich aufhorchen – vielleicht könnte das ja der Beginn von einer neuen Liebe werden?

Im Ruhrcongress angekommen, zeigte sich ein sehr durchmischtes Publikum: vom jungen Metalhead über Familien bis zu versnobbt wirkenden älteren Paaren war so ziemlich alles vertreten. Um Punkt 20 Uhr erklang bereits die Musik des Hauptacts, der keinen Support mitbrachte. Ungewohnt, aber heute sollte ohnehin noch einiges anders laufen, als ich gewöhnt bin. Auf eine große Leinwand, die vor der Bühne schwebte, wurde ein Film projiziert, der verschiedenste Bilder mit Schlagwörtern wie “Truth”, “Enemy” oder “Science” versah. Immer wieder wurden die Zuschreibungen durchgemischt, bis so zum Beispiel ein Bild einer glücklichen Familie mit “Fake” untertitelt wurde. Das konnte durchaus Eindruck schinden, Wilson stieg schließlich mit seiner Band und dem Opener “Nowhere Now” ein. Direkt im Anschluss folgte mit “Pariah” mein Lieblingslied der aktuellen Platte, das mit einer großen Leinwand-Projektion von Duett-Partnerin Ninet Tayeb aufgeführt wurde. Ein sehr bewegendes Stück, zu dem Wilson passend einleitete, dass seine Setlist häufig eher für Depressionen als für Tanzeinlagen sorgte. Spaß haben sollen aber dennoch alle und genau aus diesem Anlass lässt Wilson das Publikum nun bei jedem Instrumental-Part komplett gegen den Takt klatschen. Warum? Um den Drummer zu ärgern, der natürlich schnell durcheinander kommen könnte. Wieso sollte er seine eigene Show sabotieren wollen? spricht Wilson die Frage, die sich das Publikum wohl auch stellt, laut aus. Nun, es wäre die 138. Show der Tour, da braucht man auch mal Action. Sympathischer Typ und das Spiel mit dem Drummer nehmen tatsächlich viele über die ganze Konzertlänge sehr ernst.

Was mich ansonsten erwartete? Eine sehr unterhaltsame Mischung aus den verschiedensten Genre, die Wilson stets mit passender Licht- und Leinwand-Show untermalen ließ. Während “The Same Asylum As Before” wie ein bombastischer Pop-Song à la Queen klingt, wurde “Index” lediglich mit Schnipsen und einem sehr düsteren Text eingeleitet und “Song Of I” in einem kühlen Industrial-Sound aufgefahren, bei dem Gitarren mit einem Bogen gespielt wurden. Auch einige Porcupine Tree-Songs und Americana und Pop-Anleihen hatten ihren Weg in das Set gefunden. Immer wieder konnte mich Wilson für sich gewinnen und packen, dann entwickelten sich jedoch einige Stücke wie “No Twilight Within The Courts Of The Sun” zu knapp viertelstündigen (!) Instrumental-Kolossen. Spätestens ab der 5. Minute ohne Gesang und vor allem ohne klare Struktur schaltete ich ab und spürte rein gar nichts mehr – außer Überanstrengung. Selbst wenn einige Hard Rock-Elemente eingebaut wurden, die Schwung in das Konzert brachten und die Band extrem beeindruckend spielte – am besten gefielen mir dennoch immer die reinen Song-Kerne ohne das ganze Brimborium. Auch das Publikum zeigt sich der Musik entsprechend gänzlich anders als bei einem Rock- oder Pop-Konzert – eher sehr fokussiert wie bei einem klassischen Konzert.

Am Ende gehe ich mit einem zufriedenen Gefühl aus dem Abend, denn das Prog nicht durchgehend wuchtig sein muss, hat mir Steven Wilson eindrucksvoll bewiesen. Viele Songs konnten mich durchaus begeistern und wie unglaublich divers Wilsons Soundkosmos aufgestellt ist, ist ohnehin eine ganz eigene Hausnummer. Dennoch bewies mir dieser Abend, dass ich dennoch klares Mitglied der Spotify-Generation bin. Die Aufmerksamkeit lässt nach 6 Minuten einfach nach – aber vielleicht ändert sich das ja auch noch irgendwann.

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Beitragsbild von Julia.

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