2018 können Musiker*innen ohne einen großen Hit oder einem Album mal eben 15.000 Tickets verkaufen – das Internet macht es möglich. Rasend schnell verbreiteten sich die Videos einer Person, die alleine unzählige Instrumente bedient und damit einen ganz eigenwilligen Sound erschafft. Die Streaming-Zahlen rasen in die Höhe, die Hallen sind weltweit ausverkauft – die Rede ist natürlich von Tash Sultana. Mit Spannung wird die erste Show der Europa-Tour erwartet – und das Warten wird länger dauern, als man es sich vorstellen kann.
Punkt 8 eröffnen erstmal die Pierce Brothers den Abend, die zu zweit schon mehr Stimmung machen, als manche Vorbands mit 5 Musiker*innen. Musikalisch erinnert das Duo sehr häufig an Mumford & Sons und The Black Keys, baut dazu jedoch noch ein Instrument aus ihrem Heimatland Australien ein: das Didgeridoo. Beide Brüder singen zudem, einer spielt dazu im Stehen (!) Drums, während er vom anderen an der Gitarre begleitet wird. Diese ist, ähnlich wie auch die von Newton Faulkner, so gebaut, dass auch der Körper mit Sticks und Schlägen bearbeitet, nach einem Rhythmus-Instrument klingt. Auch die Mundharmonika kommt häufig zum Einsatz. Das Publikum applaudiert lauter als bei manchem Hauptact, das Duo fühlt sich sichtlich geschmeichelt. Es wäre wirklich unfair, würden es die Pierce Brothers nicht auch als Hauptact auf die großen Bühnen schaffen.
Sichtlich aufgeheizt und freudestrahlend erwartet das Publikum nun den großen Act des Abends. Und wartet. Und wartet – am Ende sollen knapp 90 Minuten nach der Vorband vergehen, bevor Tash endlich die Bühne betritt. Ein technisches Problem entstand, das blitzschnell das gesamte, hochkomplexe System der Bühnenshow zerstörte. Das Publikum wartet überraschend ruhig ab und bedankt sich trotzdem mit tosendem Applaus bei Sultana, als Tash schließlich endlich spielen kann. Die Bühne ist mit Instrumenten für eine ganze Band gefüllt – doch heute werden sie nur von einer einzigen Person bedient. Und wie! Drum-Parts, die Jazz- und Rockrhythmen mit World Music kombinieren, Gitarrenriffs, die es mit Santana oder Jimmy Page aufnehmen können, dann aber auch wieder Reggae-lastige Momente. Tash spielt Trompete, Synthesizer, Keyboard, kann natürlich Beatboxen und bedient die Loop-Station, als wäre es das Leichteste der Welt. Und eben das ist das Faszinierende: man spürt förmlich, wie jede noch so kleine Note, jede noch so geringe Änderung des Rhythmus Tash berührt, die Musik scheint durch diese Person hindurchzufließen, als wäre das alles wirklich ein übermenschliches Phänomen. Tash liebt jede einzelne Sekunde des Auftritts, dem Großteil des Publikums geht es ähnlich. Eingängigkeit ist hier jedoch lange zu suchen, Tash ist ungefähr so weit von Popmusik entfernt wie überhaupt möglich. Das Set erinnert an eine Jam-Session vieler Jazz-Musiker*innen, dieses Mal jedoch im Gewand eines DJ-Sets. Klingt verrückt, denn obwohl der gesamte Sound von physischen Instrumenten erzeugt wird, fühlt man sich häufig eher wie bei einem Electro-Festival. Für Fans von Mitsingen oder Melodien wird das auf Dauer problematisch sein, denn ganz häufig verliert sich der Sound komplett, nachvollziehen kann das wohl nur noch ein ähnlich virtuoser Mensch wie es Tash selbst ist. Die Bühne wird zudem von einer wirklich zauberhaften Lichtshow untermalt, die großen LED-Wände hinter Tash übertragen dazu Bilder vom Universum oder bunten Mustern – wie Tash selbst anmerkt, muss das für Leute unter Drogeneinfluss wohl eine krasse Erfahrung sein. Und von denen sind heute nicht wenige da, was teilweise auch etwas an der Atmosphäre kratzt, denn diese Musik ist wie gemacht zum ruhigen Zuhören und Einsaugen jeder Sekunde, was bei erschreckend vielen im Publikum scheinbar nicht auf dem Plan stand.
Hypes entstehen mit viel Glück und können jede*n treffen. Mit Tash Sultana hat es aber Gott sei Dank verdienterweise einen Menschen getroffen, der wie der lebende Inbegriff von Musik ist. Ob das Ergebnis am Ende allen gefallen wird, bleibt zu bezweifeln, an vielen Stellen ist es einfach zu unbegreiflich. Für eine Liveshow bietet Sultana jedoch eine ganz besondere Atmosphäre und wird den Siegeszug damit wohl definitiv fortführen.
Und so hört sich das an:
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Tash Sultana live 2018:
- 07.09.2018 Palladium Köln (ausverkauft)
- 08.09.2018 Palladium Köln (ausverkauft)
- 10.09.2018 Columbiahalle Berlin (ausverkauft)
- 11.09.2018 Columbiahalle Berlin (ausverkauft)
Rechte am Beitragsbild liegen bei Julia Köhler.
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