Schweden ist die geheime Hochburg der europäischen Popmusik. Natürlich fällt es im Vergleich zu Großbritannien stets ab – trotzdem sind Künstler, beziehungsweise Bands, wie ABBA, Mando Diao, Ace of Base, Clawfinger, Rednex, Neneh Cherry und Dr. Alban auch nach mehreren Jahrzehnten noch on Air und haben für den einen oder anderen internationalen großen Hit gesorgt. Roxette gehörten ebenso dazu und kreierten mit „The Look“, „It Must Have Been Love“, „Listen To Your Heart“, „Joyride“ oder „Sleeping In My Car“ zeitlose Klassiker. Leider ist es Sängerin Marie nach mehreren gesundheitlichen Rückschlägen endgültig nicht mehr möglich, dem gerecht zu werden, wofür die Band einst stand. Stattdessen begibt sich die zweite und männliche Hälfte Per Gessle auf große Solopfade. Dass er alleine Musik aufnimmt, ist seit Anbeginn der Zeit so – dass jedoch auch außerhalb Schwedens ordentlich die Werbetrommel gerührt wird, ist hingegen neu.
Mit „Small Town Talk“ steht ein 13 Songs umfassendes Album in den Startlöchern, das eingefleischten Roxette-Fans wahrscheinlich nur teilweise gefallen wird: der prägnante, eingängige Rock-Pop wird gegen fast schon old schooligen Country getauscht. Die Platte klingt typisch fürs Genre und den Aufnahmeort Nashville somit außergewöhnlich amerikanisch, behält aber das wichtigste Element aus Roxette-Manier bei: wirklich gute Melodien!
Obwohl Per bereits bei Roxette regelmäßig am Mikro stand und auf dem Albumcover sein Name in großen Lettern präsentiert wird, ist der Gesang keine reine Soloarbeit. Stattdessen dürfen bei acht (!) Songs schwedische Gastmusiker ran. Helene Josefsson scheint es ihm besonders angetan zu haben und begleitet gleich fünf Stücke. Weitere Gesangspartner sind Nick Lowe, Savannah Church und Jessica S.
Besonders der Einstieg gelingt. Mit „The Finest Prize“ und „Small Town Talk“ können lupenreine Americana-Pop-Nummern gehört werden, die an ausgesprochen gute Werke der Band Lady Antebellum erinnern. Bei „Far Too Close“ hat man gerade beim Intro kurz das Gefühl, man hört Marie und eine neue und grandiose Roxette-Nummer, die schon früher hätte die Welt erblicken müssen. Der erste Eindruck ist in der Tat wohltuend und gibt dem gerade beginnenden Herbst mit seinen goldenen Farben die passende musikalische Untermalung.
Trotzdem schleicht sich das kleine, aber dennoch nicht außen vor zu lassende Problem mit eben solchen Platten ein: zum Ende hin plätschert es dann doch ein wenig. Die gelungene Grundidee fluppt, aber etwas mehr Kreativität hätte „Small Town Talk“ doch nicht geschadet. So fällt besonders die zweite Hälfte im Vergleich zur starken ersten entschieden ab und eignet sich maximal für den letzten saisonalen Roadtrip im Cabrio als Hintergrundbeschallung („It Came Too Fast“ und „One Of These Days“). Nur bei „Name You Beautiful“ wird durch auffallend fröhliche Geigen erneut für Aufmerksamkeit gesorgt.
Per Gessle macht im Alter von 59 Jahren mit seinem ersten internationalen Output einiges richtig, wenn auch nicht alles. Tatsächlich wäre es wünschenswert den neuen Sound mit dem gewohnten, guten Rock-Pop zu kombinieren. Dann könnte da echt eine sehr schicke Sache entstehen. So freuen wir uns stattdessen auf die anstehende Tour, die auch einige Roxette-Nummern in petto hat und das Ganze erfolgreich abrunden sollten.
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