Auch Straßenköter haben Gefühle! Genau davon scheinen Amy Taylor und ihre Kumpanen die wachsende Fanbase auf dem Zweitwerk “Comfort To Me” überzeugen zu wollen. All jene, die den rauen Sound des Debütalbums “Amyl and the Sniffers” zu schätzen gelernt hatten, brauchen jetzt aber nicht vor der Schoßhundisierung des Straßenlandes Angst zu haben. Amyl and the Sniffers sind immer noch laut, scheppernd und unangepasst. Nur eben in Punkto Songwriting einen ordentlichen Satz weiter nach vorne gekommen.
Das Herz der Straße
Eigentlich ungewöhnlich, dass sich inhaltlich so viele versöhnliche und emotionale Töne auf der Platte befinden, wenn man die Umstände des Albums berücksichtigt. Die vier Australier*innen verbrachten nämlich den gesamten Lockdown eingepfercht in einer kleinen Mietwohnung in Melbourne – und dann hatte diese auch noch schäbige grüne Wände! Bei der falschen Gesellschaft kommen da nicht alle lebend raus, bei der richtigen entsteht scheinbar ein großartiges zweites Album. So kann’s auch gehen! Anführerin der ganzen Aktion war mal wieder die namensgebende Sängerin Amy Taylor, ohne deren Charisma die Band natürlich niemals so groß geworden wäre. Für die Lyrics ließ sich Taylor laut Pressetext von Rap-Idolen und Garage-Sound inspirieren, dabei ist die Punk-Attitüde aber nicht verloren gegangen. In der stoischen Post-Punk-Repitition von “Guided By Angels” ist rotziger Sprechgesang angesagt, in “Security” fragt das lyrische Ich mit großen Kulleraugen “Will you let me in your heart?” und das beinahe harmonische “No More Tears” hofft ruhig “Wish I could love me for all my flaws”.
Die Faust des Widerstands
Aber diese neuen Soundtupfer sind kein “entweder oder” sondern ein “auch”, denn glücklicherweise bleiben Amyl and the Sniffers ihrem Sound auch treu. “Freaks to the Front” ist deswegen eine tolle Moshpit-Hymne, “Hertz” lässt die Riffs besonders elektrifiziert aufdrehen und “Don’t Need A Cunt (Like You To Love Me)” ist ein aggressiver Abriss über unnötige Avancen, bei dem Taylor sich das Mikro mit ihren Kollegen hin- und herwirft. Gerade dank kleiner Spielereien wie dem Call and Response-Battle zwischen Taylor und den Riffs in “Don’t Fence Me In” und dem Maximum an Gangshouts in “Choices” kommt das neu gewonnene starke Empowerment der Platte noch mehr zum Vorscheinen. Ja, diese Platte richtet sich an alle Underdogs und ist für die Massen in den Kellerclubs gedacht, die die vier verwüsten. Aber “Knifey” zeigt eben auch: Amyl and the Sniffers machen jetzt Feminismus. Und was für einen! Taylor singt noch melancholisch davon, nie ohne Messer aus dem Haus zu gehen, obwohl sie doch nur im Park spazieren wolle, bis sich der Song im großen Finale in gerufene “Stop fucking with us!”-Shouts steigert.
Wie es sich für ein zweites Album gehört, entwickeln Amyl and the Sniffers ihren Sound auf “Comfort to Me” konsequent weiter, anstatt ihn vollkommen auf den Kopf zu stellen. Anstelle von gesellschaftlichen Schauplätzen ist im abgewrackten Sound des Quartetts dieses Mal aber Platz für ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche. Ein starkes Stück Empowerment!
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