Mit der Debütsingle in 22 Ländern auf der 1 – der wahrgewordene Sänger*innen-Traum. „Sweet But Psycho“ lief erstmalig Mitte August 2018 in den Radios und tut es heute immer noch. Über zwei Jahre schleicht sich der Ohrwurm der 26-jahre alten Ava Max immer wieder in die Gehörgänge und sorgt dort für Gute Laune und Aggressionen, wie es sich für einen waschechten Ohrwurm eben gehört.
Wäre Ava Max eine Siegerin in einer Dieter Bohlen-Castingshow, hätten wir keinen Monat später das Album serviert bekommen, das dann außer „Sweet But Psycho“ nur Trick 17-Billo-Pop bereithielte. Amanda Ava Koci, so ihr bürgerlicher Name, hat sich für das krasse Gegenteil entschieden und selbstbewusst seit Lied Nr. 1 763 Tage verstreichen lassen, bis heute Heaven & Hell droppt. Eine Tatsache, die jeder Plattenfirma einem roten Tuch gleicht. Zu hoch die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Künstler*in als One-Hit-Wonder entpuppt und so schnell wieder verschwunden ist, wie er/sie kam. Ava Max hat in der Zeit mehrfach bewiesen, dass solche Befürchtungen völlig umsonst sind.
Alben sind eben längst nicht mehr das, was sie mal waren. Man kauft sie nur noch in Einzelfällen, stattdessen werden die Favoriten gestreamt. Gerade bei Musiker*innen, die eher das jüngere Spotify-Publikum ansprechen. Das scheint Ava auch verstanden zu haben und hat somit, immer dann, wenn es ihr passte, einen neuen Track rausgebracht, der fertig war – und damit Hit für Hit gelandet. Zwar bleibt in ihrer Heimat USA der Erfolg etwas aus – lediglich zwei Songs schafften den Charteinstieg, „Sweet But Psycho“ ging bis zum 10. Platz –, doch wen juckt das schon, wenn dafür ganz Europa die Blondine aus Milwaukee feiert. Vier Nachfolgesingles schafften ebenfalls eine goldene Auszeichnung in diversen Ländern.
Nun ist trotzdem Schluss mit langem Warten. Corona-bedingt (ist das überhaupt noch erwähnenswert?) wurde die Veröffentlichung von Heaven & Hell um ein halbes Jahr nach hinten verschoben, ist jetzt aber endgültig fällig. Fans kennen bereits gute 50% des Produkts, sind nämlich sieben der 15 Titel bereits als Stream und Download zu haben. Glücklicherweise lohnt es sich aber auch den Rest des fast genau eine Dreiviertelstunde langen Longplayers zu entdecken.
Hört man sich durch die bereits bekannten Lieder wird deutlich, dass Ava Max vor allen Dingen viel Wert auf Heterogenität legt. Ja, das ist alles lupenreiner Pop, aber dennoch im Klang unterschiedlich. Generell scheint guter Pop sowieso das Ding des Jahres zu sein, haben gleich mehrere Künstler*innen sich von EDM und Rap verabschiedet und stattdessen auf klassische Hooks und Rhythmen gesetzt. Da macht Ava selbstverständlich gern mit und fährt in ihrer eingeschlagenen Richtung weiter gen Partyisland.
Heaven & Hell besitzt neben Avas relativ gewöhnlicher, aber dennoch anziehender Stimme alles, was die Autotune- und Vocodermaschine hergibt, was ein wenig schade ist. Etwas authentischer hätte sie schon klingen dürfen. Trotzdem stimmen sich das Mechanische im Gesang und der futuristisch-plastische Sound gut aufeinander ab. Thematisch möchte Ava mit Heaven & Hell ihr Album in zwei Hälften teilen, was aber leider inhaltlich so gar nicht auffallen mag und auch auf Zufallswiedergabe ohne Störgefühl funktionieren würde.
Ava macht vieles richtig und liefert einen catchy Refrain nach dem nächsten – schade ist dann nur, dass es in der Produktion oftmals etwas zu wenig nach vorne prescht. Wie perfekt es funktionieren kann, zeigt „Kings & Queens“, das seit Monaten die Airplaycharts für sich beansprucht und dank des geschickt verbauten Samples von Bonnie Tyler– bzw. Bon Jovi-Hits der 80er als einer der besten Songs des Jahres durchgeht. Hook vom Feinsten, knallende Gitarrenriffs, Powermessage. Etwas traurig, dass diese Erfolgsformel nicht noch ein paar Mal auf dem Album wiederholt wurde, sondern viele Songs vordergründig zum netten Mitschwingen und Mitsingen statt zum Abgehen und Auspowern animieren.
Dennoch ist Heaven & Hell überdurchschnittlich gute Pop-Ware, die Fans von Katy Perry, Lady Gaga, Britney Spears, Miley Cyrus und Dua Lipa zumindest einmal durchgehört haben sollten. „Who’s Laughing Now“ ist Ace Of Base 2.0 und zündet erst nach einigen Anläufen, dann aber richtig. Gleiches gilt für das melodisch starke „Take You To Hell“. „Torn“ hat dank einer etwas ungewöhnlichen Melodieführung sein Radiopotenzial bereits super ausgeschöpft. Wer „Sweet But Psycho“ nicht mehr hören kann, kann einfach vor dem letzten Track ausschalten, wurden nämlich viele Singles ans Ende der Platte gestellt, um den Fokus somit klarer auf Neues zu setzen und die Hits eher als Bonus zu verstehen. Unter den bisher unbekannten Titeln ist „Born To The Night“ ein Anspieltipp, das den NDW-Killer „Major Tom“ von Peter Schilling samplet und somit am nächsten noch an „Kings & Queens“ herankommt. „Rumors“ hat die Fähigkeit, die letzten Sommertage zu verschönern und klingt ebenfalls stark nach 90s-Sampler-Musik. Der Rest ist nett, aber unscheinbar.
Auf klassische Balladen verzichtet auch Ava Max gänzlich. Generell scheinen Balladen einfach 2020 aus der Mode zu sein. Heaven & Hell ist solider Zuckerwatten-Pop, der leider ein bisschen zu wenig wagt, zu wenig richtig mitreißt, aber trotzdem 45 kurzweilige und abwechslungsreiche Minuten mit guter Laune bietet. Wer nicht mehr erwartet, wird damit definitiv Spaß haben.
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