„Being in love, let’s try being in love“. Mit diesen beiden Zeilen beginnt das neue Album von Darren Hayes. Versuchen, verliebt zu sein? Sich ineinander zu verlieben? Geht das nicht ganz automatisch und unglaublich einfach? Irgendwo schon, fühlt es sich doch auch ziemlich gut an und geschieht meist schon in der Pubertät zum ersten Mal. Doch was ist, wenn sich das Gefühl für dich verboten, falsch, ekelig anfühlt, es bei dir anders verläuft als bei deinem Umfeld? Dann wird authentische Liebe zu deinem Verhängnis.
Darren Hayes gehörte Ende der 90er weltweit zu den absoluten Topstars. Mit Daniel Jones gründete der Australier 1993 die Band Savage Garden. 1997 folgte ihr gleichnamiges Debütalbum, das bis heute Platz 23 der bestverkauften Alben in Down Under belegt. Unter den 22 Plätzen davor sind lediglich vier Alben, die in Australien entstanden. Für die LP gewann das Duo im Erscheinungsjahr elf ARIA Awards, das ist der wichtigste Musikpreis des Landes. Ein Rekord. Insgesamt gewann die Band 14 Awards, bis heute befinden sie sich damit in der Top 10 der am häufigsten ausgezeichneten Acts. Und das bei lediglich zwei Alben.
Der Nachfolger „Affirmation“ (1999) war etwas weniger erfolgreich, aber dennoch ein absoluter Topseller mit zig hervorragenden Kritiken. Pop auf der Höhe der Zeit. Hits der Gruppe wie „To The Moon and Back“, „Truly Madly Deeply“, „Affirmation“ oder „I Knew I Loved You“ sind heute Klassiker und finden immer wieder den Weg ins Radio. Doch danach war es für die Beiden auch schon vorbei. Persönliche Differenzen. Zwei Platten genügten, damit jede*r weltweit wusste, was für ein unglaubliches Gesangs- und Kompositionstalent in Hayes steckt. Er kündigte eine Solokarriere an, die nur einen Erfolgszug versprechen konnte, gelang dies bereits Robbie Williams, der sich von Take That löste, und Justin Timberlake, der parallel zu Hayes den Absprung von *NSYNC wagte und bekanntlich auch schaffte.
Doch am Ende kam alles anders. Darren Hayes´ Solodebüt „Spin“ stand in den Startlöchern. Die erste Single, „Insatiable“, wurde bereits bei ihrer Veröffentlichung als potenzieller „Record of the Year“-Song bei den Grammys gehandelt – und wurde am Ende nicht einmal nominiert. Dabei war der Künstler auch in den USA mit Savage Garden fast so erfolgreich wie in seinem Heimatland und hatte hervorragende Voraussetzungen – so schien es. Schwierig wird es nur dann, wenn das Label ganz andere Vorstellungen als der Künstler selbst hat. Hayes machte, wie es für ihn richtig schien – das Label fand es allerdings zu schwul, besonders sein Tanzen im Musikvideo. Das wurde zwar neu gedreht, die Promo für die anstehende LP aber aufs Minimum heruntergefahren. Ende vom Lied: Mittelmäßiger Erfolg in Australien, der weit hinter den Erwartungen zurückblieb. In den USA wurde die Veröffentlichung nahezu nicht mal wahrgenommen. Genauso wenig in Deutschland, obwohl auch bei uns die beiden Savage Garden-Alben Gold kassierten.
Zehn Jahre lang probiert Darren Hayes halbwegs an frühere Erfolge anzuknüpfen. Er veröffentlicht vier Alben, die permanent weniger Beachtung bekommen, obwohl sie stets aufwändig produziert sind, viele anspruchsvolle Pop-Kompositionen und insbesondere eine der technisch besten Stimmen der Welt – ohne jegliche Übertreibung – bereithalten. Zwischendrin outet sich der Sänger tatsächlich als schwul und heiratet zum zweiten Mal, nachdem seine erste Ehe zu seiner Kindheitsfreundin aus naheliegenden Gründen bereits zur Savage Garden-Ära scheitert. Sein Stil passt nicht zum Puls der Zeit. Er wird dafür bestraft, zu sich selbst zu stehen. Gegen Maskulinitätsidole wie Justin Timberlake, Robbie Williams oder aber auch Eminem und 50 Cent kommt er niemals an – und gibt schließlich auf.
Darren Hayes zeigt sich immer mal wieder auf seinen Social Medias, häufig ohne sich vorab schick gemacht zu haben. Fast schon zynisch hat er ewig lange in seinem Profil stehen, dass einige von seinen Follower*innen ihn womöglich als damaligen Sänger von Savage Garden kennen. Von ganz, ganz oben zu jemandem, den kaum noch jemand kennt, obwohl er nicht mit Negativschlagzeilen auffiel, sich nicht heruntergewirtschaftet hat, nicht im Drogensumpf ertrank, weiterhin genauso viel Talent besaß wie anfangs – aber man ihn eben nicht trendy findet. Hayes hört in der Öffentlichkeit nahezu komplett auf zu singen.
Doch irgendwann wird das Verlangen in einem größer und die Angst vor Zurückweisung kleiner. Nach mehreren Therapien, viel Selbstreflexion, genug Ruhe und vor allen Dingen der Rückkehr zu mehr Individualität in der Musikbranche, weg von toxischen Männlichkeitssymbolen, ist der Moment da. Fast auf den Tag genau elf Jahre nach „Secret Codes and Battleships“ (2011) erfolgt das Comeback einer Person, die eigentlich – wenn denn alles so gelaufen wäre, wie es hätte laufen können – in einem Atemzug mit den Allergrößten genannt werden sollte. Darren Hayes kehrt zurück mit seinem fünften Album, dessen Name keinerlei Interpretation benötigt: Homosexual.
Selten war eine Kontexteinordnung dermaßen wichtig wie hier. Dass dieses Album nun draußen ist, wird nicht viele interessieren. Die, die es aber interessiert, werden ausrasten. Die Fanbase ist nämlich hartnäckig geblieben. Seit der Ankündigung, dass ein Comeback kommt, überschlagen sich die freudigen Nachrichten auf Darrens Profilen und unter seinen Videos. Endlich wieder diese Stimme hören, die man unter 1000 erkennt, weil sie so fein, so berührend klingt und gleichzeitig mit so viel Leichtigkeit durch die Oktaven bis in die höchsten Höhen gleitet.
Doch jetzt muss man verdammt stark sein. Denn Homosexual ist nicht die Rückkehr zu dem großen 90s-Pop-Rock von Savage Garden und auch keine Rückkehr zum Soul-Pop vom Debüt „Spin“. Homosexual ist ein lupenreiner Egotrip. Eine Veröffentlichung, die sich nur an eine einzige Person wendet, nämlich an Darren selbst. Homosexual ist ein Befreiungsschlag, ein Mittelfinger, eine Attitüde sowie Selbsttherapie.
Besonders das junge Publikum wird nun die Stirn runzeln und fragen: Muss man sowas machen? LGBTQIA* sein ist doch schon längst nicht mehr Nische, nicht mal mehr Trend, sondern so super normal. Jaja, für euch vielleicht. Für einen 50-jährigen, der aufgrund seiner Sexualität und queeren Art jedoch mit seiner Karriere bezahlen durfte, ist es ein Fluch, ein teurer Preis. Ist man mit seinen Gefühlen und dem Annehmen der Sexualität nicht schon genug beschäftigt, muss man sich dann auch noch dafür vor seinen geschäftlichen Kolleg*innen rechtfertigen oder gar entschuldigen und verbiegen. Auch wenn Darren Hayes bereit seit 2006 öffentlich geoutet lebt, folgt erst jetzt der endgültige Befreiungsschlag und der Abschluss mit einem sehr traumatisierenden Lebensabschnitt.
Um das auf radikalstem Wege kompromisslos durchziehen zu können, macht Darren alles alleine. Wirklich alles. Er singt alles allein ein, er schreibt und produziert alle Songs ohne Unterstützung. Homosexual ist somit zu 100 Prozent nur aus ihm herausentstanden. Herauskommen 14 Tracks, die irrsinnige 85 Minuten dauern. Eine Länge, die heutzutage bei vielen Artists nicht mal zwei Alben zusammen ergeben. Einige Songs knacken die 9-Minuten-Marke, lassen sich mehrere Minuten Zeit für ein ausgiebiges Outro. Radio? Who cares. Fuck the system.
Homosexual ist zweifelsohne ein Konzeptalbum. Die Message nur im Albumtitel zu verwenden, wäre aber auch wirklich zu flach. Stattdessen drehen sich auch inhaltlich alle Songs um das Verlangen nach sich verboten anfühlender Liebe („Let’s Try Being In Love“), um Momente des unbeschwerten queeren Feierns („Do You Remember?“), um Momente des sehr beschwerten queeren Feierns, das manchmal gar in Anschlägen enden kann („All You Pretty Things“), um das Anhimmeln von Stars im Musik-TV („Music Video“), um das Beschreiben von schwulen Gefühlen („Homosexual (Act One)“, um viel zu viel Aufmerksamkeit, die Sexualitäten von anderen Menschen geschenkt wird („Homosexual (Act Two)“). Das ist schonungslos ehrlich, sehr intim, privat und authentisch – nur musikalisch leider nicht so geil umgesetzt.
Das Tippen der nächsten Zeilen tut weh, weil Darren Hayes wirklich so ein wahnsinnig begabter Musiker ist. Seine Heilung wird in jedem seiner Postings sichtbar, seine Interviews rühren zu Tränen, seine Songs sprechen Bände. Jedoch möchte man als Fan der Musik nach so einer langen Durststrecke eben auch richtig tolle Musik hören. Und da muss man ganz ehrlich sein, die ist wirklich nur mittelmäßig. Homosexual zelebriert sich einige Runden zu oft selbst. Viele Titel brauchen die Länge nicht. Hayes selbst sagt, dass er sich in sein früheres Ich zurückversetzt hat, als in Clubs Extended Mixes von Madonna liefen – und hands down, den Sound hat er definitiv hinbekommen. Viele Songs klingen wie die ersten Singles der ehemaligen Queen of Pop, wie unzählige 80s-Hits und sogar ein bisschen wie Michael Jackson. Das ist echt Retro und damit ja eigentlich voll im Trend. Nur leider erzählt sich die Idee dann aus, wenn das Album gerade einmal die Hälfte der Spielzeit erreicht hat.
Man wünscht sich, Darren hätte vielleicht bei dem einen oder anderen Titel doch jemand weiteres an Land geholt. Beispielsweise kann man sich vorstellen, dass wenn The Weeknd dieses Album machen würde, es unglaublich viel Beachtung und Lob bekäme, weil es einen kohärenten, in sich schlüssigen und sogar gut gemachten Sound besitzt. Es bräuchte aber etwas mehr Finesse, vielleicht noch etwas mehr Skills, um aus der stimmigen Idee auch ein Produkt herauszuholen, zu dem eben nicht nur der Künstler selbst fast anderthalb Stunden abdanct.
Die ersten zwei Vorabsingles geben einen ziemlich genauen Orientierungspunkt vor. Das hypnotische, romantische und dennoch sogwirkende „Let’s Try Being In Love“ verschwindet nach einigen Durchläufen nicht mehr aus dem Kopf. Das liegt einerseits an den sich oft wiederholenden Zeilen, die man quasi beim ersten Mal bereits mitsingen kann, andererseits aber an der Frische. Darren klingt so leicht, so unglaublich positiv und euphorisch. „Do You Remember“ im direkten Anschluss hält das Niveau und liefert eine dermaßen unverschämte Synthie-Hook, dass man fast schon Aggressionen bekommt, weil sie sich so festbeißt. Gay-Disco deluxe.
Das macht wahnsinnigen Spaß, nur ist bereits dann die Quintessenz verflogen. Es folgen daraufhin mehrere Tracks, die trotz mehrmaligem Anhören irgendwie nicht klicken. Da kann man sich noch so sehr anstrengen, es zu wollen – richtig fruchten kann Homosexual einfach nicht. „Music Video“ hat gute Ansätze, soll durch den Stimmverzerrer wohl klingen wie der kleine Darren, nervt dadurch aber wahnsinnig schnell. „Euphoric Equation“ zieht das Tempo etwas an, ballert mal etwas mehr, hat nur bei der Melodie ein paar Nuancen zu stark gespart. Bei „Nocturnal Animal“ könnte man den Eindruck gewinnen, der Sänger wäre nicht wirklich Meister seines Faches, so viele Effekte werden benutzt. Hier liegt auch das Hauptproblem: Darren Hayes zeigt maximal ein Drittel seines Könnens. Und war man nicht immer deswegen so angetan, weil die Stimme etwas kann, was sonst kaum jemand kann? „All You Pretty Things“ ist dank seiner starken Message und seiner Ohrwurmhook nochmal überdurchschnittlich. Aber auch hier wird erneut nur zu 80s-Beats rumgehüpft. Akustisch wird es nie, ruhig nur äußerst selten und dann auch eher monoton („Poison Blood“).
Es ist ein wahrer Kampf, wie man am Ende das Ergebnis nun findet. Die Hintergrundstory darf und kann man einfach nicht außer Acht lassen. Trotzdem: Nach so einer langen Pause möchte man einfach das kleine Bisschen mehr. So fühlt es sich eben danach an, als wäre das zurück, was man so sehr vermisst hat, aber irgendwie am Ende dann halt doch nicht zurückbekommt. Ein Hinterherhecheln nach der damaligen Zeit. Möge Darren Hayes mit seinem fünften Album sein Seelenheil gefunden haben, ein bis an sein Lebensende glücklicher schwuler Mann sein, aber beim nächsten Output doch etwas mehr modernen und melodischen Pop liefern statt Beats. Jetzt muss 2023 nur die Tour gut laufen – die leider aktuell noch keine Deutschland-Termine beinhaltet – und mit Sicherheit ist dann auch der letzte Knoten Zweifel in ihm geplatzt, sodass wir keine weitere Dekade auf Songs des übersympathischen Talents warten brauchen.
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