Gerade die Abstinenz von Live-Konzerten offenbart: Gitarrenmusik verfügt als Kunstform weniger denn je über Innovationskraft. Schon die wenigen letztjährigen Revolutionen der Gitarrensparte – man denke an das Emo-Revival in der Rap-Musik oder große Pop-Künstlerinnen, die in ganz klar 2000s-Einflüsse in ihre Musik einweben – kamen allesamt von außen. Wenn Rock-Musik also dank einer Pandemie auch nicht mehr dort lebendig werden darf, wo sie am buntesten aufblüht – im Club –, dann ergraut sie. Das neue Deafheaven Album „Infinite Granite“ ist ein Kind dieses Problems.
Gerade Deafheaven waren einst eine Band, die es verstanden Nischenkunst eine neue Dimension zuzufügen. Das Überalbum „Sunbather“ etwa, von vielen Musikmagazinen als eines der besten Alben der 2010er-Jahre gekürt, vereinte regnerischen Black-Metal mit sonnigem Shoegaze. Das war neu. Das war innovativ. Und sorgte in der nihilistisch-geprägten Black-Metal-Subkultur für viel Wirbel, denn noch nie hatten Blast-Beats und gesechszehntelte Schrammelgitarren Gehörgänge mit derart offenen Armen begrüßt. Nun veröffentlicht die Band um Sänger und Songwriter George Clarke ihr fünftes Studioalbum – und beschneidet ihren Sound damit komplett.
Neues entsteht in der Musik entweder durch technologischen Fortschritt oder die Vermischung unterschiedliche Einflüsse und Genres. Auf letzterem Pfad bewegten sich auch Deafheaven zuletzt noch. „Infinite Granite“ jedoch streicht nun den Black-Metal-Anteil komplett und präsentiert sich stolz als majestätischer Shoegaze. Das kontroverse Element in der Kunst des Quintettes fällt damit weg und übrig bleibt eine samtweiche Sounddecke. In die bettet das Eröffnungsstück „Shellstar“ Zuhörer*innen auch gleich zu Beginn. Mit seiner mantraesken Flüster-Ansprache gehört das jedoch noch zu den spannendsten Songs des Albums. Zu denen zählen zudem die Ankündigungssingle „Great Mass of Color“ sowie „Mombasa“, der das Album beschließen darf. Gleich zweifach erweisen sich Deafheaven also als durchaus fähig, melodischen Dream-Pop mit kräftigen Ausbrüchen und gezielt gesetztem Gekeife zu verkuppeln.
Der Rest von „Infinite Granite“ spricht eine andere Sprache. Statt Stilwanderungen zu unternehmen, spielt die Band hier vor allem eines: mit Höhen und Tiefen gespickten Shoegaze, dem Bands wie Slowdive schon vor knapp dreißig Jahren zu Prominenz verhalfen. Viel Raum für Experimente lässt das nicht, immerhin erlebte das Genre nicht ohne Grund in den 1990ern einen schnellen Abgang. Hinzu kommt, dass Clarke’s Klar-Gesang diese leicht langweilige Note in sich trägt, die sich eine Vielzahl von Prog-Rock-Sängern teilt. Dem eigentlich schön geschriebenen Chorus von „The Gnashing“ nimmt das leider komplett an Strahlkraft, sodass selbst das intensive Instrumental da nicht mehr viel retten kann. An anderer Stelle – „Other Language“ etwa – passiert über derart lange Zeit so wenig, dass man die Augen bereits zufallen spürt.
Natürlich ist das musikalisch alles fein ausgearbeitet und auch die Transitionen von Part zu Part sind ausgefuchst. Und ja: Auch die Produktion klingt super. Über 54 Minuten sind die rein shoegazigen Songs von „Infinite Granite“ jedoch zu undicht bestückt und missen Innovationen älterer Deafheaven-Stücke. Mit der stilistischen Entwicklung der Band verhält es sich daher ein wenig wie mit einem Schaumbad. Lässt man den Schaum weg, wird der Körper irgendwie schon sauber, die ganze Prozession macht aber nur noch halb so wenig Spaß. Und Spaß haben wollen wir ja doch alle ab und an.
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“langweilige Note […], die sich eine Vielzahl von Prog-Rock-Sängern teilt”
Habe bei dieser Zeile sehr laut JA gerufen.