Helene Fischer – Die Helene Fischer Show: Meine Schönsten Momente Vol. 1

Review: Helene Fischer mit ihrer neuen Show-Compilation: Aua.

Da ist sie auch schon wieder! Man mag es nicht glauben, aber Helene Fischer hat tatsächlich pausiert. Das war bitternötig. Gerade in den Jahren 2017 und 2018 war Helene dermaßen omnipräsent, wie es aktuell nur Corona ist. Sie war überall, zu jeder Zeit. Doch im letzten Jahr gönnte sich die mittlerweile 36-jährige Entertainerin, die zu den Topsellern der Welt gehören darf, ein wenig Verschnaufzeit, um 2020 wieder anzugreifen. Das ging natürlich durch die seit Monaten anhaltende Pandemie gewaltig schief, sodass auch der vielfachen Rekordhalterin irgendwo Grenzen gesetzt werden mussten.

Dabei ist gerade in der letzten Woche eines jeden Kalenderjahres dieser eine gewisse Abend ihrer. Am ersten Weihnachtstag strahlen die öffentlich-Rechtlichen die Die Helene Fischer Show aus. Eine Gala, die sich anfangs bei ihren Gästen noch an überwiegend nationalen Künstler*innen aus der Schlager-/Volksmusik-Szene orientierte und sich bis zur neunten und bis dato letzten Ausgabe zum äußerst beeindruckenden Aufgebot entwickelte. 2019 gaben sich nicht weniger als 20 unterschiedliche Musiker*innen und mehrere der größten Showproduktionen Deutschlands die Klinke in die Hand. Ein Auftritt in der Helene Fischer Show = ein Ritterschlag?

Nun ja. Selbstverständlich präsentiert das in der Sowjetunion geborene Multitalent nicht einfach ihre Entdeckungen des Jahres, moderiert sie an und schaut daraufhin beflügelt aus dem Publikum zu – Helene singt mit. Immer. Helene „verfeinert“ quasi mit ihrer typischen Art jeden Song. Der Auftritt der Künstler*innen allein genügt nicht. Da 2020 die Helene Fischer Show ebenso ausfallen muss wie alles andere auch, hat Helene herself (oder so ähnlich) die bisherigen Ausgaben durchforstet und ein Best Of zusammengestellt. Produktname: Meine Schönsten Momente Vol. 1.! Anschnallen, nochmal tief durchatmen und ab geht’s.

Eigentlich sollte, wie bereits erwähnt, in diesem Jahr das Comeback sein. Das letzte Studioalbum liegt mittlerweile dreieinhalb Jahre zurück. Fans sitzen auf heißen Kohlen. Die meisten lassen sich aber wohl zu gerne auf den Rückblick ein, den Helene nun auf zwei CDs und auf Wunsch mit Bonus-DVD/-Blu-Ray zur Verfügung stellt. Am 25.12. wird als Ersatzprogramm das Videomaterial auch im TV gezeigt. Wir konzentrieren uns jedoch ausschließlich auf die Audio-CDs. 40 Live-Auftritte an der Zahl, 157 Minuten Musik. Im Vergleich zu vielen anderen Veröffentlichungen aus aktueller Zeit ist das in der Tat ein gern gesehener Umfang. Inhaltlich sollte das Ganze jedoch äußerst differenziert betrachtet und mit Vorsicht genossen werden.

Bevor es heißt, wir wettern gegen sie: Helene Fischer ist eine gute Sängerin. Das ist ein Fakt. Sie kann wirklich gut singen. Ob einem die Art des Gesangs zusagt, ist Geschmacksache – ihr Können nicht. Außerdem hat die Frau Kondition, sieht nicht schlecht aus und weiß sich zu verkaufen. Kleine Punkte, die immer beim Beurteilen ihrer Arbeit miteinfließen sollten. Und selbst bei ihrer eigenen Musik kann man sagen, dass sie einige große Hits gelandet hat. Hits, die – obwohl es sich um Pop-Schlager handelt – erst seit ihrem Erfolg überhaupt die Chance haben, die Singlecharts zu dominieren. Helene hat das Genre einem breiteren und vor allen Dingen jüngeren Publikum zugänglich gemacht. Das verdient Respekt und Achtung. Trotzdem handelt es sich aber bei Meine Schönsten Momente Vol. 1 eben nicht um ein neues Album mit teils kitschigen, teils aber auch Ohrwurm-lastigen Pop-Schlagern, die Schützenfeste, den Ballermann, Mädelsabende, Gay-Clubs und Gelegenheitshörer aller Altersklassen gleichzeitig gefallen, sondern um eine Compilation mit vielen erfolgreichen Songs großer Künstler*innen, mit denen Helene in ihrer großen Gala vermag zu singen.

Jetzt ist Namedropping angesagt. Denn wer überhaupt alles sich bereiterklärt hat, bei der Helene Fischer Show aufzutreten, ist fast schon surreal. Aus der nationalen Riege: Mark Forster, Kerstin Ott, Max Giesinger, Gregor Meyle, Maite Kelly, Peter Maffay, Matthias Schweighöfer. Langweilig? Gut, wie wäre es dann mit Queen & Adam Lambert, Tom Jones, Leona Lewis, Kiefer Sutherland, Gregory Porter, Sunrise Avenue, Bryan Adams, James Blunt, Luis Fonsi, Nick Carter (Backstreet Boys), Rea Garvey. Ja, diese Personen befinden sich alle auf ein und derselben CD. Nein, es ist weder eine Veröffentlichung der „Ultimativen Chart Show“ noch eine „Bravo Hits“ und auch kein Mixtape von Papa für den Schrebergarten. Es ist wirklich die Gästeliste auf der Helene Fischer Show-CD – und zwar lediglich ein Ausschnitt. Gleicht das größenwahnsinnigem Narzissmus oder handelt es sich um harterarbeiteten Erfolg, der Anerkennung verdient? Schwierig zu sagen.

Was kann bei solch einer Vielzahl von Sänger*innen mit meistens überdurchschnittlichem Talent überhaupt schiefgehen? Ein wesentliches Problem liegt bereits darin, dass häufig der Gesang in den Shows vom Band kommt. Somit befinden sich auch auf den CDs zwar Liveapplaus, aber eben nicht immer Livegesang. Gerade bei den Songs, zu denen einfach die Studioversion genommen wurde und Helene ein bisschen drüber singt, wirkt eine Veröffentlichung unnötig und schlichtweg überflüssig („Euphoria“ (feat. Loreen), „OK“ (feat. James Blunt), „Regenbogenfarben“ (feat. Kerstin Ott)). Wirklich gut, gelungen und interessant wird es immer dann, wenn man von der ursprünglichen Struktur abweicht und probiert etwas Neues zu kreieren – und tatsächlich lassen sich da einige Titel finden, bei denen es sich lohnt zuzuhören („When You’re Gone“ (feat. Bryan Adams), „Sexbomb“ (feat. Tom Jones), „It’s My Life“ (feat. Sunrise Avenue) im Original von Bon Jovi).

Doch damit nicht genug: wer die Show schon einmal gesehen hat, weiß, dass Helene Fischer alles immer ganz toll, ganz besonders, ganz aufregend findet und sich so unglaublich auf den daraufhin auftretenden Gast freut. Sie hätte da ja vor ein paar Monaten was entdeckt und daraufhin die Interpret*innen in ihre Show eingeladen. Sie oder ihre kluge, avancierte Musikredaktion? Whatever. Bei vielen Liedern hat man das Gefühl, dass es sich um ein Ablaufen von Stationen handelt. Es ist quasi unmöglich, gar keine*n Gastsänger*in gut zu finden – egal, welchen Musikgeschmack man selbst eigentlich hat. Für jede*n Musikhörer*in wird was geboten. Genau das macht es aber am Ende nicht abwechslungsreich und toll, sondern unauthentisch und kalt.

Vor großen Rockhits oder Monsterballaden, von denen die Originalinterpret*innen nicht in der Show auftreten möchten („Bring Me To Life“ im Original von Evanescence; „Hello“ (feat. Naturally 7) im Original von Adele) wird genauso wenig Halt gemacht, wie vor Verstorbenen mit kopierter Tonspur („Just Pretend“, (feat. Elvis Presley)). Selbstredend werden Tributes gesungen („Purple Rain“ (feat. Gregory Porter) im Original von Prince, „Merci Chérie“ im Original von Udo Jürgens), absolut zeitlose Klassiker der Musikgeschichte verwurstet („Fields Of Gold“ (feat. Max Giesinger) im Original von Sting) und schlichtweg jeder Hit der letzten Jahre ohne Feeling zersungen („Shallow“ (feat. Roland Kaiser) im Original von Lady Gaga & Bradley Cooper, „Never Enough“ aus The Greatest Showman). Ihre eigenen Hits liefert Helene nur in äußerst überschaubarer Menge. „Atemlos Durch Die Nacht“ klingt in einer sphärischen Variante im Duett mit Jodlerin Melanie Oesch anders und unterhaltsam, „Herzbeben“ mit Stephanie Stumph wird hingegen unangenehm beim Einsatz der Gastsängerin mitten im Playback-Song tiefer transponiert, damit diese auch die hohen Töne erreicht. Was soll das? Zwischendrin tauchen glücklicherweise immer mal wieder gesanglich beeindruckende Augenblicke auf („Make You Feel My Love“ (feat. Michael Bolton)), um den schaurigen Moment von den Minuten zuvor zu übertünchen.

Der größte Kritikpunkt gen Ende: diese Compilation probiert schamlos jeder/jedem zu gefallen. Für die 90er-Fans muss es ein BackstreetBoys-Medley sein, für Omis & Opis etwas Gejodeltes auf Österreichisch („Heast as net“ (feat. Ina Regen)), um einen Flashback an die eigene Hochzeit auszulösen gibt‘s das unausweichliche „Hallelujah“ von Cohen (feat. Rea Garvey), für Klassik-Liebhaber etwas mit Andrea Bocelli („The Prayer“), für Sommerurlaubsfeeling etwas auf Italienisch und Spanisch („Per Il Resto Tutto Bene“ (feat. Eros Rammazzotti), „Despacito/Échame La Culpa“ (feat. Luis Fonsi)) und selbst alternative Arthaus-Zuschauer*innen kommen um „Falling Slowly“ aus Once nicht drumherum. Hier mit Gregor Meyle. Eine Setlist wie eine To Do-Liste. Check, check, check, check, check.

Offensichtlich ist es verboten, Helene Fischer doof zu finden. Früher oder später wird man wahrscheinlich irgendeine/n der Künstler*innen, die sich auf Die Helene Fischer Show: Meine Schönsten Momente Vol. 1 befinden, bei Spotify anklicken und durch geschickte Weiterleitung auch auf der Duett-Version mit Helene landen – ob man will oder nicht. Man muss. Und genau das ist es, was diese CD unangenehm macht. Es sind nicht die Songs an sich und auch nicht die Gesangsqualitäten der Beteiligten. Nein. Es ist die Dreistigkeit, mit der viele tolle Titel ohne jegliche Atmosphäre am Fließband erbarmungslos heruntergerasselt werden. Wer das hier ernsthaft feiert, hat Musik als Kunstform oder Kulturgut leider nicht richtig verstanden.

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