Helge Schneider – Mama

Cover von Helge Schneiders Album "Mama".

Neulich zappte ich gelangweilt durch die Glotze. Eine niederschmetternde Ansammlung  halbgarer Unterhaltung machte sich vor meinen Augen breit: Auf ProSieben liefen Vorberichte für den nächsten Zweikampf von Z-Promis zur tausendsten Ausschlachtung von Schlag den Raab, auf RTL wurden neuerliche Tiefpunkte aus dem Leben eines gewissen Michael W. erörtert, während bei Tele 5 mal wieder ein Sahneschmanker – wohl aus der Rubrik „Die schlechtesten Filme der letzten 30 Jahre“ – das Gesamtbild abrundete. Immerhin gab es noch Sport. Ich schaltete runter ins Öffentlich-rechtliche und fand tatsächlich etwas Brauchbares. Die deutschen Meisterschaften im Zehnkampf und Siebenkampf wurden trotz Corona live aus dem oberbayrischen Vaterstetten übertragen. Endlich mal etwas Sehenswertes! Schon seit jeher bewunderte ich die Vielseitigkeit der Athleten, die sowohl schnell laufen, weit und hoch springen als auch technisch akkurat und effektiv verschiedenste Wurfdisziplinen zu meistern wussten. Doch nicht nur in der Welt des Sports, sondern auch auf anderen Ebenen polarisieren Multitalente. 

Adaptiert man den Zehnkampf beispielsweise auf musikalische Gefilde, stolpert man schnell über junge, aufstrebende Namen wie Jacob Collier oder Tash Sultana, die mit live eingespielten Loops an den verschiedensten Instrumenten – Disziplinen – ihr Publikum in Verzückung setzen. Dabei vergisst man häufig einen, dessen Name zumindest jedem ein Begriff sein sollte: Helge Schneider.  

Skurril aber kunstvoll

Der mindestens ebenso geniale Alleinunterhalter und Multiinstrumentalist Helge Schneider zieht seit Ende der 70er Jahre seine Kreise im deutschen Unterhaltungsmilieu. In seinem nun schon 13. Streich, dem neuen Album „Mama“ kommt natürlich wieder sein Ureigener Humor zum Tragen, der vielleicht nicht jedes Gemüt bedient. Allerdings ist die Tatsache, dass der fast 65-jährige Tausendsassa auch auf seiner neuen Platte zusätzlich zu seinem Gesang jedes Instrument höchstselbst eingespielt hat, mehr als beeindruckend. Es kommt einem so vor, als würde ein ganzer Trupp Jazzmusiker in einer gemütlichen kleinen Kneipe stehen, und locker flockig ihr Jahrzehnte lang einstudiertes Programm abspulen. Aber auf „Mama“ spielt nur einer: Helge. Helge am Kontrabass, Helge am Klavier, Helge an der Gitarre. Das ist die Grundbesetzung für die meisten Stücke. Komplexer wird es, wenn in „Heute Habe Ich Gute Laune“ (Helge am Vibraphon) oder „Ich setz mein Herz bei Ebay rein“ (Helge am Cello und an der Trompete) verschiedenste Instrumentalfamilien aufeinander treffen. Jeder, der schon einmal das Spiel auf einem Streich- und einem Blasinstrument parallel gelernt hat, weiß wovon ich rede. Und als Saxofonist kann ich sagen, dass  sein Spiel an diesem Instrument („Der Boss“) durchaus kein laienhaftes Getröte, sondern gekonnt ist.

Insgesamt hört sich die Platte durchaus gelungen an und hat an der einen oder anderen Stelle sogar Ohrwurmcharakter  – entspannte Jazzathmosphäre mit waschechtem „Helgehumor“ eben. Thematisiert werden unter anderem aktuelle gesellschaftliche Strömungen wie die Health-Bewegung („Die Neue Mode“) oder das Zuhausesein („Forever At Home“) im Zuge der Corona-Krise. Trotz der urigen Aufnahmequalität geht beim bloßen Zuhören ohne die visuelle Erscheinung Schneiders jedoch viel Komik verloren. Neben seiner Multiinstrumentalität gilt der gebürtige Mülheimer nämlich auch als vortrefflicher Comedian und Schauspieler. Seine Erscheinung, seine Mimik und sein gespielt tattriges Gebaren haucht den Songs da sicherlich noch einmal richtig Leben ein. Denn Helge Schneider jongliert zwar auch auf „Mama“ mit den verschiedensten Disziplinen der Alleinunterhaltung, aber am besten genießt man ihn live auf der Bühne.

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Und so hört sich das an:

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Helge Schneider live 2020:

06.09. – Berlin, Waldbühne
09.09. – Hamburg, Cruise Inn
10.09. – Dresden, Freilichtbühne Junge Garde
12.09. – Bonn, Kulturgarten
18.09. – Lennestadt-Elspe, Elspe-Festival

Die Rechte für das Cover liegen bei Roof Music.

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