Lange ist es her, dass Taylor Swift nur mit einer Gitarre ausgestattet zuckersüßen Country-Pop veröffentlichte, mit dem sie schlagartig Fans auf der ganzen Welt gewinnen konnte. Swift selbst ist mittlerweile eine Institution und spätestens seit “Reputation” meilenweit vom unschuldigen Country entfernt. Gerade in den USA befindet sich das Genre dennoch im Aufschwung, wie auch die Erfolge von Brandi Carlile oder Luke Bryan zeigen – moderne Interpretationen eines alten Genres. Mit Pop kokettiert von diesen jedoch niemand so offensichtlich wie einst Swift. Doch da ist ein neuer Stern in Sichtweite, der mit Ohrwurm-Melodien und naiven Texten bereit ist, die Welt zu verzaubern. Dafür reicht ihr eine Gitarre. Die Rede ist von Jade Bird, einer erst 21-jährigen Britin, die einem sonst klassisch US-amerikanischen Genre den frischen (Indie-)Pop-Stempel aufdrückt.
Dabei wird es glücklicherweise nie kitschig-käsig, dafür aber immer wieder überraschend selbstbewusst und kräftig. Bereits vor dem Release des Debütalbums darf sich Bird über einige wahnsinnig erfolgreiche Singles freuen – sowohl “What Am I Here For” als auch “Lottery” oder “Uh Huh” wurden millionenfach gestreamt. Kein Wunder, diesen Songs kann man sich kaum entziehen. Alben stehen im Jahr 2019 jedoch auf einem ganz anderen Blatt. Schließlich genügt es den großen Acts, zwei oder drei Songs pro Werk in den Charts und Playlists zu platzieren, um Erfolge zu landen. In der Gesamtheit durch Konzepte glänzende Alben sind meist eher für den Underground oder andere Genres interessant. So stellt sich auch vor dem Release von “Jade Bird” natürlich die Frage, mit welcher Strategie tolle Songs wie eben “Uh Huh”, “My Motto” oder “I Can Get No Joy” eingebettet werden, um eine besondere Dynamik oder Atmosphäre zu ermöglichen.
Auflösung: Bird setzt in ihrem Album auf simples, nahezu schon naives Songwriting, das sich beispielhaft am bekannten Codex für gelungene Ohrwürmer abarbeitet. “Ruins” handelt von einer schwierigen Liebe und eröffnet traditionell ruhig, “My Motto” ist die klassische Ballade zum “Harte Schale, Weicher Kern”-Komplex, bei “Good At It” kommen Hand Claps zum Einsatz, “Going Gone” setzt auf “1,2,3,4”-Abzählerei und mit “If I Die” schließt das Album wieder sehr dramatisch ab. Mit Abstand zentralstes Thema: Die Liebe. Kein doppelter Boden, keine Überraschungen, aber eben auch keine Patzer. Simpler könnte ein Album eigentlich kaum funktionieren, doch genau das ist auch das, was Jade Bird 2019 so besonders macht. Wo sich andere in Trends und erzwungene Kreativität flüchten, kennt die Britin ihre Stärken.
Und genau mit diesen kann sie auch durchweg begeistern. Gerade im intimen “Does Anybody Know”, einzig von Birds Stimme und Gitarre getragen, fühlt man sich der Sängerin unglaublich nah, “Uh Huh” und “Love Has All Been Done Before” haben so einnehmende Melodien und Akkordwechsel, dass man sich am liebsten direkt die Klampfe schnappen und mitgröhlen möchte, “If I Die” thematisiert – Überraschung – den Umgang mit dem eigenen Tod in wirklich bewegender Weise. Singen sollen die Menschen, wenn Bird nicht mehr da ist – so dass sie irgendwie eben nicht ganz weg ist. Auch wenn Bird noch am Anfang ihrer Karriere steht und uns hoffentlich noch lange erhalten bleibt, ist zumindest eins klar: Mit einem so charmanten Einstieg ins Musikbusiness wird sie so schnell sicher nicht vergessen. Manchmal kann es eben doch so einfach sein.
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