Mit gleich zwei Alben innerhalb eines halben Jahres, die thematisch nichts miteinander zu tun haben, ist der Output von Jessie J nicht nur im Jahr 2018 rekordverdächtig ausgefallen, sondern auch generell außergewöhnlich ausgiebig. Im Mai gab es die Konzeptplatte „R.O.S.E.“ (lest HIER nochmal unsere Kritik) mit 16 Tracks, die musikalisch überraschten und das Album mit zum besten und anspruchsvollsten Pop des Jahres werden ließ – seit Ende Oktober gibt es nun „This Christmas Day“ und damit die ersten Weihnachtssongs aus dem Hause Jessica Ellen Cornish. Und dieser Fakt holt dann die Kirche wieder zurück ins Dorf, sodass es mit „R.O.S.E.“ zwar ordentlich viel neues Material und neuen Sound gab, dieser aber beim aktuellen Longplayer dann umso spärlicher ausfällt. „This Christmas Day“ liefert gerade einmal 35 (!) Minuten Musik auf elf Songs aufgeteilt, wovon zehn Coverversionen sind und nur ein selbstgeschriebener Beitrag von Jessie dazu gesteuert wird.
Das erstmal zu den groben Fakten. Weihnachtsmukke hat’s bekanntlich nicht ganz einfach. Lieber neue Songs, die es nur schwer in die Riege der großen Christmashits schaffen oder stattdessen zu erwartende All Time-Favs aufwärmen? So wirklich allen Recht machen, kann man es für gewöhnlich nie – und leider gelingt es auch dem womöglich größten Gesangstalent der letzten 10 Jahre ebenso wenig. Was denkt ihr, welche Songs könnten sich wohl auf einem Weihnachtsalbum befinden? Denkt an Evergreens und ihr werdet schnell fündig: „Santa Claus Is Comin‘ To Town“, „Rockin‘ Around The Christmas Tree“, „Jingle Bell Rock“, „Jingle Bells“, „Rudolph the Red-Noses Reindeer“, „Let It Snow“, „Winter Wonderland“, „Silent Night“, „White Christmas“. Wahnsinn. Das gab’s ja noch nie. Wenigstens wurden von „Last Christmas“ und „All I Want For Christmas Is You“ die Finger weggelassen. An Kreativität mangelt es „This Christmas Day“ auf vollster Linie. Aber: Wo Jessie J draufsteht, ist zum Glück auch irgendwo Jessie J drin. Gesanglich ist das hier alles gut abgeliefert, interpretatorisch aber auch nicht komplett außergewöhnlich. Jessie J singt wie immer makellos, aber auch etwas zurückgenommen. Da hätte man durchaus mehr rausholen können. Wirklich schade sind stattdessen die berechenbaren Arrangements, die sich alle in Swing/Jazz/Big Band-Geschenkpapier einwickeln und mit roter Schleife eingeschnürt werden – sieht auf dem ersten Blick sehr schön aus, ist aber eben auch langweilig.
Es ist wirklich nicht ganz einfach, einer so überragenden Sängerin so wenig Probs geben zu dürfen. Aber de facto ist „This Christmas Day“ zu 80% Fahrstuhlmusik. Ganz besonders auffällig fällt die Hintergrundbeschallung bei „Let It Snow“ aus. Bei den Instrumentalparts geschehen keine beeindruckenden Soli sondern Filler, die jedes Keyboard abspielen kann. Gott sei Dank stellt die Platte trotzdem keinen Totalausfall dar! Bei dem in Amerika überaus bekannten „The Christmas Song“ liefert die Britin das erste und leider einzige Mal emotionale Tiefe und berührt. Den Track konnte man schon von vielen Großen in weniger gut hören. Intimität, Persönlichkeit, echtes Saxophon und Charme. Wo zur Hölle ist das alles beim Rest? Das Duett „Winter Wonderland“ mit Boyz II Men ist ok, mehr aber nicht – auch hier wurde viel Potenzial in unspektakulärer Produktion zum Verpuffen gebracht. Mit dem einzigen selbstgeschriebenen Song „This Christmas Day“ wird dem Hörer mehr abverlangt, weil eben ungewohnt – herumgekommen ist ein Liedchen, das im Beat ein wenig an „I’m Not The Only One“ von Sam Smith erinnert, Chor mitbringt und sich als eine durchschnittliche Weihnachtsballade entpuppt. Nach einer guten halben Stunde ist die gesamte Bescherung schon durch, dabei hat sie gefühlt gar nicht wirklich angefangen.
Jessie J hat auf ihrem Instagramprofil gepostet, dass sie für eine Weihnachtsplatte außerordentlich spät dran war und sich beeilen musste. Das hört man. Wie wunderbar wäre es gewesen, eine würdige „O Holy Night“-Interpretation zu hören? Oder ein „Fairytale Of New York“ mit einem ihr gewachsenen Kollegen? Oder eine weihnachtliche Version eines ihrer eigenen großen Songs, z.B. „Who You Are“? Wäre. So befindet sich nach dem Auspacken des Geschenkpapiers doch überwiegend verbranntes Weihnachtsgebäck im Inneren statt schmackhafter Kokosmakronen.
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