Jessie Ware – What’s Your Pleasure?

Jessie’s back. Nein, nicht Jessica Simpson. Auch nicht die von den No Angels oder von Tic Tac Toe. Nicht mal Jessie J. Von Jessie Ware ist die Rede. Die teilt sich zwar mit der „Price Tag“-Sängerin die Londoner Herkunft, nur leider nicht den gleichen Erfolg. Trotz immer wiederkehrender, gehaltvoller Musik ist der Funke bei der breiten Masse bisher nur aufgeflimmert statt übergesprungen.

Mit „Devotion“ (2012), „Tough Love“ (2014) und „Glasshouse“ (2017) lieferte die 36-jährige bereits dreimal UK-Top Ten Alben-Kost ab und kassierte für ihr Debüt sogar Gold, ebenso für die Single „Say You Love Me“. Bei uns reichte es bisher nur für eine Woche in der Top 100 – aber hey! Was nicht ist, kann ja noch werden. Fast drei Jahre vergingen zwischen der letzten Platte, die uns 2018 auch live überzeugte (lest HIER nochmal unseren Bericht aus Köln) und mit „Selfish Love“, „Your Domino“ und „Sam“ einige tolle Underground-Popperlen bereithielt. Nun lässt die eigenwillige Künstlerin mit einer mehrwöchigen Corona bedingten Verzögerung What’s Your Pleasure? auf die Fans los und überrascht abermals mit einem untypischen Sound.

Verließ sich „Glasshouse“ vor drei Jahren auf eher Dark-Pop-artige Stücke à la Lana del Rey in Light-Form, bleibt eigentlich nur die mystische, deepe Atmosphäre bestehen. Die Beats werden hingegen ausgetauscht und ballern besonders in der BPM-Zahl überraschend schnell auf den Zuhörer ein. Die Produktion von What’s Your Pleasure? hat James Ford nahezu im Alleingang erledigt – der hat bereits zig Male für Kultbands wie die Arctic Monkeys, Depeche Mode oder Florence + The Machine die Regler bedient. Statt zu viel Brit-Pop zu atmen, springt aber die neue Ware auf den gerade äußerst nach vorne preschenden Retro-Dance-Zug auf. Haben Dua Lipa, The Weeknd und Lady Gaga bereits dieses Jahr mit ihren Alben ordentlich 80s- und 90s-Vibes gezaubert, springt Jessie Ware noch ein paar Momente weiter in der Zeitreise und entpuppt sich als 70s-Disco-Püppi.

Schwere Kost adé – geschwungenes Tanzbein olé! Jessie wirft bekannte Sounds einer Donna Summer und Diana Ross als Basis in den Kochtopf, würzt das Ganze mit „Off The Wall“-Erinnerungsfetzen eines Michael Jackson und garniert das Resultat mit dem Groove einer Kylie Minogue. What’s Your Pleasure? sprengt die für 2020 äußerst seltene Länge von mehr als 50 Minuten Laufzeit und serviert fast eine Stunde lang ein Dutzend Titel mit ordentlich Pfeffer im Hintern. Derbe Basslines sind allgegenwärtig, der Gesang klinisch-kühl, die Synthesizer zocken sich kaputt. Das macht gerade in der ersten Hälfte äußerst Laune und liefert Tracks für den Alternative-Club, eine sommerliche Autofahrt und die Home-Party gleichermaßen. Ab Song 7 lässt der Ideenreichtum dann aber doch etwas nach.

Für Vocal House-Fans geht’s mit „Save A Kiss“ Richtung Tanzflächenschwof bis zum Morgengrauen, „Spotlight“ frisst sich als fünfeinhalbminütiges Opening gleich in den unverzichtbaren Hüftschwung und „Soul Control“ ist dank seiner verspielten Art das catchy Highlight. „Adore You“ nimmt mit seinen melancholischen, berührenden ersten zwei Minuten viel Fahrt raus, was dem Ganzen aber gut tut, um dann zum Ende hin mit elektronischen Soundeffekten in die B-Seite einzuleiten. Der „Upside Down“-Diana Ross-Klon „Step Into My Light“ und das darauffolgende „Read My Lips“ klingen jedoch etwas zu stark nach den Anfängen des Albums und haben wenig neue Facetten hinzuzugeben. Dafür entpuppt sich das von nicht weniger als elf Songschreibern gebastelte „Mirage (Don’t Stop)“ als zweiter Spitzentrack, der laszive Frauenvocals auf Daft Punk-Rhythmen treffen lässt. Dieser mögliche Hit wird nur durch das melodisch mehr als gelungene „The Kill“ getoppt, das quasi den Mittelweg zwischen den hervorragenden sphärischen Jessie Ware-Momenten der Vorgänger und dem treibenden Dance des Neuwerks trifft und durch spannende Ergänzungen wie einem Bläser- & Choroutro alles richtig macht.

Trotz ihrer berührenden Stimmfarbe bleibt die Briten auch auf ihrem vierten Output What’s Your Pleasure? unnahbar. Macht aber nix. Final steht ein in sich stimmiges, unaufdringliches, dennoch cooles und schlüssiges Album mit einigen besonders atmosphärischen dichten Liedern, die mutig von der typischen 3-Minuten-Spotify-Länge abweichen und mitzureißen wissen, wenn auch nicht immer durchweg begeistern. Jessie Ware wird auch damit wohl den großen Wurf nicht schaffen, spendiert aber für anspruchsvolle Pophörer eine ordentliche LP, die sich anzuhören lohnt.

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