Eigentlich müsste ich einen Hut tragen. Allein schon, um diesen vor John Cale zu ziehen. Es ist ein gutes Jahr her, dass ich ihn zuletzt live sah und anschließend ziemlich – ja, sagen wir es ruhig so – „geflasht“ die Muffathalle verließ und mir so in etwa dachte: „Wow, wenn ich mit über 80 Jahren auch nur ansatzweise so gut beisammen bin, dann bin ich ein glücklicher Mensch.“ Genau dieser John Cale veröffentlicht mit „POPtical Illusion“ nun ein weiteres neues Album, bei dem er den Pop zwar im Titel großschreibt, was aber wohl eher als Spielerei zu sehen ist, denn wer hier den Pop sucht, wird feststellen, dass dieser wohl doch eher eine Illusion ist (um noch einmal beim Albumtitel zu bleiben). Das Gewöhnliche bleibt John Cale auch nach sechs Jahrzehnten eher fremd, wenngleich es natürlich harmonisch zugehen darf dabei.
Wie man das verstehen kann, zeigt zum Beispiel ein Titel wie „I’m Angry“, der gar nicht so richtig „angry“ klingen mag. Über Orgel-Klängen mit elektronischen Patterns singt John Cale zwar harmonisch, aber wirkt doch irgendwie nachdenklich, was nicht verwundert, wenn man bedenkt, dass es um eine in die Brüche gegangene Freundschaft geht. Wenn er aber diese persönliche Ebene verlässt, wird es schon eher „angry“. „Company Commander“ denkt über die politische Situation der USA nach, wo es mit einem dröhnenden Klangbett, bedrohlicher Atmosphäre und eindringlichem Gesang auf der einen Seite ungemütlich wird, man aber auf der anderen Seite auch gebannt ist vom Schaffen des Musikers. Hier wie da fällt auf: Die eingangs Abwendung vom Gewöhnlichen ist spürbar – das klassische Schema mit Strophen und Refrain sucht man vergebens.
Folgt man dem vorherigen Absatz, sollte man sich aber auch nicht völlig in die Irre führen lassen. Dem klassischen Songformat abgeschworen hat John Cale nicht, das ist schon noch vorhanden. Das kann auch rocken, wie gerade „Shark-Shark“ beweist. Das Stück zeigt deutlich, wo John Cale herkommt und rumpelt, wie man es einem einstigen Velvet Underground-Musiker sehr gut zutraut und sich von Zeit zu Zeit auch erhofft. Oder auch „How We See The Light“, im mittleren Tempo und auch sehr um Harmonie bemüht, das tatsächlich doch noch den Pop aus dem Albumtitel zumindest ansatzweise streift, während Cale hier gleichermaßen nach vorne und zurück schaut.
Wie man es dreht und wendet, wo man auch die Vergleichspunkte ansetzt: Auf der einen Seite ist da der John Cale, der mit seinem Schaffen absolut für sich steht, auf der anderen Seite aber auch der John Cale, bei dem sich immer wieder Querverweise finden, obwohl er sich nie der Weiterentwicklung verschließt. Wenn er also in „Edge of Reason“ die Zeile „Fear Is A Man’s Best Friend” singt und somit einen lyrischen Verweis auf das gleichnamige Stück von vor rund 50 Jahren anbringt, so ist man zwar erfreut darüber, diesen Verweis gefunden zu haben, aber nimmt ihm diese Aussage zumindest musikalisch nicht ab. Dafür ist sein Schaffen viel zu eigen. Auch heute auf „POPtical Illusion“ noch.
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Und so hört sich das an:
Die Rechte am Album-Cover liegen bei Domino Recording Company.
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