Juli – Der Sommer Ist Vorbei

juli der sommer ist vorbei

Dass man die Augen verdreht, wenn man hört, es gibt ein neues Deutsch-Pop-Album, war nicht immer so. Kann man es sich 2023 kaum noch vorstellen, war Deutsch zu singen mal richtig mutig. Eigentlich gab es elendig lang nur Schlager. Und Rosenstolz. Und Pur. Oder eben Indie-Wellen, die aber nie den ganz großen Durchbruch schafften. Doch dann kamen in der ersten 2000er-Hälfte Wir sind Helden. Und Silbermond. Und Juli. Und damit ein Bekenntnis zur Sprache, die man eben sprach, wenn man die Bühne wieder verlassen hatte und gemeinsam im Backstage saß. Ein Stück mehr Authentizität und weniger Scheinwerferlicht.

Als die Neue Deutsche Welle ihre Renaissance feierte, war der Anspruch eindeutig ein anderer. Das, worüber man sich heute textlich echauffiert, weil zu plakativ und öde, hätte in den 2000ern den Stempel „Das sind doch mal gute Lyrics“ kassiert. Eva Briegel und ihre vier Jungs, die gemeinsam Juli formen, waren 2004 bei ihrem Durchbruch Anfang bis Mitte 20. Zweifellos halten „Geile Zeit“ und wahrscheinlich „Perfekte Welle“ noch einen Tick mehr den damaligen Zeitgeist wunderbar fest. Viel machen, aber nicht ganz so viel grübeln. Weit weg davon, perfekt sein zu wollen, stattdessen eher entspannt und straight zu wirken. Das zündete und begeisterte, weil es nicht nur in den Worten, sondern auch im musikalischen Auftreten und Können Identifikationsfläche bot. „Die sind so wie wir“.

Und seitdem ist Deutsch-Pop eigentlich immer da. Ein Teil von ihm wurde zum Deutsch-Rap, einer zum Pop-Schlager, einer zum wahnsinnig dröge gewordenen Singer/Songwriter, einer erneut zum Indie. Juli haben sich dort offensichtlich sehr lange in keiner der Trendwellen mehr gesehen und stattdessen den stets weniger werdenden Erfolg als Zeichen wahrgenommen, erstmal anderweitig zu gucken, was noch geht. Und da ging was. Berlin, Kinder, ein Studium, andere teils gemeinsame, teils getrennte Musikprojekte, mal für Kolleg*innen, mal für sich selbst. Doch im Kern bleibt man emotional wie beruflich miteinander verwurzelt, sodass 2023 genug und fast schon ein, zwei Tage zu viel vergangen sind, um zurückzukehren.

Der Sommer Ist Vorbei ist das erst fünfte Juli-Album in fast zwanzig Jahren und das erste in fast neun Jahren. In so einem Zeitraum verändern sich immer Einstellungen, Wegbegleiter*innen, oft auch Lieben. Also genug Material, um es lyrisch zu verpacken, hat man doch endlich auch wieder etwas mitzuteilen und fühlt sich nicht nur getrieben, etwas mitteilen zu müssen, obwohl es nichts gibt. Hat man einmal das neue Album gehört, muss man auch zustimmen, dass anscheinend jetzt ein guter Moment dafür ist. Nie klang Deutsch-Pop wieder so nach Juli wie Juli es nun eben selbst.

Elf Songs, die nicht versuchen, Neues zu erfinden, sondern eher exakt das Gegenteil anstreben. Sie klingen wie die große Schwester von dem Debüt „Es ist Juli“. Ein wenig geerdeter, eine Spur weniger Pop-Rockig, dafür etwas eher Indie, aber auch nicht wirklich Indie, weil dafür zu uncool. Juli sind auf ihrer neuen LP ganz eindeutig in einem Gefühl. Sie erzählen sich von damals, gleichzeitig probieren sie trotz viel Melancholie das anzunehmen, was gerade ist.

Auch wenn Der Sommer Ist Vorbei kein bahnbrechender Longplayer ist, so ist er aber vor allen Dingen sehr ehrlich. Statt sich intensiv mit dem aktuellen Sound auseinanderzusetzen, nimmt man eher die alten Fans an die Hand und gibt ihnen ein Stück von ihren Coming-of-Age-Years zurück. Das tut gut. Kein Track reißt groß aus, aber das Gefühl, was beim Hören aufkommt, trägt die rund 37 Minuten leichtfüßig, doch gleichzeitig ein wenig verwundet. Der Albumtitel deutet es an: Die Wochen mit viel Sonne sind rum, aber mit dem richtigen Blick hat jede Jahreszeit ihr ganz persönliches Ding zu bieten.

Da gibt es wirklich gelungene Midtempo-Balladen wie „Alles geht weiter“, in dem die Welt nicht aufhört sich zu drehen, wenn die letzte Beziehung mal wieder ad acta gelegt wurde. Fühlt sich schrecklich an, aber es geht. Der Titeltrack im Opening macht mit viel Echo-Effekten, leicht verschobenen Harmonien, dasselbe Spiel und motiviert dazu, sein Skateboard aus dem Keller zu hören und zu gucken, ob man noch fahren kann. Möchte man trotzdem mehr Good Vibes in Ton und Text sind „Fette Wilde Jahre“ sowie „Irgendwann“ gute Tracks, um Energie für den Alltag zu sammeln, da die Neustart-Botschaften überwiegen und mitnehmen. „Vier Wände“ hingegen beweist, dass manchmal die Zeit gar stehen bleibt, hätte es wirklich exakt so ein Song vom Debütwerk sein können.

Juli sind 2000er, nicht 2020er. Juli sind mit ihrem Bandnamen mitten im Zentrum eines Kalenderjahres, doch Der Sommer Ist Vorbei. Ein Album mit Stimmungsmusik. Es braucht den richtigen Augenblick, um für den Flashback bereit zu sein, der weh tut. Besonders beim Rauswurf „In unseren Händen“ kommt man auf den ungefilterten Punkt, was Sache ist. Aber du bist eben nicht mehr so jung, du bist älter geworden. Du konntest sie nicht alle mitnehmen, auch wenn du wolltest. Doch „Es ist gut, wie es ist, es ist schön, wie es war“. Deal with it.

Und so hört sich das an:

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