Jessie Ware – That! Feels Good!

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Die zieht durch. Jessie Ware hat offensichtlich aufgegeben, Trends hinterherzuhecheln – sie setzt sie lieber selbst. Was Madonna in den 90ern immer wieder schaffte, scheint auch die 38-jährige Londonerin nun endgültig für sich entschieden zu haben: Probiere nicht jedem zu gefallen, probiere nicht das, was alle tun, zu kopieren, um einen Hit zu landen, sondern probiere zu erahnen, was bald alle tun.

2020, rund drei Monate nach dem Beginn des ersten Corona-Lockdowns, schickte die äußerst facettenreiche Künstlerin uns auf den Dancefloor. Ja, das machten neben ihr auch Dua Lipa und Lady Gaga ungefähr zeitgleich, aber statt dem Pop einige Dance-Anteile mitzugeben, machte sie es genau umgekehrt. Auf gar keinen Fall zu generisch, auf gar keinen Fall zu anbiedernd – so machte „What’s Your Pleasure“ vieles richtig. Das wurde in ihrer Heimat UK gar mit einem dritten Platz in den Albumcharts belohnt, ihr bis dato höchster Entry. Bei uns hat erneut niemand von ihr mitbekommen, aber mehr als empfehlen können wir dann halt auch nicht.

Sie bleibt ihrem Rhythmus, alle drei Jahre mit neuer Musik um die Ecke zu kommen, treu. So droppt im April 2023 der Nachfolger That! Feels Good!. Ist das etwa ihr nächster Dialoganteil, kurz nach der Frage „What’s Your Pleasure“? Denn eines fällt unmittelbar auf: That! Feels Good! ist mal wieder eine Weiterentwicklung. Jessie Ware bleibt auf gar keinen Fall stehen, wiederholt sich nahezu gar nicht und schwimmt sich kontinuierlich weiter frei von ihren Anfängen, in denen man noch probiert hat, im Mainstream zu punkten.

That! Feels Good! ist kein Mainstream. That! Feels Good! ist abermals Adult-Pop, der sich sogar noch ein Stück weit weniger auf Kompromisse einlässt. Hat sie vor drei Jahren die Retro-Disco eröffnet, indem sie den 70s- und den 90s-Club hat miteinander knutschen lassen, verabschiedet sie sich jetzt gnadenlos von aktuellen Farben und macht ausschließlich die glamouröse 60er- und 70er-Lady. That! Feels Good! klingt wahnsinnig aus der Zeit gefallen, auch wenn The Weeknd Teile davon in seinen Songs mal einstreut – das hier ist konsequent. Und damit ziemlich mutig und waghalsig.

Denn wer mit dem klassischen Feeling einer Donna Summer, Diana Ross, Boney M. oder auch den The Jackson 5 nichts anfangen kann, sollte große Bögen um diese 40 Minuten machen, die sich in zehn Tracks aufteilen und sich für ein Konzept entscheiden. Das ist zwar lyrisch nicht so stark vertreten, aber auditiv wirklich unverkennbar. Schon im Titeltrack-Opening wechseln sich Bläser-Einschübe, Synthie-Sounds, treibende Bassläufe, Percussion und Call & Response-Chöre ab und lassen eine klinische Atmosphäre entstehen. Jessie Ware ist erneut äußerst unnahbar, steht über den Dingen, ist in manchen Teilen gesanglich gar nicht so schnell zu erkennen, probiert es mit Sprechgesang, mit laszivem Geflüster genauso wie mit den höchsten Tönen.

Hat man das akzeptiert, kann man damit ziemlich viel Spaß haben, im Auto die Laune so pushen, dass der Arbeitstag erträglicher wird oder auch beim Putzen zuhause plötzlich fünf Minuten mit dem Wedel in einer überzogenen Choreo landen. Hat man jedoch den Sound über, wird’s verdammt schwierig. Mag man’s herausfinden, sind die Empowerment-Hymne „Free Yourself“ genauso wie das – zugegeben nicht so anders klingende – echt sehr groovige „Freak Me Now“ genau die richtigen Adressen. Jessie Ware mimt die Diva, tritt aber gleichzeitig auch ein wenig hinter den wirklich sehr stark produzierten Beats von Stuart Price und James Ford zurück. Stuart Price hat beispielsweise fast das gesamte „Confessions on A Dance Floor“ von Madonna gemixt, dessen distanzierte Kühle man wiedererkennen kann, wenn man mag. Weitere Highlights seiner Karriere: „Human“ (The Killers), „Get Outta My Way“ (Kylie Minogue). James Ford hingegen kennt ihr von seinem aktuellen Nummer-1-Werk „Memento Mori“ mit Depeche Mode und diversem Zeug mit den Arctic Monkeys.

Einmal wagt Jessie Ware doch so etwas wie Intimität und Ruhe zuzulassen. Kurz vor Ende lässt sie in „Lightning“ die Hörer*innen näher an sich heran, haucht mit sanfter Kopfstimme ins Mikro und macht damit den Abschluss für die After Hour. Aber im Kern ist die Devise „Shake it til the pearls fall off“, wie sie es selbst in „Pearls“ sagt. Funk und Disco, Oldie but Goldie. Alles auf eine Karte. Das klassischere „Renaissance“ . Das kann man machen, das hat in jedem Falle Haltung, ist aber auch hin und wieder etwas anstrengend und nicht so leicht konsumierbar, auch wenn es vorgibt, äußerst leicht zu sein.

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