Junge Männer an Gitarren: Squid – O Monolith

Cover des zweiten Squid Albums "O Monolith".

Es sind keine großen, aber beständige Schritte. Wirklich, es tut sich etwas im stetig vor sich hinalternden Gitarrengewerbe. Junge Menschen – auch anteilig mehr Frauen – finden sich vor, gar auf Bühnen wieder. Immer zahlreicher. Betroffen sind von dieser anlaufenden Epidemie des Guten nicht alle Subsparten gleichermaßen. Sich für verkopft haltende Gitarrenmusik etwa wurde auch in der zurückliegenden Dekade vor allem von älteren, weißen Männern entworfen, eingefangen und auf Bühnen gebracht. Doch selbst hier tut sich etwas. Verantwortlich zeichnet sich dafür unter anderem eine kleine Südlondoner Szene, geschart um den Pub The Windmill. Black Country, New Road, Black Midi oder auch Squid nennen sich die Bands, die aus diesem musikalischen Taufbecken erheben. Um letztere, beziehungsweise deren neues, zweites Album “O Monolith” soll sich dieser Text drehen.

Es lohnt der Blick zurück in das Jahr 2021. Die Karriere von Squid nämlich nahm dort so richtig Fahrt auf. Im Mai erscheint “Bright Green Field”, das Debüt der fünf jungen Männer, alle Mitte zwanzig. Dessen Inhalt: Geduldig gezeichnete blühende Landschaften, vielschichtige musikalische Ausflüge in homogener Ästhetik, zwischen die Zeilen geschmierte Sozialkritik. Die Reaktionen: Beflügelnd. Die anschließenden Konzerte: Eng und voll. Squid nämlich touren so viel es die zu der Zeit noch akuter bestehende Pandemie zulässt. Im Oktober etwa macht die Reisegruppe im Kölner Gebäude 9 Halt. Natürlich, ausverkauft. Da stehen so einige Männer fern der 30, weit älter als sie selbst vor der Band, die sich 75 Minuten lang in Bann spielt. Gleichzeitig aber, in ähnlicher Menge tanzen dort auch junge Menschen aller Geschlechtsidentitäten, in schlichten weißen Unterhemden oder weiten Jeanshosen. Für viele ist es das erste richtige Konzert seit langem. Es wird in Erinnerung bleiben. Nicht nur deshalb, sondern weil es schlicht fantastisch ist und die Band offensichtlich für ihre Musik brennt.

Immer wenn junge Menschen Kultur ausleben, entsteht neues. Mal gänzlich Unbekanntes (etwa: Der Autotune-Überfall auf Rapmusik). Mal alt und neu Vermischendes. Auch Squid entdecken bei ihren Soundexpeditionen kein Genre. Im Gegenteil, die fünf Briten bringen unterschiedliche Subsparten – Indie, Post-Punk, Electronica und Avantgarde – zusammen und ordnen sie komplett Nostalgie-befreit in fremden Maße an. Nebst der bandtypischen Instrumentierung gibt es so analoge Synthesizer, Blechbläser und Geigen. Alle so eingesetzt, dass sie die insgesamt acht Songs bereichern. Mal führen die Saiteninstrumente an, mal die Synthesizer. So manche Komposition, “Swing (In A Dream)” etwa, wäre so auch der Post-Punk-Version eines Radiohead-Albums würdig. “Siphon Song” hingegen beginnt als Vocoder-lastige Drone, die sich anschließend knapp vier Minuten lang auftürmt. “Undergrowth” dann beseitigt auch die letzten Verspannungen: Waren zuvor vor allem Kopf und Nacken in Bewegung, so können sich nun auch Beine und Hüften nicht mehr halten. Percussion-Spielchen sowie funky Bass- und Gitarrenlinien sei dank.

So springen Squid eine gute Dreiviertelstunde zwischen Arrangements und Stimmungen, werden hier laut und dort besonnen. Der größte Bruch mit dem bisherigen Schaffen: Schlagzeuger und Sänger Ollie Judge übt sich nicht ausschließlich in dissonanten Sprechparts. “The Blades” vollendet er wispernd. Und das anschließende “After The Flash” beginnt er gar melodisch singend. Es folgt ein erhabener Moment, geschaffen dafür, tausende Hände in Richtung Himmel wandern zu lassen. Für einen kurzen Moment gar erwartet man die Party-Synthesizer aus dem Break von Safri Duos “Played-A-Live”. Dann aber setzen nur wieder die vertrackt im 5/4-Takt spielenden Gitarren ein. 

Ansonsten erfinden sich Squid auf “O Monolith” nicht neu, ersuchen aber die Grenzen ihrer Mittel und verschieben diese. Der sich im Karriereverlauf konstituierende, in keiner Weise festgefahrene Sound erlaubt solche Nachjustierungen, die so manch lange etablierten Band gut tun würden. Manchmal aber, da sind Fans und Musiker (selten: Musikerinnen) so sehr aufeinander eingestellt, dass keinerlei Bewegung möglich ist. Die Folge: Die schiere Reproduktion wohlbekannter Ansätze. Genau deshalb sind die Entwicklungen um junger Musiker*innen wie Squid und Co mit Kusshand zu begrüßen. Die nämlich treten mit neuen Energien und Ideen an.

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Und so hört sich das an:

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Squid live 2023:

02.07 – Fusion, Larz
25.08 – Nox Orae, La Tour-de-Peliz (CH)
05.09 – Die Kantine Biergarten, Köln
09.09 – KNUST, Hamburg,
13.09 – Festsaal Kreuzberg, Berlin
15.09 – UT Connewitz, Leipzig
16.09 – Mascotte, Zürich (CH)

Die Rechte für das Albumcover liegen bei Warp Records.

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