Schon seit unserer Schulzeit kenne ich japanische Musik hauptsächlich durch meine beste Freundin. Eine ihrer liebsten J-Rock Bands war mir vor allem durch ihren extravaganten Kleidungsstil in Erinnerung geblieben, denn Versailles, so der Name der fünfköpfigen Visual-Kei-Symphonic-Power-Metal-Band, traten meist mit auffälligem Make-Up und in pompösen Abendkleidern auf. Für eine männlich-besetzte Band ein eher ungewohntes Konzept in den frühen 2000ern. Fast fünfundzwanzig Jahre später hat sich der Look der Band ein Stück weit normalisiert – unter anderem durch den K-Pop-Boom der letzten Jahre blieben asiatische Konzepte von Männern in Schminke und Röcken in der Gesellschaft und Musikszene keine Seltenheit mehr.
Als meine Freundin mir erzählte, dass Kamijo, der Sänger ihrer Lieblingsband Versailles, für ein Solokonzert nach Köln kommen würde, war ich dennoch neugierig. Die Band gebe es wohl noch, würde aktuell aber keine neue Musik veröffentlichen. Das Solokonzept des Sängers sei dem der Band aber recht ähnlich. Sie erklärte mir, Kamijo und die anderen Member seien begeistert von der Welt der Adligen, inspiriert von der französischen Renaissance, sowohl musikalisch als auch vom Kleidungsstil. „Ein majestätischer Vampirprinz, der Heavy Metal mit einem epischen Orchester paart“ – so die Beschreibung meiner Freundin.
Ich war daher sehr gespannt, was mich am 14.06.2024 beim Konzert von Kamijo in Köln erwarten würde. War das Konzept des japanischen J-Rock Künstlers für mich etwas „Normales“ oder trotz allem noch ungewöhnlich? Was für ein Publikum findet man bei solch einer speziellen Show? Und wie würde meine Freundin das Ganze bewerten, wo sie Band und Sänger in den vergangenen Jahren doch schon mehrfach live erlebt hatte?
Zumindest eine Frage lässt sich hierbei relativ schnell beantworten: das Kölner Publikum bestand aus den unterschiedlichsten Musikfans. Man kann weder behaupten, es seien hauptsächlich weibliche Fans anwesend gewesen, noch lässt sich das Publikum in eine bestimmte Alterskategorie einsortieren. Alle Geschlechter tummelten sich im Kölner Luxor und ihr Alter reichte von jungen Teenagern bis hin zu Menschen in den 50ern. Das Einzige, was sich vielleicht von einem gängigen Konzertpublikum unterscheidet, war der Anteil von aufwendig zurechtgemachten Fans in Gothic-Kleidern und Cosplay-Elementen.
So weit, so gut. Das Nächste, was mir auffiel, war das generelle Film- und Fotoverbot, das sowohl per Zettel als auch via Ansage kommuniziert wurde. Meine Freundin erklärte, das sei bei den meisten J-Rock-Konzerten der Fall und sie habe schon mehrfach miterlebt, wie Zuschauer*innen gewaltsam aus der Halle entfernt wurden, wenn diese sich nicht darangehalten hatten. Würde solch ein Zwischenfall auch heute eintreten? Eine weitere Frage für meine Liste. Und wer sich wundert, woher wir das fantastische Beitragsbild haben: dieses wurde uns freundlicherweise von Envol Prod und dem offiziellen Tourfotografen zur Verfügung gestellt.
Mystische Orchestermusik kündigte gegen 20:45 Uhr den Beginn der Show an. Zunächst trat eine vierköpfige Band mit buntgefärbten Haaren in dunklen Gewändern auf die Bühne, ehe schließlich unter tosendem Applaus auch Kamijo selbst erschien – und die Beschreibung des majestätischen Vampirprinzen hätte nicht besser passen können. Blonde, wellige Haare, eine schwarze Weste mit tiefem Ausschnitt, weiße Handschuhe, dunkle Absatzstiefel und ein ausdrucksstarkes Gesicht mit durchdringendem Blick ließen den fast 50-jährigen (?!?!) Sänger wie den Hauptcharakter eines düsteren Animefilms wirken.
Sofort merkte man die Euphorie und Freude, die sich lautstark im Kölner Club bemerkbar machte. Es folgten insgesamt 18 Songs – eine starke Setlist, in der sowohl ältere Titel als auch neue und sogar noch unveröffentlichte Songs zu finden waren. Ich bin ehrlich – für mich gingen die meisten Tracks nahtlos ineinander über und ich konnte oft nicht genau sagen, wann ein Song zu Ende war und ein neuer anfing. Eintönig oder langweilig war das Konzert trotzdem nicht – doch nur zu wenigen Titeln kann ich im Nachgang noch eine Geschichte erzählen.
Daher belassen wir es bei einigen Anekdoten:
Mit einem sympathischen „Bonjour, guten Tag – I‘m back!“ begrüßte Kamijo das Kölner Publikum, während er genüsslich einen Schluck Wasser aus seinem prunkvollen Weinglas trank. Musikalisch wurden die rockigen Songs stets von mystischen Geigen und dramatischen Klaviertönen untermalt – leider nur vom Band, da natürlich nicht immer ein ganzes Orchester mit dabei sein kann. Einige Songs durchbrachen dieses Schema aber – so gab es einen Song mit Elektrobeats und Scream-Elementen, aber auch mademoiselle, ein eher älteres Stück, das im Vergleich zu den anderen aber ungewöhnlich happy wirkte.
Sichtlich glücklich wirkte auch Kamijo über seine Rückkehr auf die europäischen Bühnen und in seinen Ansagen bröckelte die majestätische Erhabenheit ein Stück weit, denn ein freundliches Lächeln setzte sich durch. Auf Japanisch erzählte der Sänger zum Beispiel, dass er vor einer Woche in einem YouTube Video zum ersten Mal einen Song auf Deutsch gesungen habe.
Den ganzen Abend zeigte sich Kamijo zudem äußerst Fan-nah. Wie eben schon erwähnt zeichnete den Sänger u.a. ein durchdringender Blick aus, mit dem er die ganze Menge zu scannen schien, doch auch den Weg zur Absperrung fand er immer wieder, um den Fans in den ersten Reihen während seiner Songs noch ein wenig zu sein. Wer schon einmal im Kölner Luxor war, der weiß, dass man sich auch vorne links neben die Bühne stellen kann. Aufgrund einer ungünstig platzierten Säule sieht man vom seitlichen Bühnenrand aus jedoch nur einen Teil der kleinen Clubbühne. Es war daher eine unglaublich schöne Geste, als sowohl die Band als auch Kamijo selbst den ganzen Abend über immer mal wieder auch zu den seitlich positionierten Fans marschierten und ihnen einige Zeilen widmeten.
Auch meine Freundin war glücklich: nicht nur, dass sie ihren Lieblingssänger endlich wiedersehen konnte, auch ihr Lieblingslied „Avec Toi ~with you~“ fand sich als Zugabe in der Setlist. Meine persönlichen Song-Highlights des Abends waren „Beautiful Rock’n Roll“ vom 2022 erschienenen Album OSCAR, bei dem die Fans besonders laut mitsangen, und zum anderen der krönende Abschluss des Abends: „Vampire Rock Star“, der das theatralische Gesamtkonzept des japanischen Sängers noch einmal perfekt zusammenfasste. Dunkelheit, Dramaturgie und Power. Was ein Abend.
Kommen wir also zum Fazit: War das Konzert für mich für mich etwas „Normales“ oder doch etwas Außergewöhnliches? Die Antwort lautet – Ja, es war definitiv ein absolut einzigartiges Konzert, wie ich es bisher noch nicht erlebt habe! Ein facettenreicher Musikstil, gepaart mit einem außergewöhnlichen Bühnencharakter, der sowohl neue wie alte Fans gleichermaßen in seinen Bann ziehen konnte – Kamijo repräsentiert einen Musik- und Lebensstil, den man unbedingt selbst mal live erlebt haben muss, um seine Faszination begreifen zu können.
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