Ne-Yo, Mitsubishi Electric Halle Düsseldorf, 17.06.2024

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Die 2000er sind zurück. Ohne Zweifel. Die Klamotten sowie die Sounds. Die Gen Z entdeckt die Hits der Millennials für sich, so wie es die Millennials mit den Hits der Gen X taten. Ein Genre, das vor zwei Dekaden allgegenwärtig war, ist danach so gut wie ausgestorben, nämlich R’n’B. Dieser tanzbare Mittelweg aus Soul und Hip-Hop mit zweideutigen Lyrics und vielen „Mmmmhs“ und „Uuuhs“ dazwischen brachte unzählige US-Artists auch in die europäischen Charts, bis er sich in den 10ern mit EDM verband und dadurch stark an Qualität und Wiedererkennungswert einbüßte. Einer der Stars, der die zweite Hälfte der 00s durch Songwriting für andere, aber auch durch eigene Tracks mitprägte, war Shaffer Chimere Smith aka Ne-Yo, der nun out of the Blue wieder auf den Bühnen auftaucht. Zum Beispiel in Düsseldorf.

Wobei, wir rudern zurück: „Wieder auf den Bühnen“ stimmt nicht so ganz. Gerade eben jene R’n’B-Acts der goldenen 90er- und 00er-Zeit waren selten bis nie hierzulande zu sehen. Laut setlist.fm war Ne-Yo einmal 2006 in Köln und einmal 2011 in Berlin am Start. That’s it. Und gefühlt stimmt das auch so. Gefühlt waren diese Leute immer verdammt weit weg und lebten quasi auf einem anderen Planeten. Es reichte vollends, nur mit Plattenverkäufen Geld zu verdienen. Das ist 2024 bekanntlich etwas anders. So ist Ne-Yo mit seiner Champagne and Roses-Tour erstmalig weltweit unterwegs. Doch will das überhaupt noch wer sehen? Hat der nicht seit Ewigkeiten keine Musik mehr gemacht? Doch, tatsächlich kam von dem mittlerweile 44-jährigen in Camden/Arkansas geborenen Sänger immer mal wieder was Neues, nur war der letzte Charthit bei uns vor exakt zehn Jahren. So eine Wartezeit kostet Fans und eine ganze Stange Bekanntheit. Ein gewisses Risiko geht mit einher, selbst wenn man in Deutschland lediglich vier Gigs ankündigt, allerdings für die vier gar nicht so ganz kleine Hallen wählt.

Die Mitsubishi Electric Halle in Düsseldorf ist mit 7500 möglichen Besucher*innen schon ordentlich. Bei einem Preis von rund 90 Euro pro Ticket pokert man hoch. Am Ende ist der Laden auch nicht ausverkauft. Schaut man sich jedoch zum Beginn der Show um, sieht man lediglich einen abgehangenen Oberrang, einen fast vollbesetzten Unterrang und vielleicht 10 Prozent Freifläche im Innenraum. Also so viel war da nun auch nicht mehr übrig. Das recht internationale Publikum mit vielen People of Color aus diversen Nationen ist wohl selten jünger als 25 und genauso selten älter als Ende 30. Ne-Yo selbst weiß, dass viele zu seinen Songs ihren ersten Kuss bekamen oder auf den Abschlussbällen eskaliert sind. Besonders das Warmup vor dem Konzert fällt hervorragend aus. Schon beim Betreten ist die Musik lauter und es laufen ausschließlich Black-Music-Classics. Hitquote? Knapp vor 100 Prozent. Die kennt man alle, wenn man nur hin und wieder in den Großraumdissen feiern war. Einige haben ihre Outfits von damals ausgegraben und sich für ein Konzert überdurchschnittlich in Schale geworfen. Das Publikum ist locker zu vier Fünfteln weiblich gelesen.

Doch dann wird es ab 20 Uhr das erste Mal ziemlich unangenehm. Raw Swagger, manchen auch als Terrence Green bekannt, hostet den Abend. Ist ja erstmal ok. Der hat für eine gute halbe Stunde den Job die Massen anzuheizen. Das macht er aber lediglich durch oft arg peinliche Zwischenrufe – die guten Tracks kommen weiterhin von dem schon eh gefeierten DJ. Raw Swagger macht sich zur Aufgabe, besonders die Frauen im Publikum zum Tanzen zu animieren. Er und Ne-Yo suchen nämlich drei Ladys für später. Stille. Hat er das gerade wirklich gesagt? Werden hier gerade wirklich schamlos Fans gecastet, die später in den Backstage dürfen? Wir kennen ja alle mittlerweile das „Row Zero“-Phänomen… aber nein, zum Glück ist es nur halb so schlimm, denn es werden Frauen für eine Tanzperformance auf der Bühne gesucht. Dafür muss man sich aber richtig ins Zeug legen, geht das Casting nämlich mehrere Runden lang und soll vor allen Dingen aus Twerking bestehen. Uff.

Trotzdem sind die Leute in Laune, wenn um kurz nach halb Neun der Übergang zum Hauptact sehr fließend funktioniert, denn ohne weitere Umbauten beginnt Ne-Yo seinen ersten Auftritt in der Landeshauptstadt um 20:32 Uhr. 105 Minuten geht die Show am Ende, was auf jeden Fall eine gute Länge ist, bei der man nicht meckern kann, insbesondere, weil auf der Setlist nahezu alles steht, was man so kennt. Weit über 20 Tracks, darunter viele mit dem immer gern gesehenen „Ach, den Song gibt’s ja auch noch“- oder „Der ist auch von dem?“-Prädikat, gemixt mit zehn Portionen Nostalgie. Speziell das Opening sowie das knallende Finale ergeben eine starke Klammer. Im Mittelteil wird es aber auch mal für eine gute halbe Stunde ziemlich öde.

Mit „Closer“ gibt es gleich einen der drei größten Banger zur Eröffnung. Ne-Yo trägt einen weinroten Anzug mit Hut. Im Hintergrund gibt es eine vierköpfige Band, vier Tänzerinnen sowie eine große Leinwand mit Visuals und Liveübertragung, die jedoch kein stimmiges Ganzes ergibt, da ein Teil unten in der Mitte wie eine Art Tür nach hinten gefahren werden kann und die Projektionen bricht, sodass keine einzige korrekt und fehlerfrei ausschaut. Etwas ärgerlich. Zusätzlich gibt es kleinere Pyros und mehrmals Konfettibomben. Da hätten viele wohl weniger Show erwartet.

Der Sänger und Songschreiber zeigt sich als richtiger Allrounder. Die Dancemoves, die er unverkennbar bei einem seiner Vorbilder, nämlich Michael Jackson, äußerst detailliert abgeguckt, aber gut adaptiert hat, hat er ohne klar erkennbare Anstrengung drauf und zieht sie permanent durch. Seine Endpositionen werden für mehrere Sekunden gehalten, sodass er durch Ruhe und Körperspannung äußerst groß und mächtig wirkt. Der Gig ist in weiten Parts durchchoreografiert und wirkt um Längen professioneller als die eher leicht peinliche Show von seinem Kollegen Akon vor wenigen Wochen in Köln. Das stärkste Merkmal ist aber der Gesang, der wie vom Band klingt. Leider kommt er auch oft vom Band – besonders in den Refrains, wenn Ne-Yo tanzt und dafür mit Gesang pausiert, wird einfach der Backingtrack, zu dem die Band live zockt, gespielt. Das hätte man mit einem oder zwei Backgroundsänger*innen nochmal besser und authentischer machen können. Wenn Ne-Yo aber zum Mikro greift, gibt es eine Stimme, die Soul geatmet hat, tonal immer richtig ist und berührt, besonders bei dem ausschließlich auf Vocals konzentrierten „Mad“. Genau so muss man das machen.

Bei den Highlights wie „Sexy Love“, „Because of You“ und natürlich dem R’n’B-Soul-Pop-Meisterwerk „So Sick“ werden sämtliche Handys gezückt. Ein beeindruckendes wie gruseliges Bild zugleich. Gleichzeitig fällt auf, dass wenn den Song nur wenige bis niemand kennt, die Smartphones sofort in die Tasche gehen und so mancher dann aufs Klo oder an die Bar spaziert. Aufmerksamkeit ist hart zu erarbeiten und gibt es besonders in der hinteren Hälfte der Halle nur, wenn ein Classic gespielt wird. Ne-Yo nennt seine Hits „Classy Classics“ und seine anderen Nummern „Future Classics“, weil sie noch zu Classics werden und man ihnen eine Chance geben soll. Leider ist die Auswahl nicht ganz ausgewogen, sodass nach dem ersten Siedepunkt der Fall enorm ist, wenn eben zig Titel kommen, die weder zum Tanzen anregen, noch starke Hooks präsentieren.

Stattdessen füllt man mit Nebenschauplätzen auf. Das geht, indem man völlig überzogene, altbackene und nur noch trashig anmutende Choreos zeigt, in denen Trockensex dargestellt wird. Mal sitzt er auf einem Stuhl und eine Frau auf seinem Schoß, dann werden im Doggy-Style Stoßbewegungen vollzogen, er in Handschellen abgeführt und nicht zuletzt mit den vorab ausgewählten Frauen aus dem Publikum 00s-Club-Dances nachgemacht, in denen die Lady mit ihrem Hinterteil möglichst viel in seinem Schritt rumschrubbeln darf. Danach tut er so, als ob er seine Erektion verstecken müsse. Das ist so sexistisch und panne, dass man schon wieder kaum weggucken kann. Anscheinend ist der Herr doch ein wenig zu stark in seiner Hochphase hängengeblieben. Dadurch wird sein Talent, was er zweifellos sehr gut präsentiert, erheblich geschmälert. Chauvinismus doesn’t sell, check das mal.

Da es ja nicht reicht, Kohle für den Herrn auszugeben, kommt in einer Umziehpause die Nervensäge Raw Swagger nochmal auf die Bühne, um Songs anspielen zu lassen, die Ne-Yo geschrieben, aber nicht selbst gesungen hat. „Habt ihr das gewusst, dass die Songs von ihm sind?“. Die Antwort ist latte. Etwas weniger Narzissmus wäre einfach nice. Zum Glück setzt der eigentliche Entertainer dann aber zum knallenden Finale nochmal richtig an, singt erst das ebenfalls von ihm geschriebene „Let Me Love You“ von Mario als Cover und haut in einer Reihe einen partyfähigen Chartbreaker nach dem nächsten raus. „Miss Independent“, „Beautiful Monster“, „Let Me Love You (Until You Learn To Love Yourself)“, „Let Go“, „Play Hard“, „Time of Our Lives“ und „Give Me Everything“ ziehen ohne Kompromisse das Tempo immer etwas mehr an und machen einfach richtig Spaß.

Mit seiner ersten wirklichen Welttour zeigt Ne-Yo, dass sein Backkatalog auch nach all den Jahren noch für ein ganzes Konzert easy reicht. Doch nicht nur das, auch seine Skills als Tänzer und noch mehr als Sänger funktionieren hervorragend. Wenn wir jetzt noch das überhaupt nicht mehr zeitgemäße Fickificki-Getue weglassen und drei, vier Filler kicken, hebt sich das Konzert vom „Ganz gut“-Fazit gleich noch einige Level höher.

Und so hört sich das an:

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Foto von Christopher

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