Lindemann – F & M

Erst jahrelang Totenstille – nun gleich doppeltes Material. Till Lindemann weiß anscheinend, dass er die Nerven mancher Fans überstrapaziert hat. Zehn Jahre dauerte es zwischen dem letzten und aktuellen Rammstein-Album (lest HIER nochmal unsere Kritik). Seit Mai ist aber wieder alles beim Alten. Die Band tourt durch die größten Hallen Europas und verkauft alles gnadenlos aus – die Shows im kommenden Jahr sind genauso gefragt. Auch hier grenzt es an ein Wunder, wenn man an Karten kommt.

Doch in der Pause, die immerhin eine ganze Dekade einnahm, war kein Stillstehen angesagt. Stattdessen hat der markante Frontmann, der auch mit Mitte Fünfzig noch die Gemüter spaltet, einerseits mit seinen diversen Liebeseskapaden auf sich aufmerksam gemacht – andererseits aber auch musikalisch von sich hören lassen. Funktioniert es mit der eigentlichen Band aufgrund diverser Unstimmigkeiten häufig nicht so gut, sucht man eben Zuflucht in einem Zweitprojekt. Er und der Schwede Peter Tägtgren – bekannt aus den Metalformationen Hyprocrisy und Pain – kennen sich bereits seit den frühen 2000er-Jahren, sind seitdem befreundet und wollten schon immer mal gemeinsam was auf die Beine stellen.

Das geschah erstmalig vor guten vier Jahren in Form von „Skills In Pills“. Das Duo nennt sich Lindemann, womit eigentlich auch schon geklärt ist, um wen es hier vordergründig geht. Erfolgreich ist’s allemal: Platz 1 in den Charts und eine goldene Auszeichnung. Das englischsprachige Debütalbum musste sich zwar größtenteils mit mittelprächtigen Kritiken zufriedengeben, hob sich aber immerhin in der Sprache von Rammstein ab. Auf dem nun anstehenden Nachfolgewerk F & M, eine Abkürzung für „Frau & Mann“, wird gar nicht mehr vertuscht, dass es sich strenggenommen um einen als Soloausritt von Till verpackten Rammstein-Ableger handelt – nur eben mit Ideen von zwei Personen statt von sechs, wovon einer aber nicht mal der deutschen Sprache mächtig ist.

So klingt das Meiste des zweiten Longplayers wie B-Seiten von Rammstein. Das „R“ wird gerollt, der Sound ist eine Kombination aus Alternative und Metal und die Texte ein Tanz auf dem schmalen Grat zwischen lyrischer Raffinesse und Wortspielereien, die den Hörer dank ihrer Morbidität und Absurdität gleichzeitig fesseln und anwidern.

Besonders die erste Viertelstunde liefert mit „Steh Auf“, „Ich Weiß Es Nicht“ und „Allesfresser“ drei Titel, die alle ohne Veränderung so auch Rammstein gemacht hätten. Die Frage dazu: ist das nun gut oder schlecht? Immerhin musste man lang genug auf neue Songs des Sextetts warten und kann gerade ein halbes Jahr später nun die Zugabe bekommen. Aber so einfach ist es eben nicht. Es gibt schon Rammstein, keiner braucht ein Spin Off, wenn auch ein akzeptables.

Deswegen sollte sich viel mehr auf die Nummern konzentriert werden, die dann doch ein wenig ausbrechen. Positive Liedchen sind beispielsweise das zunächst als Akustik-Countrysong vorgetäuschte „Knebel“, das sich mal wieder um die sadomasochistischen Vorlieben des Sängers dreht, aber dann eine geschickte Überraschung bereithält. Ganz Hartgesottene sollten nach dem unzensierten Video googlen, das von Zoran Bihac gedreht wurde. Der Herr durfte schon zig Male Rammstein– und Lindemann-Clips drehen und hat hier dank des gekonnten Schauspiels der Protagonisten eins der besten, aber mit Sicherheit das extremste Musikvideo des Jahres rausgehauen.

„Blut“ geht dank Orchester-Chor-Refrain wunderbar auf und zaubert eine starke Atmosphäre, „Ach so gern“ entpuppt sich als wahnwitziger und fast schon schön gesungener Tango-Schlager und der Titelsong „Frau & Mann“ findet mit einer ohrwurmartigen „Ayayay“-Hook sofort den passenden Weg. „Gummi“ hingegen ist leichte Abwandlung nach Schema F und kann auch trotz Rubber-Fetisch-Lines nicht überzeugen. Balladenfans bekommen mit „Schlaf ein“ ganz okaye, aber mit „Wer weiß das schon“ berührend-epische Minuten.

Wo Lindemann draufsteht, ist Lindemann drin. Und sonst nichts. Schade, dass der irre Hip-Hop-Trash-Song „Mathematik“, der vor einem Jahr mit Haftbefehl als Feature bereits an den Start ging, nicht aufs neue Werk gefunden hat. Grade das Ideenreichtum unterstreicht die Daseinsberechtigung des Sideprojekts und macht dann nicht den Eindruck, dass es lediglich um dicke Kohle geht. Wenn sich was getraut wird, ist das spannend. Wenn nicht, kann man’s zwar immer noch hören, hat aber Till auch nach diesem Jahr etwas über. Nichtsdestotrotz besteht ordentlich Nachfrage. Immerhin ist auch die erste richtige Lindemann-Tour ausverkauft – vor dem Verkaufsstart der Platte. Der Kult um Till Lindemann bleibt, die Musik ist dabei fast schon Nebensache, solange sie sich irgendwo in den erwarteten Konventionen verhält, was sie ganz klar tut.

Und so hört sich das an:

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