Nelly Furtado – 7

nelly furtado 7

Sich eine sieben Jahre andauernde Pause zu gönnen, ist mit Sicherheit äußerst heilsam, wird aber seitens der Fans nicht immer verziehen. Da muss man entweder eine derartige Größe sein, dass man auch mehrere Jahrzehnte auf sie wartet, oder man muss mit solch einem Paukenschlag zurückkommen, dass die alte Anhängerschaft sich durch neue Dazukommer*innen ergänzt. Bei Nelly Furtado sieht es gerade so aus, als ob beide Optionen nicht so funktionieren.

Zweifelsfrei zählt die 45-jährige Kanadierin zu den wohl prägnantesten 2000er-Künstler*innen. Da gibt es nicht nur den einen Hit, stattdessen fallen selbst Gelegenheitshörer*innen wohl auch Anhieb locker fünf, sechs oder mehr ein. Dank drei enorm starker und gleichzeitig recht unterschiedlich klingender Alben entwickelte sich die Musikerin stets weiter, traf jedoch stets genau den Nerv der Zeit. Und als ob mit dem überragend erfolgreichen Drittwerk „Loose“ der Zenit von Produzenten Timbaland überschritten war, schien auch die Sanduhr von Nelly Furtado wie abgelaufen. Beide schafften danach noch ein-, zweimal kurz vorne mitzuspielen, bis sie dann gnadenlos in der Versenkung verschwanden.

Nelly Furtado dachte lang und ausgiebig darüber nach, ihre musikalische Karriere zu beenden. Als hätte sie es bereits irgendwie gerochen. Nachdem das spanischsprachige „Mi Plan“ (2009), das nach „Loose“ ein ganz schön mutiger Schritt war, gerade noch ok, aber leider nicht mehr wirklich gut performte, war zumindest in der Außenwahrnehmung Schluss. Ihr immer wieder auftretender Gedanke, zu verschwinden, wurde Realität – und das, obwohl neue Musik noch kam. Zunächst ein Best of, dann ein Album 2012 („The Spirit Indestructable“) und ein weiteres 2017 („The Ride“). Ja, das letztgenannte gab es wirklich. Nein, davon hat niemand etwas bemerkt. Jeweils eine Woche in den deutschen und kanadischen, aber keine einzige in den US-Charts – das ist doch arg erschreckend, bei einer Künstlerin, die doch einige Jahre zu den Überstars des Planeten zählte.

Aber Erfolg bucht man eben nicht lebenslänglich. Gleichzeitig ist ja auch das Schöne, dass man immer wieder neu anfangen kann. 7, das siebte Album der Künstlerin mit portugiesischen Wurzeln, ist das erste nach sieben Jahren aktiver Pause. Passiv könnte man schon fast von einer Pause von rund 15 Jahren sprechen. Scheinbar geht es Nelly Furtado gerade auch richtig gut, spielte sie 2024 rund 15 Gigs, darunter mehrere Festivalauftritte inklusive einem in Deutschland und einem in der Schweiz. Auf der Setlist zu finden: Selbstverständlich nahezu alle 2000er-Banger und sehr wenig aus der Zeit danach oder heute. Und nach dem Hören von 7 wird auch deutlich, dass das mit den neuen Fans nicht ganz einfach wird. Stattdessen ist es die klügste Idee, vollständig und mittelfristig auf den gerade richtig gut heizenden 2000er-Revival-Zug aufzuspringen und einfach die kompletten Ü30-Leute abzuholen.

7 ist in mehreren Teilen als klares Nelly Furtado-Album zu erkennen. Die unverwechselbare Stimme, die immer schon neben den perfekt ausgearbeiteten Produktionen einen sehr wichtigen Teil ausmachte, bleibt. Sofort stellt sich ein warmes Gefühl ein, weil Nostalgie aufflimmert und man sich in andere Jahrzehnte gebeamt fühlt. Doch Stimme allein ist eben noch lange kein Hit. Auch wenn sich die sympathische Künstlerin anstrengt, so bleiben vor allen Dingen Hooks, aber auch gehäuft Beats entschieden auf der Strecke.

Wirklich ärgerlich ist, dass man natürlich versucht, junge Menschen von ihr zu überzeugen, was insbesondere in der TikTok-artigen Länge der Songs auffällt, die aber gleich mehreren Titeln so gar nicht guttut. Einige Male denkt man: „Wie, das ist jetzt schon zu Ende? Da fehlt doch ein Stück!“, einfach weil die 14 Endversionen bis auf drei Ausnahmen konsequent unter drei Minuten Länge bleiben, hin und wieder sogar gerade noch die Zwei-Minuten-Marke knacken. Das ist für TikTok und Spotify natürlich super, für das Hörerlebnis aber nicht. Auch wenn manchen Songs 2024 die Kürze super steht, so ist „Floodgate“, das nach 1:50 Minute bereits ausfaded, quasi ein Interlude. Wirklich los geht da nix.

Dabei startet 7 mit einem recht soliden Opener. Das zum Tanz auffordernde „Showstopper“ hat eben jene 00er-Vibes, die in den richtigen Dancehall-Latin-Fässern getränkt wurden und so mit guter Wucht abgefeuert werden. Kein Überflieger, aber ein sehr gelungener Appetizer. Blöd, wenn nach eine Vorspeise nie der Hauptgang folgt, sondern man immer nur sieht, wie die Bedienung die fertigen Teller durch den Raum trägt, dann aber doch an den falschen Tisch stellt.

„Corazón“ mit der kolumbianischen Band Bomba Estéreo hat Ansätze, ein richtiger Hit zu sein, bleibt aber bei der halbwegs gelungenen Hook dank ungewöhnlich leerer Beats eindeutig hinter den Möglichkeiten. Mit Tove Lo hat Nelly Furtado in „Love Bites“ eigentlich einen guten Sidekick, man wagt sich sogar etwas in die Hyperpop-Richtung, doch auch hier wartet man fast 3 Minuten auf eine Explosion, die einfach nicht kommt. Aufbau, Aufbau, Aufbau, Ende. Schade. In „Honesty“ versucht man den Disco-Trend von Dua Lipa zu kopieren, was aber auch durch fehlenden Bass wie aufgewärmt wirkt und einfach den Bums vermissen lässt. Da besitzt das recht ähnliche „Ready For Myself“ wenigstens noch die wichtigere Message, nämlich Selbstachtung.

Ganz schön ist die Leanback-Nummer „Better for Worse“, bei der Tropical auf Reggae trifft und Nelly zumindest auf halber Strecke zu alter Stärke wiederfindet. Das hätte früher funktioniert, das funktioniert auch jetzt. Das Highlight ist „Save Your Breath“ mit seinen Gospel-Parts, seinen stampfenden Africa-Drums und dem klar nach vorne gerichteten Protest-liken Lines. Leider auch hier kein Must-Hear, aber auf jeden Fall ein gelungener Song. In der ersten Pianoballade „All Comes Back“ fehlt eine hervorstechende Melodielinie im Refrain, in der zweiten Pianoballade „Better Than Ever“ die finale Ausarbeitung, denn erneut ist, sobald man sich einmal ein bisschen in den atmosphärischen Sound eingewickelt hat, sofort wieder Schluss, sodass es sich der Song selbst verbockt.

Es hätte klappen können. Nelly Furtado zeichnete sich schon immer durch zeitgemäßen Sound aus, der auf Singer/Songwriter-Parts trifft und gleichzeitig nach Weltmusik klingt. Die perfekte Kombi für ein immer wieder mögliches Comeback. Nur leider ist 7 nach so einer langen Zeit viel, viel zu wenig. Kein schlechtes Album, aber eben ein unterdurchschnittliches, das immer nur mal kurz streift, statt richtig zu kicken. Sollte eine Tour kommen, reicht es völlig, wenn die Classics hervorgeholt werden, die mit Retro-Faktor allesamt besser ins Ohr gehen und eh das sind, was die letzten Fans noch wirklich wollen.

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