Nina Chuba – Glas [Doppel-Review]

nina chuba glas cover

Endlich erscheint das Nina Chuba Debüt „Glas“. Zwei unserer Autor*innen haben ihre Gedanken aufgeschrieben.

Christopher denkt dazu:

Von Null auf Hype! Um an Nina Chubas „Wildberry Lillet“ vorbeizukommen, brauchte man wirklich taube Ohren. Kaum ein Track war im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres wohl so mitreißend und unverschämt hookig wie die erste wirklich große Single der 24-jährigen, die schon im Grundschulalter als Schauspielerin bei „Die Pfefferkörner“ Promiluft schnuppern durfte.

Doch 2023 ist die Dimension leicht eine andere. Auf das Debütalbum Glas dürfen Fans der ersten Stunde bereits seit vorletztem Oktober warten, droppte da nämlich die erste deutschsprachige Single „Neben mir“. Während der vergangenen fast anderthalb Kalender, die man abreißen musste, haben schon zehn Songs den Weg in die Öffentlichkeit gefunden – genau eine Hälfte vor und eine nach dem Hit mit dem Longdrink im Namen – die alle auf die LP gepackt wurden, aber trotz der Erfolgszäsur rund klingen und keine zwei deutlich unterscheidbare Zeiten präsentieren.

Das 18 Tracks starke Brett setzt lieber gleich auf mehr als nur zwei Genres und kann seiner enorm hohen Erwartungshaltung easy standhalten. Statt an einem gut gemachten Song zu zerschellen, liefert Nina Chuba massenweise lockere, eingängige Melodien und Stile, wovon vieles einfach den Zeitgeist trifft sowie definiert. Man nehme ein wenig ASMR-artiges Whispering von Billie Eilish, eine dicke Dosis Seeed und PeterFox-Solovibes, vermische das Ganze mit einer nicht cringigen Form von Namika und erhalte ein vor allen Dingen spaßiges Album voller Tropical- und Reggaeton-Beats, Hip-Hop-Einstreuungen und mainstreamigem Indie-Pop.

Chubas Rap-Skills sind jetzt nicht die Allergrößten, ihre Gesangs-Skills sind es auch nicht, aber das Konglomerat aus Beidem, das wohltuend mit ihrer sympathisch auftretenden Art harmoniert, die mit Sicherheit auch ein wenig Ikonisches für die neuste Generation besitzt, ist einfach ein stimmiges Paket.

Songs, die auf Anhieb sitzen, gibt’s viele. Neben dem vor wenigen Wochen erschienenen „Mangos mit Chili“, das wie der würdige Nachfolger zu „Wildberry Lillet“ klingt, überrascht der trappige und temporeiche „Glatteis“ genauso wie der Festivalhüpfer „Ich hass dich“ oder der Bootywackel-Kandidat „Solo“. Textlich wandert man mit Themen aus Beziehung, Selbstwertgefühl und Zukunftsangst auf Identifikationsebenen für die Gen Z, ohne prollig oder stumpf daherzukommen. Gerne darf „Tracksuit Velours“ im Frühjahr nochmal nachträglich in die vorderen Chartplätze katapultiert werden, liefert es sonnige Laune auf dem Silbertablett. Selbst mit aktuell eher selten zu findenden Pop-Balladen fällt man nicht auf die Nase. Beim Titeltrack „Glas“ hat sich Nina unverkennbar einiges von Megastar Billie Eilish abgeschaut, deren Style offensichtlich auch auf Deutsch klappt. Die erwähnt Nina in dem atmosphärisch steril-kühlen „Tinnitus“ dann auch gleich selbst.

Tatsächlich hätte es der Platte dennoch gut getan, vier oder fünf Songs weniger zu umfassen, da sich an manchen Stellen doch das Gefühl einschleicht, eine recht ähnliche Nummer erst wenige Minuten vorher gehört zu haben. So hätten „Lights Out“ oder „Freitag“ auch für eine Special Edition des Albums in einem halben Jahr genügt. Außerdem sind manchmal die Vocals durch eine Hand voll zu viele Effekte gedreht worden („Sakura“). Ein Hauch mehr Essenz und das Ding wäre kaum besser zu machen.

Trotzdem ist das Ergebnis außergewöhnlich überdurchschnittlich. Gute Ideen, gut produziert, nicht zu verkopft, nicht zu überambitioniert, sondern eher geradlinig und erfrischend unterhaltsam. Könnte auch noch am Ende des Jahres unter sämtlichen deutschen Releases eins der Highlights sein.

Und Jonas sagt:

Für die im Hyperspeed voranschreitende Musikindustrie ungewöhnlich lange hat es seit der ersten deutschsprachigen Single gedauert bis das Debüt-Album von Nina Chuba vollendet ist und erscheinen darf. Im späten Februar 2023 – über anderthalb Jahre nach “Neben Mir” – gibt es nun aber Glas, das insgesamt achtzehn Songs umfasst. Obwohl das nahezu alle Lieder seit Chubas Wechsel hin zur Muttersprache kompiliert, ist das eine ganz schön runde Angelegenheit.

Genau die Hälfte der Glas-Songs sind der langen Vorlaufzeit wegen bereits in die Streamingdienste gepurzelt. Darunter der Überhit „Wildberry Lillet“, aber auch andere eingängige Ego-Trips à la „Mangos Mit Chilli“, „Feminello“ oder auch „Tracksuit Velours“. Dazu kommen ernstere Stücke. „Fieber“ und „Glatteis“ etwa, von Herzschmerz und Sehnsucht durchzogen. Und das bisschen zu indie-rockig geratene „Ich Hass Dich“, als bewusste FDP-Antithese nach dem Nummer 1-Hype platziert, der Chuba hin und wieder den Vorwurf einbrachte sie würde neoliberale Erfolgsmythen bedienen.

In Szene setzt das bereits Wohlbekannte weiteres Material, das diese Palette nicht übermäßig überstrapaziert, hier und da aber etwas zusätzliche Farbe beifügt. „Tinnitus“ ist ein solcher, noch ungewöhnlicher Song, Piano-Soul auf Speed, eine Ballade mit Hyperpop-Beigabe über eskalativ-reinigende Clubbesuche. Noch introvertierter ist da „Glas“, ein elegantes Klavierstück über unerfüllte Liebe. Und da gibt es einen Song, der heißt „Solo“. Chuba rappt, flowt, windet sich dort durch messerscharfe Lines, angetrieben vom Dancehall-Rhythmus.

Ansonsten sind die Zutaten die Üblichen: Bumm-Tschak-Tschak-Beats, Off-Beat Gitarren, weitläufige Pianos, hier und da ein paar Fanfaren, mal melodischer, mal überheblicher Vortrag Chubas. Ermüdungserscheinungen bleiben dennoch aus. Dafür sitzen die Handgriffe zu sehr.

Zum Schluss dann der Blick zurück: Wo steht Frau nach Charterfolg und unermesslichem Ticketrun? „Alles gleich“, resümiert Chuba. Kratzer an der Seele können nämlich weder Ruhm noch Geld heilen. Das ist kein unbekanntes Narrativ, wunderbar aufgegriffen zum Beispiel vielfach von Chubas Kollegin Haiyti. Wirklich neu tatsächlich ist an der Künstlerin Nina Chuba grundsätzlich wenig. Funktionieren tut es trotzdem. Auch auf Glas.

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