Nach jeder dunklen Nacht folgt ein heller Tag. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Kluge Sprüche zu diesem Thema gibt es viele. Und nun auch einen neuen musikalischen Beitrag, denn die Parcels nutzen für ihr aktuelles Doppelalbum „Day/Night“ eben diese Symbolik. Doch das neue Werk der australischen Elektro-Pop-Band auf eine Stufe mit solchen doch eher schlichten Alltagsweisheiten zu stellen, wäre unverschämt. Denn wenn „Day/Night“ eins nicht ist, dann ist das simpel.
Äußerlich bedient das Doppelalbum das Gegensatz-Klischee. Die 19 Titel sind aufgeteilt in den Day-Part und den Night-Part, die jeweils mit den überwiegend instrumental gehaltenen Openern „LIGHT“ und „SHADOW“ eingeleitet werden. „LIGHT“ klingt auch tatsächlich wie die Morgendämmerung, in der sich die ersten Sonnenstrahlen durch die Baumspitzen schlängeln und voller Euphorie einen schönen Tag versprechen. Die Tages-Hälfte ist geprägt von leichten, tänzelnden Melodien, die den mehrstimmigen Gesang der fünf Bandmitglieder umschmeicheln. Die Vorab-Single „Somethinggreater“ sticht hier etwa besonders hervor oder das freiheitsliebende „Free“.
Den Gipfel der Fröhlichkeit bildet „Comingback“, das vor Freude schon fast überschäumt. Kennt man allerdings die Hintergrundgeschichte zum Song, ist das auch absolut nachvollziehbar. Als die Australier 2015 Berlin zu ihrer Wahlheimat machten, konnten sie schließlich nicht ahnen, dass eine Pandemie sie wenige Jahre später mal daran hindern würde, einfach so zu ihren Familien in Australien zurückzukehren. Dementsprechend schwierig war für sie das Jahr 2020 und dementsprechend groß war die Erleichterung, als sie pünktlich zu Weihnachten doch in die Heimat reisen konnten und die Feiertage mit ihren Familien verbringen konnten. So vereint „Comingback“ ein fröhliches Klavier mit überschwänglichen Streichern und optimistischen Trommeln und beruhigt sich am Ende dann doch zu einem kleinen, weihnachtlichen Funkeln.
Natürlich kann aber nicht jeder Tag ein Freudentag sein, was dem „Inthecity Interlude“ seine Berechtigung im Day-Part gibt. Straßenlärm im Hintergrund, eher düstere Streicher – hier hält der Alltag Einzug und holt die Hörer*innen kurzzeitig auf den Boden der grauen Realität zurück. Das Stück „Daywalk“ fasst die Tages-Hälfte des Doppelalbums gekonnt zusammen: nach einem munter trippelnden Start verfällt der Titel in einem gemächlichen, entspannten Trott, der wie bei einem gemütlichen Spaziergang mal hier und mal da mit kleinen Spielereien am Wegesrand überrascht. Und die untermalende Rassel lässt passend zur Jahreszeit das Laub zwischen den Füßen rascheln. „Outside“ bringt schließlich den Tag zu einem ruhigen Ende und kündigt fast schon entschuldigend an: „Everything´s cool here, I don´t wanna ruin this party“.
Von gelassener Partystimmung ist dann auch zu Beginn des Night-Parts wirklich nichts mehr zu hören. Bedrohlich und düster baut sich „SHADOW“ auf und leitet so den Teil ein, der sich mit den unschönen Seiten des Lebens beschäftigt: Verlust, Reue, Einsamkeit – hier wird nichts ausgelassen. „Neverloved“ bringt dem Protagonisten sowohl die ernüchternde Erkenntnis, dass er wohl nie wirklich geliebt hat, als auch die daraus resultierende Frage, ob er dazu überhaupt in der Lage ist. Das darauffolgende „Famous“ wirkt auf den ersten Blick wie ein klassischer 80er-Disco-Track, zu dem jeden Moment eine Gruppe Tänzer*innen in bunt schillernden Anzügen mit einer Klatsch-Tanz-Choreographie um die Ecke springt. Immerhin ist das auch eine Facette der Nacht, könnte man denken. Doch hört man genauer hin, geht es um die Leere, die die Berühmtheit und der Erfolg mit sich bringen kann. Auch „Once“ führt die Hörer*innen mit märchenhaften, wenn auch melancholischen Melodien in eine irreführende Traumwelt. Nur leider ohne Happy End, denn: „Once you choose a side, there´s nothing left to win. Once a lover dies, you never love again.”
Als Äquivalent zum „Daywalk” folgt auf der Nacht-Hälfte logischerweise der „Nightwalk”, der anstelle eines gemütlichen Spaziergangs eher eine Stimmung hervorruft, als würde man sich bei tiefster Nacht um dunkle Ecken schleichen. Generell dürften sich so manche Sequenzen vom Night-Part auch gut als musikalische Untermalung von Horrorfilmen und Psychothrillern machen, etwa „Thefear“, das mit Verzerr-Effekten und düsterer Klangfarbe ein beklemmendes Gefühl zurücklässt. Für die sonst so fröhlichen Parcels, die dafür bekannt sind, bei Festivals für schillernde Funk-Shows zu sorgen, sind das wirklich ungewohnte Töne, doch offensichtlich wissen sie auch die Schattenseiten des Lebens gekonnt in Szene zu setzen.
„Day/Night“ ist wirklich kein Easy Listening-Album, das man nebenbei laufen lässt. Mit der Tages-Hälfte mag das noch gut funktionieren, aber spätestens die Nacht-Hälfte birgt so viele Brüche und Spielereien mit unterschiedlichsten Stilen, aber auch versteckte Botschaften, dass sich ein aufmerksames Zuhören lohnt. Einige der Stücke, die gut und gerne eine Länge von fünf bis sieben Minuten aufweisen, sind in sich so komplex, dass jedes Einzelne ein eigenes Hörerlebnis ist. Und die Zeit dafür sollte man sich definitiv nehmen!
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