Haust du mal eben eines der fünf erfolgreichsten Alben eines Jahrzehnts raus und entscheidest dich danach, nicht mehr weiterzumachen. Klingt völlig irre und unlogisch, hat Peter Fox aber exakt genauso getan. Nun ja, so halb zumindest. Immerhin ging es nach dem irrsinnig krassen Erfolg von “Stadtaffe” – ganze 1,5 Millionen verkaufte Einheiten allein nur in Deutschland – mit der Band Seeed weiter, aber auch etwas gediegener als zuvor.
Am Ende profitierten aber alle voneinander. Pierre Baigorry, so Peter Fox bürgerlich, hatte auf den übertriebenen Medienrummel um ihn nicht so Bock, auch nicht auf eine dermaßen hohe Erwartungshaltung und ging lieber wieder zum Leben davor. Seeed wiederum durften durch den Hype um ihren Frontmann nochmal einen richtigen Sprung Richtung Lieblingslive-Act des Landes machen und verkaufen seitdem permanent jede Hütte aus, egal wie oft eine Show dort angekündigt wird.
Eigentlich sah es so aus, als ob es nie wieder eine Fortsetzung zu “Stadtaffe” geben sollte. Irgendwie auch gut, steht das meistverkaufte deutsche Rap-Album so für sich. Ein Album mit ziemlich hoher Hitdichte und einer recht eigenwilligen Atmosphäre und viel Musikalität. Ganz anders als das, was man ansonsten aus den letzten Jahren der 2000er so im Kopf behalten hat. Doch fast 15 Jahre später, Peter Fox ist mittlerweile 51, erscheint keine klassische Fortsetzung, aber tatsächlich ein Nachfolger. Das zweite Solowerk von dem Herrn, den man eigentlich gar nicht uncool finden kann, weil er einfach so easy going, super sympathisch und mit positivem Vibe daherkommt.
Love Songs braucht es laut ihm, denn Liebe ist da draußen immer zu wenig. Elf Tracks, deren Aufgabe es ist, das Wichtigste zu spreaden. Seid netter zueinander, schützt den Planeten, nehmt euch in den Arm! Stimmt ja auch, aber Real Talk: Trotzdem nicht die allerkreativste Idee. Doch wo Peter Fox draufsteht, ist Peter Fox drin. Und so groovt sich eine der heiß erwarteten Platten 2023 35 Minuten ohne Hate aber mit viel Peace in die Gehörgänge.
Allein schon der Fakt, dass der Berliner Jung doch nochmal allein an den Start geht, macht happy. Die Stimme, das Feeling – das löst von ganz allein Endorphine aus. Aber andererseits ist 15 Jahre auch echt heftig lang. An das Gefühl, das man 2008 lebte, erinnert man sich eher verklärt. Vielem ist man einfach entwachsen. Und so ist so mancher Zug schon dreimal abgefahren. Zwar kriegt Peter Fox einen doch schneller, als man zunächst denkt – aber für den ultimativen Kick reicht es dann nicht.
Love Songs klingt sehr warm. Der exotische Mix aus Calypso, African Beats, Jungle, Rap, Dancehall, Reggae und Pop kommt parallel zum endlich wahrzunehmenden Spring Break. War der Signature Move zuvor besonders auch die Streicheruntermalung, die dem Ganzen etwas Darkes verliehen hat, reißen nun die Seeed-typischen Bläser und gospelartigen Chöre den Himmel auf. Die Stimmung ist durchweg lebensbejahend. Nachdenkliche, intime Töne wie damals ein “Ich Steine, du Steine” oder auch ein “Schwarz zu Blau” setzen aus.
Allerdings tauscht man auch die 15 Jahre anhaltenden Partykiller “Schüttel deinen Speck” und “Alles Neu” gegen einen entspannten Lean-Back-Modus mit Tüte in der Hand, Sonnenbrille im Gesicht und urbanem Gewusel im Hintergrund. Ganz locker. Rast statt Hast. Alles wird gut. Die Friedensbotschaft in “Weiße Fahnen” bringt’s auf den Punkt und zieht die Mundwinkel nach oben. Jedoch ist eben nur ein bisschen Hüfte shaken statt Abspacken bis zum Schweiß auf der Stirn. So ist die schon im Herbst zum Hit gewordene erste Single “Zukunft Pink” mit Inéz – hier sehr untypisch an letzter Stelle statt an erster positioniert – eine der temporeichsten Abenteuer.
Die musste kurz nach Veröffentlichung viel Kritik aushalten, galt der Stil als kulturelle Aneignung. Pop ist jedoch selten eine lupenreine Neuerfindung und immer ein Konglomerat aus Einflüssen. Somit darf man gern weiterhin zu der Stay-Strong-And-Positive-Hymne das Longdrinkglas heben. Noch etwas besser gelingt das übrigens mit dem Albumhighlight “Tuff Cookie”. Eine dieser Nummern, warum man Peter Fox liebt. Übrigens eine Liebeserklärung an seine Frau. Love Songs eben. Das flutscht so fluffig wie Cheesecake ins Ohr und schreit nach Sommerhit des Jahres.
Selbst Italo-Pop ist dem Herrn nicht fremd. So wird auf der “Volare”-Hommage “Toscana Fanboys” Adriano Celentano (u.a. “Azzurro”) eingeladen, einer der größten italienischen Sänger überhaupt. Auch das ist angenehm anders, durch die charakteristische Gitarre auch voller Urlaubstatendrang. Nur fällt eben auf, dass jene 35 Minuten schlichtweg gut sind. Sie sind genug, selten etwas mehr. “Vergessen wie” präsentiert den Kern, der hier passiert. Schöne Hooks, die etwas Seele schmeicheln, in den Aussagen auch immer Recht behalten, nur musikalisch nicht überwältigen.
In dem süßen “Disney” macht sich Peter Fox auf dem Weg zu der Geliebten, Regentropfensounds untermalen den chilligen Beat. Es ist schön, aber auch unspektakulär. Und exakt so geht es einfach zu vielen der elf Songs, von denen einer gar ein Interlude ist. 15 Jahre wartete man auf Love Songs. Jetzt ist es da. Das ist toll, aber löst nicht ganz das “Warten hat sich gelohnt”-Gefühl aus. Dafür ist der Trip-Hop in “Gegengift” oder der generische Reggae in “Ein Auge blau” zu gewöhnlich. Er wollte nicht, dass man die LP mit seinem Meisterwerk vergleicht – aber wie kann man das nicht tun? Erst Recht, wenn über einen derartigen Zeitraum Spannung aufgebaut wurde.
Love Songs fühlt sich gut an. Love Songs tut gut. Love Songs ist gut. Aber es ist auch etwas berechenbar, eine reduzierte Seeed-Platte, in der man mehr vermitteln möchte, aber nicht mehr musikalisch ausbricht und Deutschland zum Beben bringt. Vielleicht genau das Album, das Peter Fox von seinem Fluch erlöst, abliefern zu müssen. Permanenter Leistungsdruck passt nämlich so gar nicht in diese Welt voller Liebe.
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