“I think about how sound can travel, where our bodies can’t, how sound can touch, when hands can meet.” Mit diesen Worten beginnt das zweite Album der britischen Post-Hardcore-Band Petrol Girls. Der Sound der 12 auf das Intro folgenden Songs überwindet Grenzen, zersprengt Ketten, klagt an, zetert vor Wut, umarmt, stößt von sich, entlädt sich in wilden Eskapaden. Mit dieser wilden Reise durch ein Universum der wütend vertonten Gesellschaftskritik haben die Petrol Girls jetzt schon eins der größten Post-Hardcore-Alben des Jahres veröffentlicht. Für diesen Titel begeistern die Brit*innen vor allem auf drei Ebenen.
Variantenreiches Songwriting
Der Spagat zwischen Abwechslungsreichtum und Kohärenz gelingt dem Album auf eine bemerkenswerte Art und Weise. So keift Frontfrau Aldridge in “Tangle Of Lives” noch im Stile der australischen Kolleg*innen Pagan vor kreisenden Gitarrenriffs, um dann in “Monstrous” ihre Clear Vocals mit spielereischem Quietschen zu schmücken, im verhältnismäßig ruhigen “Skye” probieren sich die Brit*innen hingegen am Sprechgesang, wie in La Dispute perfektioniert haben. “Burn” untermalt Aldridges Stimme mit einem Chor, bis sich der Song dann windet und immer wieder auf- und abschnellt. Bei “Talk In Tongues” schreien sich Aldridge und ihr männlicher Konterpart die Bälle im Wechsel zu. Von dieser Vielseitigkeit war das Debüt “Talk In Violence” noch weit entfernt – doch jetzt steckt das Album dank dieser Varianz von der ersten bis zur letzten Sekunde voller spannender Songideen.
Brandaktuelle Thematiken
Neben den ohnehin schon mitreißenden Songs zeigen die Brit*innen auch auf lyrischer Ebene, wie sie über sich selbst hinausgewachsen sind. Zwar werden auch noch klassisch feministische Empowerment-Songs geliefert (“The Sound” oder “Big Mouth”), dass sie aber noch viel mehr zu sagen haben als das, zeigt sich in ästhetisch ansprechenden Lyrics. Besonders glänzt dabei “No Love For A Nation”, in dem Gangshouts repititiv bekräftigen “No Notion Of Nation” und auch der Albumtitel in Bezug gesetzt wird: “Cut the shapes of different flags, swap them, cut and stitch them” – eine sinnbildliche Dekonstruktion des Nationalgedankens, der derart treffend die Idiotite von Patriotismus aufzeigt, dass es direkt unter die Haut geht. in “Skye” geht es hingegen um das furchtbare Gefühl, mit dem Tod eines geliebten Menschens umgehen zu müssen. Bei “Rootless” machen sich die Lyrics in Storytelling-Manier an eine Dekonstruktion des eigenen Seins, um schließlich doch die Angst vor dem Leben ohne Wurzeln zu äußern. Währenddessen beschreibt “Talk in Tongues”, wie schwierig es für Männer sein kann, ihre Gefühle auszudrücken. “Weather Warning” ruft hingegen zu mehr Umweltbewusstsein auf und fertigt Zweifler mit wütendem “Come on, get your shit together” ab. Im abschließenden “Naive” plädiert die Band für mehr Aktivismus, da Naivität immer besser sei als Resignation. Ein Themenkatalog also, der in seiner Breite brandaktuell und hochspannend ist – und in der Verzahnung mit dem Songwriting für ordentlich Gänsehaut sorgt.
Ein alles verbindendes Leitmotiv
Dass es sich bei “Cut & Stitch” trotz all der Varianz nicht um ein loses Werk aus einzelnen Songs handelt, beweist das Leitmotiv des Sounds. So erzählt “Big Mouth” noch über die Kraft der Geräusche – “I’m raising my voice louder, it carries me beyond the wall” – für Überlende von sexualisierter Gewalt, während “Talk in Tongues” die Grenzen des Sounds andeutet, wenn Männer ihre Emotionen nicht ausdrücken können. Auch zwischen den Songs wird dieses Motto in den Interludes aufgegriffen, die wiederum eine starke Verbindung zwischen den einzelnen Songs ermöglichen. Das Leitmotiv zieht sich somit durch alle Songs und ist dabei ähnlich variabel anwendbar wie der ohnehin schon bunte Themenkatalog – lyrisch sehr durchdacht und daher ein weiterer Pluspunkt auf der Seite der Kongruenz.
“Cut & Stitch” ist ein gigantisches Album, das berührt, aufrührt, anregt und gleichzeitig eine Menge Spaß macht. Die Petrol Girls sind über sich hinausgewachsen und belegen eindrucksvoll, dass sie schon jetzt zu den wichtigsten Bands des Genres gehören sollten. Und dass es für Protest in dieser Form immer Platz geben wird, versprechen die letzten Zeilen: “We’re not finished, we never fucking will be”. Das hoffen wir.
Das Album “Cut & Stich” kannst du dir hier kaufen.*
Und so hört sich das an:
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Petrol Girls live 2019:
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- 25.05.2019 Leuphana Universität Lüneburg
- 07.06.2019 Booze Cruise Festival Hamburg
- 07.06.2019 AZ Köln
- 10.06.2019 Kantine Nürnberg
- 12.06.2019 Schlachthof Wiesbaden
- 13.06.2019 AJZ Bahndamm Wermelskirchen
- 14.06.2019 Juha West Stuttgart
- 18.06.2019 Werk21 Zürich (CH)
- 19.06.2019 EKH Wien (AT)
- 20.06.2019 Kapu Linz (AT)
- 21.06.2019 Glockenbachwerkstatt München
- 22.06.2019 Kulturzentrum Bollwerk 107 Moers
- 29.06.2019 Carlswerk Victoria Köln
- 05.07.2019 Astra Kulturhaus Berlin
- 07.07.2019 Conne Island Leipzig
- 08.07.2019 Schlachthof Wiesbaden
Rechte am Albumcover liegen bei Hassle Records.
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