Das Prädikat „umtriebig“ lässt sich momentan wohl niemandem so sehr aufdrücken wie Phoebe Bridgers. Seit dem eindrucksvollen Debüt im Spätsommer 2017 verbrachte die nun 25-Jährige scheinbar nur wenige Handvoll Stunden abseits der Musik. Es folgte eine sechs Songs starke EP mit Julien Baker und Lucy Dacus als Boygenius in 2018 und ein Überraschungsalbum mit Bright Eyes-Kopf Conor Oberst als Better Oblivion Community Center im letztjährigen Januar. 2020 ist nun das vierte Kalenderjahr in Folge samt neuer Phoebe Bridgers Musik: Mit „Punisher“ steht das zweite Solo-Album der Musikerin an. Das stellt sich als durchaus mutige Platte heraus. Und manifestiert, dass Bridgers nicht umsonst derart hoch gehandelt wird.
Reduzierte Songwriter-Momente, klimaktische Rock-Epen, melancholische Folk-Balladen – all das hat Phoebe Bridgers in den vergangenen Jahren durchgespielt. Auf „Punisher“ steht nun Avantgarde-Pop auf dem Zettel. Ganz so sehr, wie das zunächst impliziert, entfernt sich Bridgers dann aber doch nicht vom Kern ihres Schaffens. Sezieren ähnliche Künstlerfiguren – man denke an Bon Iver – ihr Material auf dem Weg zum fertigen Produkt so sehr, dass abgesehen von den Akkordfolgen kaum etwas vom Ursprungsstück über bleibt, so packt die 25-Jährige an anderer Stelle an, lässt die Hauptmotive bestehen und setzt Soundschicht um Soundschicht über diese. Der Titeltrack beispielsweise baut eigentlich auf ein minimalistisches Klavier-Motiv. Das geht im Songverlauf jedoch immer weiter in Streicher- und Gitarrenflächen unter. Auch „Garden Song“ funktioniert ähnlich, nur das hier gezupfte Arpeggios im Vordergrund stehen.
An anderer Stelle weicht von der klassischen Songwriter-Formel neben der Produktion auch das Sound-Instrumentarium ab. „Chinese Satellite“ beginnt zunächst mit recht typischem Gitarren-Arrangement. Auch hier stoßen im Verlauf immer mehr Soundschichten hinzu: Das Schlagzeug imitiert einen elektronischen Beat und ein Streicherteppich übernimmt den Pre-Chorus. In anderem Setting könnte das im Anschluss in einen EDM-Drop leiten. Stattdessen stößt wieder das Schlagzeug hinzu und Bridgers gibt sich einem der poppigsten Chorusse ihrer bisherigen Diskographie hin. In „Helloween“ wiederum duellieren sich zwei Bariton-Gitarren. Die eine befindet sich auf dem rechten, die andere auf dem linken Ohr. Wird bei Kolleg*innen ansonsten höchstens mal zu der Ukulele gegriffen, sorgt der satte Ton dieser Sechsaiter doch für ein ungewohntes Hörerlebnis. Später in selbigem Song stößt Langzeit-Kollaborateur Oberst hinzu. Er bleibt nicht der einzige Gast.
Als „everybody’s Darling“ der Indie-Szene hat die 25-Jährige in den letzten Jahren eh mit allen namenhaften und relevanten Persönlichkeiten zusammengearbeitet, die das diffuse Genre zu bieten hat. Zuletzt fielen darunter unter anderem die Poser-Boys The 1975 sowie The National-Bariton Matt Berninger. Kein Wunder, dass auch „Punisher“ wieder viele Langzeit-Kollaborateur*innen vereint. Das bombastische Finale „I Know The End“ beispielsweise biegt nach knapp vier Minuten in eine dicht bewaldete Allee bei Nacht. Kurze Zeit später stößt ein Chor aus vielen Freund*innen zu den eng gesetzten Soundwänden und Bridgers glasklarer Stimme, die gegen Schluss gar kurz ins Brüllen abrutscht. Baker, Dacus, Oberst – alle sind ein letztes Mal am Start.
Solch breit ausproduzierte Rock-Momente stehen als dritte Sound-Facette neben den stark progressiv angereicherten Songwriter-Auswüchsen und experimentelleren Arrangements. „Kyoto“ offenbart gleich zu Beginn der Platte, dass diese lauteren Stücke nicht immer derart düster anmuten müssen. Während sich hier die Gitarren und Bläser sowie breiten Choräle über Up-Tempo-Drumming austoben, besingt die Musikerin aus Los Angeles die Zwiespältigkeit des Tourlebens. Das klingt zwar luftig locker, geschieht rein inhaltlich aber in gewohnt ernsten Kontexten.
Auch ansonsten macht sich Bridgers emotional nackig. „I See You“ klingt zwischenzeitlich sogar ungewohnt fröhlich, behandelt jedoch die Trennung von ihrem Ex-Freund, der gleichsam ihr Live-Schlagzeuger ist und hier selber zum Mikrofon greift. Abgesehen davon skizziert Phoebe Bridgers Alltagsbeobachtungen, schreibt über das Tourleben sowie verflossene Liebe. Das alles geschieht aus der Perspektive einer stets humorvollen – ein Besuch der Social-Media-Profile der Musikerin gibt darüber Aufschluss – aber eben auch traurig-ernsten Persönlichkeit. Indirekt durchziehen die Texte deshalb immer auch Ängste sowie tiefe Melancholie.
„Punisher“ schafft es jedoch nicht seiner Inhalte, sondern gerade seiner musikalischen Weiterentwicklung wegen, sich von den vielen beliebten Vorgängerprojekten abzuheben. Dass die Platte trotzdem unter dem Songwriter-Stempel, dessen Genre oft gerade wegen seiner Limitationen geschätzt wird, laufen kann, ist nicht selbstverständlich. Gerade deshalb, weil Bridgers immer nach neuen Wegen der Kreativität sucht und ihrer Grundformel gleichsam dennoch treu bleibt, ist „Punisher“ eine mutige Gradwanderung. Unkreativ geht mit Phoebe Bridgers aber scheinbar eh nicht. Zumindest gibt es dafür bislang keine Evidenzen.
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