Manchmal hat man eben noch etwas zu erledigen. Auch wenn es zunächst auf der “To Do” abgehakt wurde, tritt nach kurzer Zeit das Gefühl ein, dass noch nicht alles gesagt wurde. Besonders bei zwischenmenschlichen Beziehungen ist das oftmals der Fall. Bei Revolverheld trat dasselbe ein, allerdings mit einem Song. Auf dem letzten Album “Zimmer mit Blick” gab es in dem Titel “Unsere Geschichte ist erzählt” keine Hoffnung für das besungene Paar. Und doch kam bei den Bandmembern die Eingebung, dass noch etwas ergänzt werden müsse.
Dreieinhalb Jahre später folgt das zweite Kapitel – und bietet nicht weniger als den Titeltrack zum sechsten Album Neu erzählen. War Part I noch aussichtslos, ist Part II unerwartet hoffnungsvoll. Und generell haben Revolverheld eine große Portion Positivismus eingepackt. Zwar gab es durch die anherrschende Pandemie einige Hürden beim Aufnehmen neuer Songs, sodass vieles nicht so eingespielt werden konnte, wie man es gewohnt war, aber Herausforderungen sind dafür da, um gemeistert zu werden. Genau diese Energie und das daran Wachsen merkt man dem Album ganz besonders im Vergleich zu dem unterdurchschnittlichen Vorgänger “Zimmer mit Blick” erheblich an. Lief nämlich bei Album Nr. 5 vieles auf Sparflamme und ging alles auf Nummer sicher, kehrt Neu erzählen zu alter Revolverheld-Stärke zurück und macht einfach enorm viel Spaß zu hören.
Dass das Hamburger Quartett, dass vor 16 Jahren ihr Debüt auf den Markt brachte, sich als Gruppe komplett neu erzählt, wäre zweifelsohne zu übertrieben, aber in den knackigen 37 Minuten, die in zwölf Titel verpackt werden, geht es straight Richtung gute Laune. Genug der Pandemie-Frust und Alltagsunlust. Revolverheld machen das, was sie können, ohne dabei zu glatt zu wirken und ohne gleichzeitig Fans total zu überfordern. Eben eine gute Mische aus Gewohntem und Überraschendem.
Dabei beginnt die Platte mit ihrem Titeltrack ein wenig plump. “Neu erzählen” ist in der Hook zu vorhersehbar und textlich auch eben das, was es ist – eine aufgewärmte Suppe, die man eigentlich nur aus dem Eisfach holte, weil man zu faul war, was Neues zu brutzeln. Die 80s-Hommage mit Groove “Leichter” macht das schon wesentlich besser und schielt voll auf aktuelle Charttrends. Doch richtig gut wird es erst ab Lied 4: mit “Das Größte” schrieb Frontmann und Sänger Johannes Strate eine hochemotionale, sehr persönliche und authentische Liebesbekundung an seinen Sohn. Wer “Ich lass für dich das Licht an” mochte, wird auch hier vollends bedient und darf einer der schönsten Deutsch-Pop-Nummern des Jahres lauschen, die wirklich total berührt und abholt.
Damit ist zwar dann der emotionale Höhepunkt von Neu erzählen erreicht, allerdings dreht die Turboschraube fortfahrend ordentlich an, die Gitarren ballern mal wieder etwas mehr und den Jungs geht bis zum Ende die Puste nicht aus. “Nicht so wie die” hat sommerliches Ohrwurmpotenzial und steckt mit der ersten Hook an, “Irgendwann kommen wir schon an” schafft es trotz nahezu komplett instrumentalem Refrain eine gewisse Aura zu entfachen, die umhüllt, “Am Steuer eingeschlafen” atmet nochmal Luft von dem mittlerweile vier Dekaden vergangenen Jahrzehnt und erinnert in den Synthies an a-ha, “Abreißen” dürfte Liebhaber*innen der ersten Stunde gefallen und winkt Songs aus den Anfängen zu.
Für einen kurzen Moment wird es noch mal ganz leise. “Vom Suchen und Finden” beschreibt, wie anstrengend es ist, immer nach dem nächsten Kick zu gieren und lieber endlich ankommen zu wollen. Für mehr Stille im Laut. Bezüglich “Überraschungen” hat “Na ihr wisst schon” ein Feature mit der US-amerikanischen Band The Night Game und somit eine englischsprachige, zweite Strophe und eine Stimme, die mit Johannes harmoniert in petto. Verpackt in catchy Soundspielereien und abermals einem knallenden Chorus. Rausgeworfen wird man mit der Halbballade “Es bedeutet mir die Welt”, bei der besonders im Hintergrund einiges an Versatzstücken passiert. Ungewöhnlich und damit interessant.
Revolverheld liefern nach einem wirklich nicht guten Vorgängeralbum wieder gewohnte Deutsch-Pop-Kost mit leichten Rock-Einflüssen und elektronischen Elementen, aber ganz besonders mit fast durchweg gelungenen Melodien. Das ist zwar immer noch im Rahmen der Erwartungen, die man an die Band hat und nicht nun plötzliche Avantgarde, aber für eine Platte des Genres eine zufriedenstellende Ladung, die einige Wochen angenehm im Ohr bleiben wird.
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