Das verflixte zweite Album! Eigentlich handelt es sich bei Sarah Connor und ihrem neuen Longplayer Herz Kraft Werke um ihr neuntes. Da jedoch nach „Real Love“ aus 2010 eine klare Zäsur liegt, kann durchaus von einem zweiten Album gesprochen werden – nämlich dem zweiten auf Deutsch. Fünf Jahre dauerte es damals. Irgendwie war die Luft raus und der Bedarf an Teenie-R’n’B-Pop-Songs mehr als gedeckt. Stattdessen ging es mit „Muttersprache“ 2015 auf in neue Gefilde. Die Sprache wurde ausgetauscht, bei den Songschreibern sich fast komplett auf ein Team konzentriert und privatere Stories aus dem Alltag einer Frau in den Dreißigern erzählt. Ergebnis: über 1,1 Millionen verkaufte Einheiten, was heutzutage einem Wunder gleicht. Obendrauf gleich drei große Tourneen. Eins der wenigen Beispiele, wie man aus seinem Künstlerimage erfolgreich ausbricht und wie sich die Fanbase erweitern lässt – und man eben mit der Sängerin älter wird.
Umso schwerer ist es, nun daran anzuknüpfen. Deswegen lag die Wartezeit erneut bei vier Jahren, die eben mit vielen Liveauftritten gefüllt wurden. Aber irgendwann wird der Durst nach neuen Songs dann doch zu groß. Jetzt steht der Nachfolger mit dem etwas sperrigen Namen Herz Kraft Werke im Regal. Und? Potenzial? Ja.
Leider erreicht das neue 15 Tracks umfassende Album nicht ganz die Qualität des Vorgängers. Womöglich liegt hier aber auch schlichtweg das allseits bekannte Problem der Erwartungen. Auf „Muttersprache“ konnte man sich unvoreingenommen eingelassen und wurde mit außergewöhnlich guten Deutsch-Pop-Songs, die nicht nach Schema F funktionierten, überrascht – bei Herz Kraft Werke möchte man genau das hören, vielleicht ein paar Überraschungen einfahren und hat die Messlatte vorab wesentlich höher gelegt.
Das Erfolgsteam um Peter Plate (Rosenstolz) liefert wiederholt Beiträge – allerdings nur ein Drittel der Gesamtanzahl. Die restlichen zehn Tracks verteilen sich auf unterschiedliche Songschreiber aus der Nation. Einige dürfen auch zwei oder dreimal ran. Sarah macht abermals als Co-Writerin bei jedem Lied mit.
Trotz Abwechslung auf Seiten der Komponisten fehlt es der Platte insgesamt ein wenig an hervorstechenden Songs. Gerade nach der sensationellen Vorabsingle „Vincent“, die das Album eröffnen darf, konnte mehr erwartet werden. Mit „Vincent“ liefert Connor nicht nur bereits jetzt den besten Deutsch-Pop-Beitrag des Jahres, sondern womöglich auch den besten Song ihrer Karriere. Selten gelang eine so hervorragende Dynamik zwischen Melodielinie, Gesang und Text. Ein emotionsgeladenes Werk, welches das heutzutage leider immer noch komplizierte Thema „Coming Out“ auswählt und authentisch behandelt.
Diese Qualität wird ansonsten nicht ganz erreicht, was gerade beim ersten Durchlauf des Albums etwas ernüchternd wirkt. Doch Vorsicht! Ähnlich wie beim Vorgänger wachsen viele Titel erst nach mehrmaligem Anhören. Für Fans von etwas druckvolleren Nummern ist „Hör auf deinen Bauch“ eine klare Empfehlung, das als Motivationshymne den bevorstehenden Sommer leichter erträglich machen wird. Der aggressive Name „Keiner pisst in mein Revier“ lässt eine rotzfreche Rocknummer erwarten, liefert aber stattdessen einen fragilen Song, in dem sich Sarah äußerst angreifbar macht und von dem Gefühl erzählt, es nicht aushalten zu können, dass der Partner eventuell fremdgeht. Generell werden viele Songs konkreter und behalten nicht die oberflächliche 0815-Thematik bei, die im Kosmos der deutschen Musik zu oft aufkommt. So schlummert beispielsweise in „Unter alten Jacken“ der Kryptonit aus vergangenen Zeiten und in „Kleinstadtsymphonie“ die Sehnsucht nach dem Zuhause, das keine Millionen Menschen beheimatet. Bei der leisen Pianoballade „Flugzeug aus Papier (Für Emmy)“ versetzt sich Connor in die Lage von Eltern, die ihr Kind verloren haben und hinterlässt schwere Tristesse. Bei „Es war gut“ kommen im Refrain Erinnerungen an „Wie schön du bist“ hoch. Gesanglich legt die Gute besonders in „Ruiniert“ nochmal einen drauf und zeigt erneut, dass sie zu den besten Sängerinnen des Landes gehört.
Weniger gelungen sind die schleppenden Songs, in denen weder der Text noch die Melodie hervorstechen. Beispiel dafür sind „Ich wünsch dir“ oder „Schloss aus Glas“, aber auch das leicht groovige „Mein Jetzt, mein Hier“, die sich alle auch nach mehrmaligen Versuchen nicht festsetzen.
Fans von „Muttersprache“ – und das sind bekanntlich sehr viele – bekommen mit Herz Kraft Werke ein Album, das klar zeigt, welcher Druck nach dem vorangegangenen Erfolg in einem Künstler und dem dazugehörigen Team stecken kann. Dass dabei aber auch mehrere gelungene Songs rauskommen können, wird ebenso unter Beweis gestellt. Ein minimal enttäuschendes, aber trotzdem würdiges und gutes Album.
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