Ausnahmsweise mal das Fazit zuerst: Sarah Connor liefert mit ihrem Herz Kraft Werke Live passend zum Feste die womöglich beste Liveveröffentlichung aus deutschem Lande 2019.
Lange mussten Fans warten. Genau vier Jahre brauchte das neue Album der Delmenhorsterin, die nächstes Jahr zum vierten Mal einen runden Geburtstag feiern darf. Die erste Hälfte des 2000er-Jahrzehnts gehörte gefühlt nur ihr. Ein Nr. 1-Track nach dem nächsten. Erst 2007 ging es mit den Verkaufszahlen ein wenig zurück. Anscheinend war der Zenit für souligen Teenie-Pop überschritten. Fünf Jahre kreative Pause, um dann mit einem Paukenschlag zurückzukehren. Mit „Muttersprache“ verkaufte Sarah fast so viele Einheiten, wie mit ihren sieben vorherigen Alben zusammen. Dementsprechend hoch lag die Erwartungshaltung.
Die konnte zwar mit Herz Kraft Werke (lest HIER nochmal unsere Kritik) im vergangenen Mai nicht ganz erreicht werden, trotzdem hat auch dieser Longplayer längst Platin erhalten und mit „Vincent“ sogar den einzigen deutschsprachigen Pop-Song parat, der im Jahr 2019 eine Goldauszeichnung sein Eigen nennen darf. Eine Ehre, die ansonsten momentan nur Hip-Hop-Tracks gebührt.
Dem erfolgreichen Output wird nun mit einer besonders gehaltvollen Veröffentlichung die Krone aufgesetzt. Zwar mussten krankheitsbedingt ein Paar Auftritte gecancelt werden – am 29.10.19 war Sarah in Hamburg jedoch noch voller Energie. Über 140 Minuten (!) gibt es in Form von 24 Songs Deutsch-Pop der höchsten Kategorie.
Ob man nun mit leicht pathetischen Texten auf Deutsch etwas anfangen kann oder nicht, bleibt jedem selbst überlassen. Wer jedoch einen Funken für Sarahs Musik der letzten Jahre übrig hat, sollte dringend in das Konzert schauen oder hören. Ausnahmsweise ist es tatsächlich sogar egal, ob man sich für die Audio- oder Videovariante entscheidet – beide zeigen, dass die Konkurrenz hierzulande in vielerlei Hinsicht überschaubar bleibt.
Gerade gesanglich liefert Sarah Connor pausenlos. Ab Track 1 bis zum bitteren Ende sind die Töne, die nicht 100% da sind, wo sie hingehören, maximal an zwei Händen abzählbar – und das bei Titeln, die generell schon äußerst schwierig zu singen sind. Ob druckvolle und mitreißende Songs wie „Hör auf deinen Bauch“ oder „Kommst du mit ihr“, unzählige, schwindelerregende Runs in „Ruiniert“, verjazzte Versionen von Classics a la „From Sarah With Love“ oder tieftraurige Gefühle in „Flugzeug aus Papier (Für Emmy)“ und „Das Leben ist schön“ – Sarah ist so, so gut und lässt Neider blass aussehen. Chapeau.
Dem nicht genug stehen über 20 weitere Mitwirkende auf der Bühne. Eine große Gruppe Streicher, ein sechsköpfiger Gospelchor aus Amerika, drei Backgroundladies und eine sechsköpfige Rockband. Klotzen statt kleckern. Alle Musiker spielen sich die Finger wund oder singen sich die Stimmbänder rot. Soundtechnisch orientieren sich die meisten Songs an der gewohnten Studioversion, haben aber stets Platz für Soli. Das klingt mit der passenden Anlage zuhause wirklich wundervoll.
Connor wechselt glücklicherweise nur einmal das Outfit und ist demnach gerademal für fünf Minuten nicht anwesend. Ansonsten singt und tanzt sie energetisch und berichtet dazwischen zu fast allen Titeln, wie sie entstanden sind, was sie im täglichen Leben inspiriert und sorgt auch mit spontanen Witzen für gute Laune. Das allein genügt, um die fast zweieinhalb Stunden zu tragen. Die Showelemente bleiben überschaubar. Eine große, aufwendige Leinwand, einen langen Steg, ein paar Leuchtelemente und kurze Choreos. Fertig.
Man muss schon lange suchen, um etwas beanstanden zu können, da sogar das Publikum fleißig mitmacht, mitklatscht, mitschwingt und mitsingt. Die heterogenen Zuschauer sind sichtlich erfreut, lassen in unpassenden Momenten sogar brav das Handy unten, in anderen reißen sie es mit Blitzlicht in die Höhe. Lediglich bei der Tracklist könnten vielleicht einzelne Songs ausgetauscht werden. Mit 14 von insgesamt 17 möglichen Liedern wird sich wirklich stark auf die neuste Platte konzentriert. Aus dem Mammuterfolg „Muttersprache“ sind immerhin sieben vertreten, man könnte jedoch „Augen auf“, „Anorak“ oder „Mein König“ vermissen. Aus der englischsprachigen Zeit gibt es ein kleines Potpourri mit den Lieblingen „Music Is The Key“, „Bounce“, „From Zero To Hero“ und sogar dem lang nicht mehr gespielten „Living To Love You“. Dafür sucht man ein wenig unerklärlich den kultigen „Let’s Get Back To Bed-Boy“, „French Kissing“, „Skin On Skin“ oder auch „Under My Skin“. Eine Kleinigkeit zum Schluss: einige Anmoderationen hätte man auf der Audio-CD kürzen können.
Mit Herz Kraft Werke Live zeigt Sarah Connor aber, wer die Chefin im Ring ist. Da gibt’s nicht viel zu diskutieren. Einige Songs des aktuellen Albums bekommen noch mehr Raffinesse und wissen zu beeindrucken. Große Sympathie, große Stimme, große Unterhaltung. Die Entscheidung, Deutsch zu singen, war genau die richtige. Sich diese wirklich sehr starke Live-Platte zu kaufen wäre auch eine.
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