Früher oder später kommen sie offensichtlich alle zurück – die 90s gelten mittlerweile als genauso kultig wie die 80s. Dauerte es zwar einige Zeit, bis man aufhörte sich für die Backstreet Boys, Spice Girls, Kelly Family oder Blümchen zu schämen, sind nun sämtliche Songs großer Bands des fast drei Dekaden zurückliegenden Jahrzehnts absolute Must Plays auf guten Partys. Häufig wird dabei jedoch vergessen, dass die 90er ebenfalls für wirklich anspruchsvolle alternative Sounds sorgten und gerade aus UK unzählige eigenwillige Formationen hervortraten. Egal, ob Genregrößen wie Oasis und Blur, Rockbands wie Skunk Anansie oder kleine Indie-Pop-Perlen, wie sie die Shakespears Sister schrieben.
Man glaubt es kaum, aber 26 Jahre nach ihren letzten gemeinsamen Auftritten sind nun Gründerin Siobhan Fahey und Marcella Detroit wieder zusammen am Start. Ihre Arbeit als Duo hielt damals nur drei Jahre – die Trennung dauerte somit fast die neunfache Länge. Manchmal brauchen Dispute eben etwas an Zeit. Anspannungen innerhalb des Projekts, das Sehnen nach Umsetzungen von anderen Musikideen und starke Depressionen können dafür sorgen, dass auch eine gerade erst funktionierende Band sich schneller verabschiedet, als sie gekommen ist.
Mit „Sacred Heart“ wollte Fahey ursprünglich allein durchstarten. Ihr Ausstieg aus der erfolgreichen 80s-Girlie-Band Bananarama war Anlass dafür, sich auszuprobieren – doch bereits beim Songwriting für das Debütalbum, das gehäuft mit Gitarristin Detroit passierte, war klar, dass man mehr gemeinsam machen wollte, als nur Schreiben. Ganz nebenbei war Detroit mit einer begnadeten Stimme ausgezeichnet, die kaum einen schärferen Kontrast zu Fahey bilden konnte. Nachdem also die ersten beiden Vorabsingles des Albums, die allein von Fahey vorgetragen wurden, an den Charts vorbeischlitterten, erschien Detroit im dritten Musikvideo, und zack, war mit „You’re History“ der erste Top 10-Hit in der Heimat im Kasten. Das einen Monat später erschienene Album ging ebenfalls Gold. Man blieb beim Bandnamen aber weiterhin bei der Singularform Shakespears Sister.
Und dennoch ließ der große Durchbruch noch ein Album auf sich warten. Mit der zweiten Auskopplung aus dem Folgewerk „Hormonally Yours“ sollte es dann klappen – und zwar richtig. „Stay“ schaffte in allen wichtigen Charts die Top 5. In Deutschland reichte es für Platz 3, in UK hielt sich das markante Duett gleich acht Wochen an der Spitze. Dieser Riesenerfolg konnte zwar nicht mehr wiederholt werden, aber die Nachfolgesingles, allen voran „Hello (Turn Your Radio On)“, verbuchten ebenfalls ansehnliche Plätze und sorgten dafür, dass das 2. Album der Band in Deutschland Gold und in Großbritannien Doppelplatin bekam.
Doch dann war eben wegen jenen Streitigkeiten Sense und Detroit raus. Ihre neuen Pläne brachten mit „I Believe“ immerhin einen Hit hervor, der Rest verpuffte nahezu unbemerkt. Zwar sollte mit „#3“ schon nach kurzer Zeit ein Folgewerk unter dem Namen Shakespears Sister veröffentlicht werden, was jedoch seitens der Plattenfirma nicht mehr von Belangen war. Erst 2005 konnte online das Album auf Faheys Seite bestellt werden, 2009 gab es mit „Songs From The Red Room“ sogar noch ein weiteres – beides erreichte aber nur die absoluten Hardcorefans.
2019 will man es nun noch einmal wissen. Letztes Jahr bemerkten die Frauen, dass die persönliche Ebene wiederhergestellt und es an der Zeit ist, es noch einmal zu versuchen. Singles Party ist das Produkt dieses Austausches. Die 2CD-umfassende Deluxe Edition präsentiert mit 32 remasterden Songs ein überraschend umfangreiches Bündel und hält das, was der Name der Platte verspricht: alle Singles und Bonusmaterial.
Mit den beiden großen Songs „Stay“ und „Hello (Turn Your Radio On)“ liegen ohne zu übertreiben zwei der womöglich 50 besten Lieder des gesamten Jahrzehnts vor. Tracks, die ein jeder kennen sollte und an Eindringlichkeit schwer zu überbieten sind. „Stay“ ist ein kleines Epos, das sich zunächst komplett auf den wehmütigen Gesang Marcellas konzentriert und nach 1:53 einen der intensivsten-dramatischen Wendepunkte der Popmusik bereithält. Das Video hebt den meisterhaften Song noch einige Klassen höher. Atemberaubendes Werk, kongeniale Kombination. Dem hingegen hält „Hello (Turn Your Radio On)“ mit Siobhan im Vordergrund einen fast schon lethargischen Moment fest, der an Sozialkritik nicht spart. „Life is a strange thing – just when you think you learned how to use it, it’s gone“ – wie wahr. Leider wurden bei der neuen Abmischung von „Stay“ ordentlich Special Effects dazu gemixt, sodass hier und da der neue Sound einen Hauch zu viel des Guten serviert. „Hello“ hingegen ist auch 2019 purer Genuss.
Doch lässt man diese beiden Titel außenvor, können die beiden Mädels nicht mehr ganz so viel, obwohl bei der Singles Party wirklich an alles gedacht wurde: CD1 beinhaltet alle fünf Singles aus dem Erstlingswerk „Sacred Heart“ und alle fünf aus dem Erfolg „Hormonally Yours“. Die fünf anschließenden Titel aus „#3“ und „Songs From The Red Room“ liefen teilweise unter Shakespears Sister ohne Marcella, teilweise aber auch unter Siobhans eigenem Namen. Somit ist Marcella hier komplett ausgeschlossen. Mit „Stay (Acoustic Version)“ gibt es eine positive Überraschung, befand sich diese Version bisher nur auf sehr wenigen Veröffentlichungen und war für viele kaum zugänglich. Dabei wird das wunderbare Talent von Marcella deutlich; Siobhan hingegen entscheidet sich, wie sie es häufiger tut, für eine eigenwillige Interpretation, die hier aber dem zweistimmigen Gitarrenspiel äußerst zugutekommt. Lohnt sich, entdeckt zu werden. CD2 umfasst 14 Songs, die sich aus drei Titeln, die nur auf Singles zu haben waren, drei Albumsongs von „#3“, sieben Remixen und einem bisher unveröffentlichten, aber fast komplett instrumentalen Song namens „Cat Worship“ zusammensetzen.
Wo wir somit auch bei den wirklichen Neuzugängen wären. Drei an der Zahl. Neben „Cat Worship“, das wie ein Interlude klingt und somit kaum der Rede wert ist, gibt es wenigstens zwei neu geschriebene Titel. „All The Queens Horses“ zockt mehr als nur ein bisschen bei Lee Hazlewood & Nancy Sinatras „Summer Wine“ und kommt nicht über das „Ganz nett“-Siegel hinaus. „C U Next Tuesday“ macht das schon besser und wiederholt den leichten Countryeinschlag des anderen neuen Songs. Refrain geht gut rein.
Der Klang der Shakespears Sister-Best Of ist so 90s, dass mit Sicherheit kaum ein neuer Fan dazu gewonnen werden kann – viele Titel hören sich einfach aufgrund ihres New Wave-Indie-Electro-Pops altbacken an und haben eben nicht die nötige Durchschlagskraft, um ihre Zeit zu überstehen. Trotzdem macht das leicht hysterische „You’re History“ wirklich Spaß und mit „Goodbye Cruel World“ bekommt man einen weiteren, catchy Song mit Ohrwurmpotenzial. Von der Bonus-CD fällt lediglich die tolle Hook vom hier umfunktionierten Titeltrack „Singles Party“ auf – der Rest ist entschieden zu beliebig und macht das Hören doch ein wenig anstrengend.
Die Frage ist letztendlich: an wen richtet sich diese Singles Party? Ob neue Leute mit der Musik überzeugt werden? Schwierig. 90er-Fans werden die zwei üblichen Verdächtigen seit eh und je kennen und lieben, können sich aber womöglich nicht so einfach durch den Rest der Scheibe hangeln. Anhänger der ersten Stunde bekommen ein paar Neuheiten, die aber auch eher eine nette Zugabe darstellen, statt eigenständige Highlights. Ab Ende Oktober folgt eine 14 Stationen umfassende UK-Tour – hierzulande ist bisher nichts in Planung. Schön wäre es trotzdem, um das Retrofeeling ein wenig auflodern zu lassen, bevor es mit großer Sicherheit bald leider wieder erlischt.
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