Wer sich losgelöst von der Historie der Künstlerin Soko in “Feel Feelings” hineingleiten lässt, könnte zunächst dem Trugschluss erliegen, eine wohlig warme Pastellwelt entdeckt zu haben. Wo das französische Ausnahmetalent einst mit unmissverständlichen Songtiteln wie “I’ll Kill Her” oder “I Thought I Was An Alien” noch demonstrativ auf der eigenen Unangepasstheit beharrte, laden die sphärischen Dream-Pop-Schwaden auf dem Drittwerk zunächst vor allem zum Träumen ein. Ist da etwa jemand zahm geworden?
Amor steckt im Detail
Möglicherweise steht die tief melancholische Grundatmosphäre von “Feel Feelings” im engen Zusammenhang mit dem Entstehungsprozess des Albums: Anderthalb Jahre lang zog sich Soko inspiriert von einem Aufenthalt im Hoffman Institute in eine strenge Isolation zurück. Bei jener Einrichtung werden auf alle Gewohnheiten und Sehnsüchte verzichtet, um sich von seinen eigenen Lastern zu befreien. So verzichtete auch Stéphanie Alexandra Mina Sokolinski, wie Soko eigentlich heißt, im gesamten Aufnahmeprozess bewusst auf jede Art von romantischer und körperliche Beziehung. All diese aufgestaute Sehnsucht entlädt sich nun im wohl sinnlichsten Werk, das Soko jemals veröffentlicht hat. Dass derartige Thematiken im Kosmos der Aktivistin nicht nach Schema F ablaufen, sondern Raum für queeres Begehren (“Oh To Be A Rainbow”) oder aktiver Suche nach sexueller Nähe (“Looking for Love”) machen, sollte dabei eigentlich nicht überraschen. Was hingegen doch überrascht, ist “Blaspheme”: Erstmalig singt Soko auf ihrer Muttersprache, ein Umstand, der sich nicht nur auf die Klangfarbe der Gesangsstimme, sondern auch auf den generellen Sound des Albums auswirkt. Welche Sprache und Kultur ist in der Popkultur schließlich mehr mit Romantik und Sinnlichkeit verwoben als die franzsösische? Dass also auch Serge Gainsbourg als eine der vielen Sound-Nachbar*innen neben “Feel Feelings” steht, passt auch inhaltlich zum Kontext.
Gewitterwolken ziehen auf
Ganz so viel Rosamunde Pilcher-Charme steckt dann aber doch nicht in “Feel Feelings”. Soko spricht hingegen davon, wie wichtig es sei, sich mit den eigenen Traumata auseinanderzusetzen. Gerade in ihrem ungekünstelten, nachdrücklichen Gesangsgestus kratzt sie so mit Nachdruck wunde Stellen auf. Bestes Beispiel: “Don’t Tell Me To Smile”, in dem sie ihre Außenseiterrolle und tief verwurzelte Depressionen thematisiert. Doch trotz einiger recht deftiger Themen ist Sokos drittes Album kein verzweifeltes, sondern ein mutiges. Eines, das sich der großen Probleme bewusst ist, sie jedoch mit viel Willenskraft neben die Sonnenseiten des Lebens porträtiert. So können auch Texte wie “I have never been anyone’s favourite person” reflektiert und verdaut werden. Für die lauen Sommernächte pinselt “Feel Feelings” so eine nahezu magisch funkelnde Kulisse an die Wände von verlassenen Innenhöfen, einsamen WG-Zimmern und tiefsinnige Gesprächsrunden. Eine verträumte Reinkarnation einer Rebellin, die sich zwischen Sonnen- und Schattenseiten ein eigenes Reich erschaffen hat.
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Rechte am Albumcover liegen bei Babycat Records.
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