The Raconteurs – Help Us Stranger

Die Verkehrsampel steht programmatisch für Modernität. Sie ist ein nicht unwesentlicher Bestandteil des reibungslosen Straßenverkehrs weltweit. Straßen und Autos wiederum bedeuten Fortschritt, Verbindung, Innovation. So ganz mag dies auf den ersten Blick alles gar nicht zu den bewusst klassischen Bluesrock-Klängen der Raconteurs um die Masterminds Jack White und Brendan Benson passen. Auf ihrem sehnsüchtig erwarteten dritten Studioalbum stehen die Zeiger tatsächlich nicht nur in der Vergangenheit – und gerade dieser unwirkliche Clash sorgt für spannende Reibungen und ein immens gelungenes Comeback.

Da führt Jack White, der alte Teufelskerl, die lässigen Classic-Rock-Riffs vom Opener “Bored And Razed” mit einem bestimmendem Tonfall in einen hymnischen Refrain, der von zappelnden Oh-Oh-Chören garniert ist, damit er sich schließlich im zweistimmigen Beinahe-Titeltrack “Help Me Stranger” mit seinem Counterpart Benson ein sommerliches Americana-Duett liefert, um zu allem Übel auch noch in “Only Child” einen waschechten Bluegrass-Schunkler anzustimmen. Da zupft man gerade so einen Grashalm heraus, um sich stilecht in die weiten Fernen von Nashville zu träumen, als “Don’t Bother Me” den Grashalm dank eines offenen Mundes wieder herausfallen lässt: Pompöse Background-Chöre im Stile von Queen und dem Electric Light Orchestra durchfahren den bluesigen Gitarrendreck, White gerät ins Schreien, das Stück entlädt sich nach einem sanften Zwischenspiel in eine Lärmspirale. Puh. Diese überbordernde Epik kennt man vielmehr von Whites aktuellem Solo-Album “Boarding House Reach” als von den sonst so lässigen Bluesrockern.

Diese Innovation nimmt man aber gerne mit, vor allem wenn sie dann so stilecht mit dem klassischen Klavier-Einsatz in “Shine The Light On Me” beantwortet wird. Überhaupt ist die schiere Spielfreude des Quartetts förmlich zu spüren, allen voran im zackigen Donovan-Cover “Hey Gip (Dig The Slowness)”, in dem kecke Rhythmuswechsel und Vocoder-Verfremdungen auf ein ekstatisches Mundharmonika-Solo hinarbeiten. Natürlich gibt es dennoch auch ganz klassische Songs, wie “Live A Lie” mit seinen ausufernden Gitarrensequenzen oder den programmatischen Herzschmerz-Song “Now That You’re Gone”, in dem Benson den Lead-Gesang übernimmt.

Wenn sich dann im Closer “Thoughts And Prayers” eine chorale Front zusammenbraut, um vor einer breiten Streicher-Wand eine durchaus pessimistische Ansicht über die aktuelle Lage der Welt auszusprechen, wird es doch futuristischer, als man vermuten konnte: “I used to look up to the sky, but now the earth has turned to grey, there has to be a better way to talk to god”. Die Ampel zeigt Frieden anstelle von kühlem Futurismus, der Albumtitel ist ein Hilferuf, der wohl kaum an die Menschheit gerichtet ist. Aus der musikalischen Sackgasse gelingt den Raconteurs der Weg mit einer harmonischen Verbindung aus Altbewährtem und radikal Neuem – eine Strategie, die auch dem Weltgeschehen helfen könnte.

Und so hört sich das an:

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Rechte am Albumcover liegen bei Third Man.

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