Rebekka Bakken, Erholungshaus Leverkusen, 18.11.2025

rebekka bakken leverkusen 2025

Dass gefragte Konzerte in Leverkusen statt in Köln oder Düsseldorf stattfinden, passiert zwar nicht oft, aber es kommt vor. Eigentlich immer dann, wenn die Leverkusener Jazztage anstehen. Das 1980 ins Leben gerufene Festival steuert zielsicher auf die 50. Ausgabe zu. In jeder Rutsche des zwei- bis dreiwöchigen Events gibt es täglich Acts aus dem breiten und sehr frei interpretierten Genre der Jazzmusik, die meist im hübschen Erholungshaus auftreten oder bei besonders gefragten Artists in dem noch größeren Forum. Rebekka Bakken aus Norwegen ist bei der 46. Ausgabe eine Wiederholungstäterin. Sie war schon mehrfach bei der international renommierten Konzertreihe zu Gast, zuletzt erst vor zwei Jahren. Die meisten der rund 700 Gäst*innen – das Erholungshaus ist nämlich fast ausverkauft – haben sich hier also wahrscheinlich nicht zufällig hinbegeben.

Doch bevor es an dem Dienstagabend, dem 18.11., die Künstlerin zu hören gibt, die mit über 30 vergleichsweise spät an Karrierefahrt aufnahm, wird der Alltag draußen gelassen und alles ein wenig entschleunigt. In der hübschen Venue gibt es in dem dazugehörigen Restaurant kühle Getränke und leckere Speisen, die von vielen Besucher*innen gern verköstigt werden. Dank fester Sitzplätze wird es im Saal erst kurz vor Beginn voll – von Stress existiert hier wirklich gar keine Spur. Draußen ist es bereits winterlich-weihnachtlich bei gerade einmal 4 Grad, innen dafür cozy und warm. Mit einer ruhigen Beleuchtung und dezenten Animationen auf der Leinwand wird bis zum Ende gegen 22:20 Uhr nahezu nie das entspannte Feeling gestört.

Bevor der Hauptact auftritt, gibt es vorab einen Special Guest. Einer der Veranstalter*innen begrüßt das Publikum pünktlich um 19:30 Uhr und sagt, dass es bei vielen Konzerten der Leverkusener Jazztage so sei, dass die beiden Acts an dem Abend oft fast gleichwertig funktionieren. Als Support für Rebekka Bakken steht das Valeria Maurer Quartet für rund 45 Minuten auf der Bühne. Sagen wir so: Für ein Jazzfestival ist die Entscheidung durchaus nachvollziehbar, als Vorband von Rebekka Bakken ist die Schere aber doch recht groß. Die in Kasachstan geborene Valeria Maurer nahm bereits an vielen namhaften Wettbewerben des Genres teil und schnitt oft überdurchschnittlich ab. Während ihrer Performance in Leverkusen zeigt sie aber mehr das Können ihrer starken Instrumentalisten – allen voran: Der wirklich starke Kontrabassist, der gar Szenenapplaus bekommt. Sie selbst wirkt vor allen Dingen in den ersten 15 Minuten ziemlich aufregt und thematisiert es sogar in ihrer Ansprache. Da sind dann auch manche Töne nicht ganz sauber, einige Anmoderationen zu vertonten Gedichten deeper dargestellt, als die Lyrics am Ende präsentieren. Final ist der Auftritt nicht schlecht, aber doch etwas dröge und ein wenig unsortiert. Während eines Intros – hierfür wurde der Klassiker „Feeling Good“ ausgewählt – gibt es gar eine Rückkopplung. Und nicht zuletzt lenkt das permanente Filmen eines Crew-Mitglieds, das fast den gesamten Gig um die Band herumkreist, gehörig ab.

Der Einstieg ist also eher naja. Doch Rebekka Bakken braucht eigentlich nur einen Song, um das Niveau mehrere Ligen nach oben zu tragen. In ihrem anderthalb Stunden andauernden Set zeigt sie eine beeindruckende Bandbreite an Stilen. Eröffnet und geschlossen wird mit Bluesrock, dazwischen warten Tango, Kirchenlieder, norwegische Folklore, Singer/Songwriter und Pop-Nummern auf das Publikum, sodass man schnell versteht, warum sie sich selbst nicht als Jazz-Sängerin interpretiert. Das ist irgendwo Jazz, aber eben so wie Norah Jones oder Beth Hart Jazz sind. Immer so bekömmlich und wohltuend, dass man auch ohne große Affinität für äußerst sperrige Musik betreut an der Hand geführt wird.

Die Norwegerin, die lange Zeit in Wien lebte und in Deutschland viel erfolgreicher ist als in ihrer Heimat, ist in Plauderlaune. Mit Anekdoten auf Deutsch, Wienerisch und Englisch wirkt das Hüpfen zwischen den Sprachen zwar etwas holprig, dafür aber sehr sympathisch und authentisch. Sie lästert über verflossene Männerlieben, sie erzählt von ihrer vorangegangenen unerholsamen Nacht im Hotel, weil sie eine zu gruselige Netflix-Serie geguckt und dabei Gummibärchen verdrückt hat. Das ist nah und fanorientiert – gleichzeitig wirkt Rebekka Bakken aber auch ein bisschen überheblich, wenn sie mehrfach den Ton in ihren Ohren korrigiert haben möchte und mit der Band ein paar Mal in Interaktion gehen muss, welcher Song denn nun als nächstes gespielt wird. Bei einem Vorspiel ihres Pianisten bricht sie sogar ab, weil sie sich gerade auf einen ganz anderen Titel eingestellt hat. Well, ok.

Doch das, was es auf die Ohren gibt, ist in allen Belangen wirklich toll. Ihre Gesangstechnik ist fantastisch. Ohne erkennbare Anstrengungen wechselt sie federleicht durch die Register und transportiert Emotionen in Tönen, aber auch in ausdrucksstarken Gestiken. Ihr Stimmklang, der ein wenig an einen Mittelweg aus Stevie Nicks, Anastacia und Joni Mitchell erinnert, fährt die Menschen vor ihr schnell herunter. Ab und zu wird mal gefilmt oder ein Foto gemacht, oft aber einfach gespannt und zurückgelehnt zugehört. Mit „Closer“ wird eher laut, lasziv und aggressiv gestartet, besonders ruhig und intim wird es bei der E-Gitarren-Version zu „Daylight Is Short in Fall“, das verdammt tief berührt und das tägliche Chaos in einem auf einmal ganz still werden lässt. „True North“ widmet sie ihrem Vater, mit dem sie einige Konflikte zu führen hatte. Ein enorm persönlicher Einblick, der in dem Lied Beschreibung findet.

Auch vor spirituellen Momenten schreckt die 55-jährige in Oslo geborene Künstlerin nicht zurück. Für „Calling All Angels“ hält sie eine Art religiösen Weckruf, der dann in epische, dramatische Klänge gipfelt. An dieser Stelle sei besonders die hervorragende Leistung des Drummers erwähnt, der in den 90 Minuten so viele Rhythmen-Wechsel zu meistern hat, dass einem schwindelig wird. Großartig und immer on point. Sowieso arbeitet auch an der Technik genau die richtige Person, weil das gesamte Konzert über der Sound der Instrumente perfekt gemischt wird und Rebekkas Stimme immer in den Augenblicken den richtigen Hall erhält, wann sie es verdient.

Für einen treuen Fan in den vorderen Reihen, der sie vorab kontaktierte, gibt es in den Zugaben sogar einen zunächst nicht geplanten Song: „No Easy Way“ besitzt eine der eingängigsten Melodien im ganzen Set und ergänzt mit seiner simplen Leichtigkeit die Show um eine weitere Note. Danke an den Menschen, der hierum gebeten hat, das war eine gute Idee. Die zwei norwegischen Traditionals, die sich auch auf ihrem erst vor einer Woche erschienenen neuen Album „Nord“ befinden, bekommen besonders starken Beifall. Das hat eben etwas sehr Eigenes, was man sonst so logischerweise in Deutschland von wohl niemandem zu hören bekommt.

Ein runder Abend mit einer eigenwilligen, charakterstarken Sängerin am Mikro, deren Adult-Pop nie zu mainstreamig, aber auch nie zu kantig klingt. Zwischen Hochkultur und klassischer Unterhaltungsmusik. Vorweihnachtliche Atmosphäre kurz vor der Vorweihnachtszeit. Besinnlich-schön.

Weitere Termine:
06.12. Sudhaus, Tübingen
24.01. Nicolaisaal, Potsdam
09.04. Theaterhaus, Stuttgart
29.04. Bürgerhäuser, Dreieich
17.05. Kunsthaus Weiz, Wien (AT)
27.05. Klagenfurtfestival, Klagenfurt (AT)
27.06. Fill in Festival, Saarbrücken
03.07. Dreieinigskirche, Nürnberg
04.07. Dreieinigskirche, Nürnberg
27.11. Peterskirche, Leipzig
28.11. Glocke, Bremen

Und so hört sich das an:

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Foto von Christopher Filipecki

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