Stets in Bewegung: Auch mit ihrem fünften Album entfernen sich Touché Amoré ferner von dem Ort, an dem sie ihre Reise einst vor dreizehn Jahren starteten. Dass die Band nun nicht im entferntesten vor hat, von diesen Weg abzukommen, offenbart bereits der symbolische Blick auf die Spielzeit: „Lament“ ist das vierte Album in Folge, das länger andauert als der Vorgänger. Unverkennbar Hardcore ist die Musik des Quintettes trotzdem noch immer. Dessen Spielart klingt zwar lange nicht mehr so düster wie auf „…To the Beat of a Dead Horse“ und atmet immer mehr Post-Rock und Indie, trägt die Katharsis und Energie des Frühwerks aber weiterhin in sich.
Vor und zurück
Achtung Paradoxon: „Lament“ ist gleichsam weniger und mehr Rückbesinnung als sein Vorgänger. So lässt sich „Exit Row“ trotz seiner Kürze und Direktheit dennoch viele Meilen von der jugendlichen Roughness von Songs wie „Throwing Copper“ oder „Nine“ verorten. Und auch das anschließende „Savoring“ ist obgleich seines deftigen Basses und seiner Deafheaven vor Stolz rot werden lassenden Blast-Beat-Passagen viel zu schön um als wirklich fies durchzugehen. Schuld daran tragen die Gitarren, die sich noch mehr im Hall suhlen als auf den Vorgänger-Werken und immer weitreichendere Melodiebögen zeichnen. Davon profitiert die Quasi-Power-Ballade „A Broadcast“ ungemein, deren breite Slide-Gitarren im Mix unruhig von rechts nach links huschen. Gerade dieses Song-Trio aus „Exit Row“, „Savoring“ und „A Broadcast“ unterstreicht zudem ein wiederholtes Mal, wie sehr die Kalifornier die Kunst flüssiger Song-Übergänge beherrschen.
Gewissermaßen wenden sich Touché Amoré auf „Lament“ jedoch auch zurück. Das gilt vor allem für den Vortrag Jeremy Bolms, der die breit arrangierten Instrumentale seiner Kollegen auf „Stage Four“ noch mit seiner tiefen, nasalen Gesangsstimme bereicherte. Die präsentiert der 37-Jährige nun kaum noch. Dafür versucht sich Bolm daran, mit seinem sonst so dissonanten Geschrei, Melodien zu skizzieren. Dass Refrains oder Andeutungen von solchen noch größere Räume einnehmen, ist deshalb nur logisch.„Reminders“ kann davon wortwörtlich ein Liedchen singen und ist der beste Beweis dafür, dass solche Gehversuche auch in einem passablen Punk-Hit münden können.
Auch die inhaltliche Ausrichtung der elf Stücke entfernt sich von den zwei Vor-Alben, die in sich doch jeweils ein geschlossenes Konzept vorlegen konnten. „Lament“ verzichtet auf derartige Mono-Thematik: Bolm singt nun nicht mehr nur über den Tod seiner Mutter, sondern wechselt die Perspektive und schreibt über seinen Gemütszustand. Viel Optimismus sucht man in den Texten dennoch vergebens, auch wenn Bolm erstmals auch seine Beziehung behandelt und damit zumindest ein wenig warmer Südwind durch die Hallen Touché Amoré weht.
Eine Vorhersage
Den Bogen von Vergangenheit nach Zukunft spannt „A Forecast“. Der dreiminütige Closer sieht Bolm – nun doch singend – über seichte Klavier-Chords auf die vergangenen Jahre zurückblicken. Das schlimmste aller Erlebnisse zieht da nun doch wieder ein. „The people I thought would reach out, turns out they would not / on the anniversaries of the worst kind of days my phone was mostly silent“, richtet er da ungeschönt an seine Mutter. Dann rollt ein monumentaler Sturm aus Gitarren, Bass und Schlagzeug über die Zuhörer*innen hinweg.
Wer nach dem öden „Deflector“ – glänzt in neuem Anstrich nun schon viel verlockender – im letzten Jahr befürchtete, Touché Amoré hätten ihren Schimmer eingebüßt, die*den wird „Lament“ zurück in die Realität verfrachten. Die Kalifornier gehören auch nach fünf Alben zum Besten und Spannendsten, was der Post-Hardcore jenseits des Atlantiks an das europäische Festland spült. Der voranschreitenden Weiterentwicklung sei Dank: Die Reise ist noch lange nicht vorbei.
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Im letzten Jahr zerpflückte Autorin Anna “Is Survived By” im Plattenkrach. Jonas hielt natürlich dagegen. Das gibt es hier.
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Die Rechte für das Cover liegen bei Epitaph Records.
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