Plattenkrach: Touché Amoré – Is Survived By

Cover von Touché Amorés "Is Survived By"

Mit der amerikanischen Post-Hardcore-Band Touché Amoré steht nun erstmals eine Band der “The Wave”-Bewegung in der Schusslinie des Plattenkrachs. Redakteur Jonas kann mit der chaotischen Schönheit der Musik viel anfangen. Anna sieht das dahingegen komplett anders und stört sich vor allem an dem monotonen Geschrei, das sich durch das dritte Album der Band zieht. Lassen wir die beide doch mal zu Wort kommen!

Jonas sieht das so:

Ich weiß noch genau, wo ich war und was ich tat, als ich „Is Survived By“ das erste Mal hörte – bei den Alben, die einen am stärksten prägten, ist das häufig so. Zumindest sagt man das, also muss das auch so sein. Auf jeden Fall war das im Sommer 2014 während ich meinen Eltern dabei half ihren Vorgarten in einem Kölner Vorort in Schuss zu halten. Damals lauschte ich über mittelmäßige Kopfhörer erstmals dem emotionsgetränkten Gebell Jeremy Bolms sowie der wunderschönen, etwas chaotischen Hintergrundinstrumentation seiner vier Kollegen. Die Musik Touché Amorés ist nichts, was einem nach wenigen Hördurchläufen direkt in die offenen Arme fliegt. Dafür fehlt es dem fast schon monotonen Geschrei Bolms an Melodie, dafür misst die Musik zu häufig eingängige Refrains. Gleich der erste Durchgang konnte bei mir jedoch das hervorrufen, was die Platte noch immer in mir auslöst: Faszination.

In zwölf Songs und 29 Minuten prügeln sich die Kalifornier durch Post-Rock-Soundflächen, hektische Stakkato-Blast-Beats, Sing-Along-Parts und ruhige Melodieläufe. Dabei ist „Is Survived By“ kein Album, das aus einer bestimmten Anzahl einzelner Songs besteht, sondern seines Flows wegen in Gänze wie ein einziges langes Stück wirkt. Ich kenne kein Gesamtwerk, dessen Songs so schlüssig miteinander zu einem großen homogenen Ganzen verschmelzen, das kaum ohne Pausen auskommt und dabei trotzdem genug Momente hat, die nach einiger Zeit im Gedächtnis bleiben. Da wären zum Beispiel das kurze „Praise / Love“, das mit seinen hallgetränkten Gitarrenlinien und den wenigen Zeilen Bolms, die dieser wie ein kurzes Gedicht vorträgt, zu den ruhigsten Momenten des Albums zählt und in „Anyone / Anything“, den unumstritten eingängigsten Song der Platte, mündet. Da wäre der Schlusspart von „DNA“, der den Zuhörer in einen atemberaubenden Soundstrudel zieht. Oder da wäre der Opener „Just Exist“ mit seinem markanten Drum-Beat und tattoowürdigen Eröffnungszeilen.

Touché Amoré stießen mir mit ihrem dritten Studioalbum die Tür zu der unkonventionellen Welt des Post-Hardcores auf, die mich seitdem nicht mehr loszulassen mag. Thrice, La Dispute, Defeater, Alexisonfire oder Refused sind seitdem nicht mehr nur Namen, die man mal in einem großen Print-Magazin liest, sondern die einen aktiven Part in meinem Leben spielen. Neben der so andersartigen Musik, die alles in den Schatten stellt, was Gitarrenmusik sonst so hervorbringt, tragen daran vermutlich die Texte einen bedeutsamen Anteil. Auch auf „Is Survived By“ schneidet Bolm Themengebiete an, die klar aus der Perspektive eines Musikers betrachtet werden. Durch die vielen von Selbstreflexion durchzogen Passagen verfügen diese aber über genug Universalität, als dass sich auch der Zuhörer in den Zeilen wiederfinden kann.

Behandelten die frühen Touché Amoré-Werke noch die Unzufriedenheit mit sich selber, der Welt und der eigenen Heimat und bieten in dem Zuge wenig Lichtblicke, so beschäftigt sich Bolm auf „Is Survived By“ in großem Ausmaß mit seiner Rolle als mittlerweile zufriedener Sänger einer Band, von der alle erwarten sie veröffentliche ausschließlich traurige Songs. Deshalb behandelt er die eigene Vergänglichkeit, Schreibblockaden, externen und internen Druck und das eigene Glück – und bleibt immer so unkonkret, dass Zuhörer sich auch aus der Perspektive anderer Rollen in den Texten wiederfinden können.

Zum Ende hin äußern Touché Amoré den hoffnungsvollen Wunsch einen Track schreiben zu wollen, der von den Massen mitgegröhlt werden kann und dadurch als Vermächtnis der Band auch nach deren Ende weiterbestehen kann. Mit „Is Survived By“ haben die fünf Amerikaner ein Werk geschaffen, dass sie – zumindest in der Szene – zunächst unsterblich erscheinen lässt. Dass die Band sich nach diesen Zeilen in einem chaotischen Soundsturm verliert, steht dann wiederum ironischerweise repräsentativ für den rebellischen und komplett uneinordbaren Eigenwillen der Musiker.

Anna sieht das etwas anders:

Im Laufe meines noch jungen Lebens machte ich Bekanntschaften mit unzähligen Musikgenres. Von Jazz über Punk bis Metal hin zu fabelhaften Vivaldi-Sonaten waren so einige Titel in meinen Wiedergabelisten vertreten. Doch Post-Hardcore – kurz Postcore genannt – gehörte nicht dazu. Obwohl ich an „Rockgarden“-Partys an Samstagabenden in Köln-Ehrenfelder Szene-Clubs auch gerne mal das Tanzbein (nunja, sagen wir eher das blonde-lange Haupthaar) zu den harten Screamings und verzerrten Gitarrenriffs schwang und damit schwarz-gekleidete Rocker in meinem Blümchenkleid immer wieder verblüffte, fiel es mir im nüchternen Zustand zunehmend schwer, mich mit dieser Form von Musik anzufreunden.

Mit dieser Vorgeschichte im Hinterkopf setzte ich mir nun also die Kopfhörer auf und versuchte mich an Touché Amorés „Is Survived By“. Eine Aufgabe, die mir zugegeben nicht ganz leichtfiel. Denn man könnte sie wohl mit einem Grundschulkind vergleichen, das sich gerade der Herausforderung stellen muss, Schreiben zu lernen. Denn wie sieht das oft aus? Richtig: krakelig, holprig und oftmals sehr unverständlich. Unverständlich. Das ist auch mein Stichwort. Tja, lieber Jonas. Wieso nur gefällt dir ausgerechnet dieses Album so gut?

Denn so viel sei vorab gesagt: Obwohl ich als einstige Musikwissenschafts-Studentin schon oftmals mit diverser atonaler oder minimalistischer, teils grauenhafter Musik in Berührung gekommen bin, aber dennoch musikalische Experimente hier und da nicht uninteressant finde, bin ich ein großer Freund von musikalischen Strukturen. Strophe, Bridge, Refrain, ein modulierter A-Teil oder eine immer wiederkehrende Hook machen mich glücklich. Noch zudem spielt bei meinem subjektiven Gefallen die Stimme eines Sängers, einer Sängerin oder der Zusammenklang einer Gruppierung eine große, große Rolle. Was nur, wenn eine solche Struktur fehlt, es zumindest hier und da mal keinen erkennbaren Refrain gibt und die mir sonst so wichtige „Stimme“ maximal als wütende Kampfansage eines Stadionschreiers in Erscheinung tritt? Eben so wie es bei Touché Amoré der Fall ist?

Diese Fragen hatte ich mir gestellt, noch ehe ich den ersten Song des Albums „Just Exist“ angehört hatte. Und zugegeben, obwohl ich während der ersten Takte noch glaubte, einen recht guten Plattenkrach-Fang erwischt zu haben, da mir das schnelle Gitarren-Bass-Intro mit dem seichten Blast Beat gar nicht mal so schlecht gefiel, zuckte ich – als Sänger Jeremy Bolm unerwartet in die Tiefen meiner Ohrmuschel schrie – kurz zusammen und drückte instinktiv die Pause-Taste. Doch auch als ich mich traute, weiterzuhören, überkam mich ein genervter Schauder. Denn auch ohne dass der „Sänger“ seine Stimmhöhe signifikant veränderte, sondern nach meinem Empfinden einfach nur in einer Tour durchschrie, hatte ich das Gefühl, ein dreijähriges Mädchen zu sein, das von einem bösen Mann verbal verprügelt wurde.

Da ich vor lautem Geschrei kaum verstehen konnte, um welche Thematik es sich in dem Song handelte, googlete ich die Lyrics des Werks und wurde überrascht: “I was once asked how I’d like to be remembered / and I simply smiled (!!!) and said “I’d rather stay forever.” 

Wow. Damit hatte ich nicht gerechnet. Das war ja ganz nett. In meiner Vorstellung hörte ich gerade einen wuterfüllten Song, der an jeder Ecke mit Hass getränkt war – natürlich ohne jegliche, fröhliche Melodie und Höhe. Noch erstaunter war es für mich aber, als ich einen Artikel des wohl größten Online-Nachschlagewerks öffnete, in dem es hieß: „Auf Is Survived By sind die Texte positiver als auf den beiden vorherigen Alben der Band ausgefallen.“ POSITIVER? Das sollte also schon das höchste Maß der Gefühle sein? Ja, tatsächlich. Mir war mein Erstaunen im Gesicht abzulesen.

Dieses Gefühl zog sich auch beim Hören aller weiteren Songs des Albums wie ein roter Faden durch meine Gedanken. Denn obwohl mir die rein instrumentellen Parts des Albums, das mittlerweile vor gut sechs Jahren erschien, beim ersten (und einzigen) Hören wirklich durch die Bank ganz gut gefielen und mich vor allem die schnellen Drums und die verzerrten Gitarren erstaunlicherweise abholten, ist mir diese Form von „Musik“ als Gesamtwerk ein wahrer Dorn im Auge. Und dies ist definitiv der Gesangsebene von Touché Amoré geschuldet: Denn auch wenn das Screaming und Shouting in rockigen Genres wie Hardcore, Metal, Post-Punk, etc. dazugehört wie das Amen in der Kirche, vermisse ich – womit wir nun in der Gegenwart angekommen wären – auf dem gesamten Album Melodien, Clean Vocals und Harmonien sehr. Vielleicht ist auch das Fehlen dieser Elemente der Grund dafür, dass ich kaum einen Song länger als 10 Sekunden am Stück ertragen kann. Gerade bei Tracks wie „Praise / Love“, „Harbor“ oder „Non Fiction“ bilden sich lauter Fragezeichen vor meinen Augen, da sich mir partout nicht erschließen möchte, warum sich auch nur ein Mensch da draußen solch beruhigende instrumentellen Klänge gepaart mit dem wohl furchterregendsten, grauenvollen Choleriker-Geschrei freiwillig anhört. Masochismus der Ohrmuschel? Der Unterdrückte Drang, angeschrien zu werden? Wer weiß.

Alles in allem glaube ich aber, dass es sich hier um ein rein subjektives Empfinden über einen Musikstil handelt, der mir eben nicht sonderlich gefällt. Vermutlich gefällt mir Postcore mitsamt seinem wilden Rumgeschreie und seinen oftmals freieren Formen einfach nicht. Damit möchte ich Touché Amoré aber kein Unrecht tun. Denn die Spotify-Aufrufe ihrer Musik zeigen, dass es dort draußen genug Menschen gibt, die sich ihre Werke mit Freude (!) anhören. Aber nein, tut mir leid, lieber Jonas. Dazu gehöre ich leider nicht …

Das Album “Is Survived By” kannst du dir hier kaufen.*

Tickets für die kommende Tour mit Deafheaven gibt es hier.*

Mehr Plattenkrach: Hate it or love it – was für den einen ein lebensveränderndes Monumentalwerk ist, ist für die andere nur einen Stirnrunzler wert! Ein Album, zwei Autor*innen, ein Artikel, zwei Meinungen! Mehr Auseinandersetzungen findest du hier.

Und so hört sich das an:

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Touché Amoré live 2019 (mit Deafheaven):

20.09. – Wien, Arena (AU)
22.09. – Berlin, SO36 (ausverkauft)
25.09. – Hamburg, Markthalle
27.09. – Wiesbaden, Schlachthof
07.10. – Köln, Carlswerk Victoria
08.10. – München, Backstage Werk

Die Rechte für das Cover liegen bei Deathwish Inc.

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