Manchmal, da übersteigt der Wille der Kunst die Forderungen der Masse. Turnover sind ein Musterfall eines solchen Bewegungsdrangs, immer neue Freiräume suchend. Die Fortentwicklung der Band hinweg vom klimprigen Herzschmerz-Emo hin zum nachdenklichen Lounge erfreute jedoch nicht alle Ohren. Auch für „Myself In The Way“, das neue, fünfte Studioalbum der Oststaatler, gilt das wohl.
Doch erstmal ein wenig Kontext. Ganz so einfach ist das alles nämlich dann doch nicht. „Peripheral Vision“ nennt sich die zweite Turnover-Langspielplatte. Auch sie entsprach dem vertonten Drang nicht in den wohlbekannten Szeneposen verweilen zu wollen, mischte dem oft klassischen Sound des Debüts gleich mehrere Kellen Shoegaze bei. Das Unterfangen glückte: Die Platte schraubte sich über die Zeit zu einem Szenemeilenstein empor und brachte vielerlei Nachahmerbands hervor. Bis heute ist sie außerdem die zahlenmäßig erfolgreichste Veröffentlichung der Band. Ein solcher popkultureller Glücksgriff ist den vier Männern seitdem nicht mehr passiert – trotz ähnlich großer Ambitionen.
Den radikalsten Bruch mit dem Frühwerk setzte zwei Alben später der Viertling „Altogether“. Austin Getz, oft grimmig wirkender Kopf des Projektes, legte seine Gitarre dafür immer häufiger aus den Händen und setzte sich an das Rhodes-Piano. Das Ergebnis: Ein mollig-warmer Jacuzzi bis zum Rand voll mit Lounge. Und trotzdem: An den hochgesetzten Stellenwert der Vorgänger konnte das nicht ranreichen (unschuldig: Die Band; schuldig: Die Zuhörer*innenschaft). „Myself In The Way“ nun ist in seiner Intention nicht derart radikal. Näher an den Fanliebling „Peripheral Vision“ rücken Turnover jedoch auch nicht.
Als die Pandemie im Frühjahr 2020 losrollt, befinden sich Turnover gerade auf Tour in Europa. Die Band muss verfrüht in die USA zurückkehren, Getz – das legt die Presseinfo nahe – versucht sich von den Geschehnissen nicht aus der Fassung bringen zu lassen, meditiert viel, joggt und radelt durch die Weinberge nahe seiner kalifornischen Wahlheimat. Dem Album, das in den kommenden Monaten erst geschrieben, dann später gemeinsam mit Langzeitproduzent Will Yip aufgenommen wird, ist diese Gelassenheit anzumerken. „Myself In The Way“ nämlich ist in vielerlei Hinsicht ein Noch-Mehr von „Altogether“. Noch mehr Lounge. Noch mehr Jazz. Noch mehr innere Ruhe. Noch mehr Soundästhetik. Noch mehr Vibe. Noch mehr Entfernung zum Emo.
Und auch das Material passt sich an den Gemütszustand an, lässt sich häufig viel Zeit. Knapp vier Minuten laufen die Songs im Durchschnitt. Und auch sonst ist vieles mehr Strudel an Atmosphäre als markanter Hit. Herausstechend etwa ist „People That We Know“, ein kleiner Ausflug in die Disco-Ästhetik der 70er. Dort schließt später auch „Ain’t Love Heavy“ an, Anziehung ausübend vor allem dank des tollen Bre Morell-Features. Ebenfalls tief im Retro verwurzelt ist das Titelstück – passenderweise mit Gastbeitrag von Turnstiles Brendan Yates (auch der zieht seine kreative Kraft aus zurückliegenden Kulturepochen).
Wichtiger aber ist die Gesamterscheinung. Ist man einmal tief eingetaucht, im Strudel gefangen, lassen sich einzelne Stücke nämlich nur noch schwerlich voneinander trennen. Zu sehr fließt die Hörerfahrung, zu homogen ist die erschaffene Soundwelt. So manche mögen „Myself In The Way“ daher mehr als Begleitsoundtrack zum Aufbruch ins Traumland auffassen. Kunst aber – das ist selbstverständlich – muss und kann auch nicht allen gefallen.
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