Wincent Weiss – Irgendwo Ankommen

Puhh, wo fängt man bloß bei einem Album an, über dessen Vorgänger man Sätze wie „Super genial konzipiert, holt er den Hörer ab“ oder „schafft er den Sprung hin zu ehrlichen Singer-Songwriter Tracks, die unheimlich gut getextet und gleichzeitig harmonisch sind“ geschrieben hat. Vielleicht beim Wesentlichen: Wincent Weiss hat sein viertes Studioalbum „Irgendwo Ankommen“ veröffentlicht und das überzeugt so gar nicht. Leider!

Aber vielleicht einmal kurz zurückgespult: Im Juli 2015 belegte die von Wincent gesungene Coverversion von Elifs „Unter meiner Haut“ als Remix von den DJs Gestört aber Geil Platz sechs in den deutschen Singlecharts. In den Folgejahren erlangte der Sänger mit den Songs „Musik sein“ und „Feuerwerk“ den großen Durchbruch. 2017 erschien sein Debütalbum „Irgendwas gegen die Stille“. Zwei Jahre später veröffentlichte Wincent mit „Irgendwie anders“ sein zweites und bis dato persönlichstes Album. 2021 legte er mit „Vielleicht Irgendwann“ noch eine Schippe drauf und thematisierte unter anderem sensible Inhalte wie seine psychischen Probleme.

„Irgendwo Ankommen“ heißt nun also das neue Werk des Künstlers und ist mit knapp 30 Minuten Laufzeit auf 12 Tracks das bisher Kürzeste. Thematisch sind die traurigen, schweren Songs gewichen – denn Wincent ist „Irgendwo angekommen“ und macht das auf dem Langspieler nur allzu deutlich. Dabei ist der Einstieg des Albums mit dem gleichnamigen Song „Irgendwo ankommen“ eigentlich recht verheißungsvoll. Wincent greift damit die Thematik von vorherigen Songs auf und macht aus „Vielleicht irgendwann bin ich mal glücklich im Jetzt und Hier. Dann lauf‘ ich nicht mehr vor allem davon, was mich irgendwie halten kann und dann komm‘ ich an“ aus seinem letzten Album ein „Wollt immer irgendwo ankomm’n. Jetzt weiß ich auch wie’s ist, wenn da jemand wartet. Bei dem Bleiben für mich plötzlich normal wird. Ich bin angekomm’n bei dir und angekomm’n bei mir“. Gut funktioniert auch „Ja/Nein“, auf dem der Sänger abermals seine rockige Seite hervorholt. Textlich kann man hier zwar von keinem Meisterwerk sprechen („Denn immer, wenn ich Ja sag‘, aber Nein mein‘ Hörst du zu und liest zwischen den Zeil’n“), stilistisch hebt sich der Song aber dennoch deutlich ab.

Problematisch wird es spätestens mit dem dritten Song „Bleiben Wir“ oder auch wahlweise mit „Die Musik“ oder „Wunder geschehen“. Diese Worte zu tippen tut fast so weh, wie die etlichen „Oh-oh, oh-oh“s oder „Na-na-na“s, die sich auf den Songs des Albums tummeln. Aber leider klingen diese Tracks wahlweise nach Kinderliedern oder Schlagersongs. Es fehlt an Tiefgründigkeit, Emotionalität, die Texte wirken teils wie von Kindern erfunden und irgendwie wirft Wincent Weiss seine Glaubwürdigkeit damit vollkommen über Board. Spätestens nach der Hälfte des Albums hat der Sänger sehr deutlich gemacht, dass er nicht mehr alleine durchs Leben geht („Glaub mir, ich hab‘. Ich hab‘ schon so viele Wunder geseh’n. Doch das schönste davon bist du“), was natürlich sehr schön ist, aber einfach unfassbar cringe klingt. Egal ob es sich dabei um den Song „Halb so schön“ handelt („Weil’s ohne dich nur halb so schön ist. Ist alles ohne dich zu wenig. Denn alles, was ich mach‘, ist scheißegal. Ohne dich, ohne dich, ohne dich“) oder um das wirklich unfassbar schnulzige „Beigebracht zu lieben“ („Ohne dich wüsst ich nicht, wie sich richtiger Schmerz anfühlt“): Eine Liebeserklärung folgt der nächsten, die Dramatik steig mit jedem Song.

Ein wahrer Lichtblick des Albums ist das wunderschöne „Auf den Grund“, das genau da ansetzt, wo die Vorgängeralben aufgehört haben: mit reflektierten Lyrics, minimalistischen Sounds und ganz viel Gefühl. Hier kann der Sänger nicht nur sein ganzes Können präsentieren, sondern sorgt auch für einen richtigen Gänsehautmoment. Ähnlich gelingt ihm das bei „Allein bin“. Beide Songs sind sehr nahbar und reflektiert.

Vielleicht ist bei Wincent Weiss einfach die Luft raus. Der Sänger konnte in den vergangenen Jahren auf eine bemerkenswert steile Karriere zurückblicken und hat mit jedem Erfolg immer noch einen draufgelegt. „Irgendwo ankommen“ wirkt ein bisschen so, als hätte er selbst irgendwann keinen Bock mehr gehabt. Die Songs kommen teils so lieblos herüber, weil sie gerade textlich absolut nichtssagend sind. Darüber hinaus bewegt Wincent Weiss sich damit gefährlich in eine Schlager-Richtung, bei der jegliche Authentizität fast augenblicklich verloren geht. Schön, dass er wieder happy ist – den Songs hilft das aber leider nicht. Wo bei „Vielleicht Irgendwann“ und gerade bei „Irgendwie anders“ eine echte Ernsthaftigkeit zu erkennen war, gerade was die Singer-Songwriter Qualitäten des Sängers angeht, sucht man bei „Irgendwo ankommen“ teils vergeblich nach diesen Spuren. Dabei zeigt er mit Songs wie „Auf den Grund“ eigentlich, dass er es kann. Mit „Irgendwo ankommen“ schließt sich nun ein Kapitel und vielleicht heißt es für den Sänger wirklich erst einmal PAUSE („Kann endlich sagen, ich gönn mir mal eine Pause“).

Und so hört sich das an:

Website / FacebookTwitter / Instagram

* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert