Cats, Philharmonie Köln, 07.08.2025

cats philharmonie köln 2025

In dem Song „Gus – The Theatre Cat“ singt der gleichnamige Charakter folgende Zeilen: „Well the theatre is certainly not what it was, These modern productions, they’re all very well, But there’s nothing to equal from what I hear tell, That moment of mystery when I made history.“ Und tatsächlich könnte Andrew Lloyd Webber, der Komponist von Cats, heute dasselbe behaupten. In den 44 Jahren, seitdem es das Musical gibt, hat sich in der Gattung enorm viel getan. Besonders hinsichtlich Bühneneffekten und musikalischer Gestaltung ist 2025 ein ganz anderes Level erreicht als 1981. Und dennoch ist es weiterhin quasi unmöglich, sich dem Zauber des – und hier darf man die Bezeichnung allemal verwenden – Klassikers zu entziehen: Cats gastiert im laufenden August erstmalig in der Philharmonie Köln und lässt durch den schicken Konzertsaal etwas Magisches fliegen.

Das 36. Kölner Sommerfestival findet gerade seinen Abschluss. Jährlich gibt es mehrere abwechslungsreiche teils internationale Produktionen aus Show und Musical zu sehen, die sich in der Philharmonie vorstellen. Cats darf 2025 als letztes ran. Seit April zieht die aktuelle Tour durch deutschsprachige Länder. Zunächst wurden im vergangenen Jahr nur Düsseldorf – dort fand die Premiere statt – München, Frankfurt, Berlin und Zürich (CH) angekündigt. Wegen hoher Nachfrage wurde die Route aber noch um Linz (AT) und Köln erweitert. In der Domstadt hält man lediglich 12 Tage, hier muss man also schnell sein. Zuletzt spielte die Revue auf vier Pfoten übrigens 2017 in der Metropole. Damals im Musical Dome, wo gegenwärtig seit fast drei Jahren immer noch super erfolgreich „Moulin Rouge“ läuft.

Die Premiere am Donnerstagabend, dem 7.8., ist bis auf ein paar Plätze ausgebucht. Sowieso muss man nach Resttickets etwas genauer schauen – die Vorstellungen bis zum 16.8. laufen im Vorverkauf richtig gut. Mit einer Verspätung von fünf Minuten geht es um 20:05 Uhr los. Glücklicherweise gibt es, nachdem die ersten gesungenen Töne verklungen sind, kein Getuschel, warum die denn auf Englisch singen. Leider ist das nämlich bei nicht-deutschsprachigen Produktionen gehäuft zu beobachten. Heute scheint aber der Großteil beim Ticketkauf aufmerksam gewesen zu sein und nicht den Hinweis „Originalproduktion vom Londoner West End in englischer Sprache“ übersehen zu haben. Schön.

Stattdessen kann man sich zweimal 65 Minuten lang auf wohltuende Art und Weise wegträumen. Dank einer überragend guten Cast – ist eben West End, hier spielen nur die Besten – die sich perfekt in das fantasievolle Bühnenbild einfügt und durch einen vollmundigen Sound hervorragend zur Geltung kommt, entsteht beim Zuschauen schon nach wenigen Minuten ein cozy Feeling. Cats fühlt sich einfach gut an. Cats ist das, was Gus, der Theater-Kater singt: Oldschool, aber nicht nur aus nostalgischen Gründen toll, sondern weil es schlichtweg zeitlos ist und problemlos mit neuen Stücken mithält.

Es soll zwei Menschen da draußen geben, die die Handlung von Cats nicht kennen. Ok, ist ja Service hier: Auf einer Müllhalde in London feiern jährlich eine große Gruppe von Katzen den „Jellicle Ball“. Sie philosophieren darüber, wer sie eigentlich sind und stellen sich einzeln ihrem Oberhaupt Alt-Deuteronimus vor, der zum Ende der Nacht eine unter ihnen auswählt, die in den sphärischen Raum aufsteigt und dort ein würdiges, neues Leben erfährt.

Ja, das klingt ein bisschen spirituell und abgedreht. Mehr geschieht in den 130 Minuten auch nicht. Oft ein Grund, warum manche ihre erste Cats-Vorstellung enttäuscht verlassen – hinsichtlich Story ist das Musical schon ein Reinfall. Aber wer bestimmt eigentlich, dass Musicals immer eine Story erzählen müssen? Warum darf es nicht einfach um das berauschende Gefühl gehen, das entsteht, wenn man dem Treiben auf der Bühne folgt? Und falls das hier gerade jemand liest und wegen des völlig danebengegangenen Filmes aus 2019 genug von dem Ding hat, sollte auch diese Vorurteile bitte über Bord werfen.

Der Wow-Effekt entsteht nämlich in dieser wundervollen Inszenierung gleich unzählige Male. Eine Frechheit, dass Cats erstmalig in der Philharmonie in Köln spielt, ist die Location ein absoluter Volltreffer. Dank der ansteigenden Bestuhlung befindet sich die Bühne für die meisten im Saal tiefer, sodass man perfekt auf die Szenerie schauen kann und viel mehr Detailreichtum erkennt als beispielsweise im Düsseldorfer Capitol. Der druckvolle Klang des leider nicht ersichtlichen Orchesters – das hätte ruhig kurz zum Finale hochkommen dürfen – ist schön laut und wunderbar austariert. Aber auch das verzaubernde Licht, bei dem meterlange bunte Ketten über den Köpfen an der Decke hängen und rhythmisch aufleuchten, hat etwas von Damals. Wie ein Gartenfest im Sommer, bei dem es zu später Stunde bunt über einem blinkt. Auf der Bühne finden sich auch im Szenenbild viele lustige Details, die zum Schmunzeln einladen.

Doch das Highlight der Inszenierung ist die 22-köpfige Cast, die singt und tanzt, als ob die Show gerade aufgenommen und weltweit live übertragen wird. Das Niveau ist irrsinnig hoch – durchgehend. Keine einzige Person fällt durch wackelnde und unsaubere Töne auf, keine Choreografie wirkt halbherzig durchgeführt. Generell besticht Cats immer noch dadurch, dass kein einziges Musical, welches folgte, tänzerisch diese Qualität bietet. Immer noch sind die Choreos, die ein Konglomerat aus Modern Jazz und Ballett zeigen, State of the Art. In keinem Musical gibt es diesen Schwierigkeitsgrad – einfach, weil er von den allerwenigsten überhaupt bewältigt wird. Cats ist Leistungssport. Meistens ist man entweder Sänger*in oder Tänzer*in. Hier gibt es vielleicht ein oder zwei Rollen, die klar ihren Fokus auf Gesang legen und vielleicht nochmal ein oder zwei, die in erster Linie nur tanzen. Alle anderen müssen in beiden Kategorien ähnlich stark überzeugen.

Manche Sprünge sind so leichtfüßig, dass sie kaum hörbar sind. In einigen Momenten herrscht Stille im Saal, was immer ein enorm gutes Zeichen für Aufmerksamkeit und Begeisterung im Publikum ist. Kein Wunder, wenn Russell Dickson als Munkustrap durch den Abend führt und mit viel Präsenz immer für Staunen sorgt. Shem Omari James als Rum Tum Tugger wählt einen schicken Mittelweg aus campy Attitude und bestechender Coolness. Dass er mehr kann als sich nur gut bewegen, wird spätestens in seinem Solo „Mr. Mistoffelees“ deutlich, in dem er einige erschlagende High Notes singt. Und passend dazu: Selbstverständlich ist Samuel Bateson als Mistoffelees noch ein Quäntchen krasser im Tanzen als der Rest. Mehrfach werden Pirouetten am Stück in Turbogeschwindigkeit gedreht oder ein Rad in der Luft geschlagen, um direkt danach im Spagat zu landen. Jop, kann man machen. Krass.

Um Mistoffelees herum darf man tolle Pyroeffekte beobachten, die die Augen zum Funkeln bringen. Bei „Skimbleshanks – The Railway Cat“ wird eine fahrende Lokomotive auf die Bühne gezaubert, in „The Old Gumpie Cat“ und „Bustopher Jones“ erwarten einen herrlich schräge Kostüme. Sowieso ist es sehr löblich, dass das Kostüm sowie das Makeup nie einem unnötigen Revamp unterzogen wurden, sondern einfach so, wie sie sind, perfekt sind und perfekt bleiben.

Musikalisch ist es schwer, sich für einen Favoriten zu entscheiden. Die Quote an Hits mit Ohrwurmcharakter, die Andrew Lloyd Webber abschießt, ist seit eh und je dermaßen dicht, dass am Ende jede*r für sich selbst den Liebling auswählen muss. Kultige Duette wie „Mungojerry and Rumpleteazer“ sind genauso treffsicher wie das jazzige „Macavity“ – und dann ist da noch „Memory“, wahrscheinlich eines der fünf bekanntesten Musicalsongs ever. Also wirklich ever. Von allen Musicalsongs. Eines, das es aus dem Stück heraus in die Popkultur schaffte. Auf der einen Seite ist die melancholische Rolle der Grizabella ein Ritterschlag, gilt sie als eine der ikonischsten Figuren des Musiktheaters. Anderseits ist aber eben genau das das Problem. Die Zuschauer*innen stellen eine unglaublich hohe Erwartung an sie, wollen nicht weniger als eine makellose Darbietung von „Memory“, die dazu auch noch durch fragiles, berührendes Schauspiel untermalt wird. Lucy May Barker hat es alles andere als leicht. Der Aufbau bis zu ihrem „Touch Me“-Höhepunkt ist geebnet – und sie meistert ihn mit einem so intensiven Gänsehautmoment, dass der schallende Klang in der Philharmonie einen emotional fast schon erwürgt. Atemberaubend.

Cats ist auch 2025 wahrhaftig Fine Arts. Klassisch, gespickt mit herausstechenden Talenten im Überdruss, ein bisschen verrückt, sehr bewegend, gleichzeitig witzig und musikalisch wie tänzerisch Oberliga. Ein Meilenstein, den man einfach gesehen haben muss, weil er in einigen Facetten immer noch unerreicht bleibt. Die Kölner Philharmonie bietet dafür den richtigen Platz und die Produktion genau den richtigen Ton. Mögen Berlin und Zürich in den nächsten Wochen da noch irgendwie mithalten können.

Termine:
06.08.-17.08. Philharmonie, Köln
21.08.-07.09. Admiralspalast, Berlin
11.09.-21.09. Theater 11, Zürich (CH)

Und so sieht das aus [Produktion in Düsseldorf, Frühjahr 2025]:

Website / Facebook / Instagram / Threads / X

Foto von Christopher Filipecki

* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert