N Bisschen Frieden – Rock’n’Roll Summer, Theater am Marientor Duisburg, 23.10.2022

Selten traf ein Musicaltitel wohl so perfekt einen der größten gegenwärtigen Wünsche vieler Menschen: N Bisschen Frieden ist eben exakt das, was es 2022 doch braucht. Besonders in Deutschland fühlte man sich mehrere Jahrzehnte nicht mehr so nah dran am Geschehen eines Krieges. Da kommt ein Bühnenstück doch gerade recht, das dazu aufruft, Probleme mit Liebe statt mit Gewalt zu lösen.

N Bisschen Frieden ist dabei schon fast ein geflügeltes Wort und löst automatisch eine Melodie im Kopf aus. 1982, exakt vor 40 Jahren, gewann die noch 17-jährige Nicole Hohloch, besser bekannt unter ihrem schlichten Bühnennamen Nicole, als erste Deutsche den Eurovision Song Contest im britischen Harrogate. Einer Mittelstadt, die heutzutage gerade einmal gute 70.000 Einwohner*innen zählt. 26 Jahre nahm man bereits an dem größten Musikwettbewerb der Welt teil, erreichte schon fünfmal das Siegertreppchen, aber eben noch nie den ersten Platz.

Doch Nicole allein war nicht das Zünglein an der Waage. Komponist Ralph Siegel und Texter Bernd Meinunger mischten schon einige Zeit beim ESC mit, waren sowohl mit deutschen als auch mit internationalen Acts und ihren kreativen Melodien und Lyrics erfolgreich, nur der Sieg blieb vorerst noch aus. 1982 drehte sich mit „Ein bißchen Frieden“ – damals schrieb man’s noch mit Eszett – das Blatt, inspiriert von dem Falklandkrieg zwischen Argentinien und UK. Ganz passend fand in UK dann auch noch der Wettbewerb statt. Als letzte Teilnehmerin auf der Startnummer 18 ging Nicole für die Bundesrepublik Deutschland ins Rennen und siegte am Ende mit 61 Punkten Vorsprung. Ein damaliger Rekord.

Vier Dekaden später lassen Ralph Siegel sowohl das Lied als auch der Wettbewerb immer noch nicht los. Mit 25 Teilnahmen ist er unangefochten der Komponist mit den meisten Songs, die beim Eurovision antraten. Zuletzt war dies 2017 für San Marino der Fall. Mit seinem einzigen Sieg, „Ein bißchen Frieden“, hat er sich und auch unserer Nation ein Denkmal gesetzt und für ein historisches Ereignis gesorgt. Der Song, der auch nach 40 Jahren nichts an Aktualität verloren hat, steht nun Pate für Siegels viertes Musical und das zweite innerhalb von einem Jahr. Gab es letzten Oktober mit „Zeppelin“ eine Uraufführung in Neuschwanstein, folgt diesen Oktober in Duisburg die Uraufführung zu N Bisschen Frieden.

Ist die Weltpremiere am 20.10. noch mit namhafter Prominenz gefüllt, ist es nur drei Tage später an einem Sonntagnachmittag im Theater am Marientor schon ruhiger. Eine tolle Location, die zweifelsohne zu den schönsten Musicalorten des Bundeslandes zählt, und somit einem legendären Komponisten – der oft durch seinen großen Ehrgeiz ein wenig belächelt und nicht immer ganz ernst genommen wird, aber eben auch über 2000 Lieder komponiert hat – sehr gerecht wird. Umso ernüchternder, dass bereits bei der fünften regulären Vorstellung lediglich rund 60 Zuschauer*innen den Weg in den Saal finden.

N Bisschen Frieden – Rock’n’Roll Summer setzt sich zunächst aus ein paar Faktoren zusammen, die eigentlich dem Team perfekt in die Karten spielen: Der Song ist durch sein 40-jähriges Jubiläum sowie durch das Bühnencomeback von Nicole, die einige Zeit aufgrund ihrer Krebserkrankung nicht auftreten konnte, wieder in aller Munde. Erst vor wenigen Tagen sang die 58-jährige Künstlerin den Titel aus aktuellen Beweggründen auf Russisch. Thematisch dreht sich das Musical um eine Liebe zwischen zwei Ländern, nämlich der BRD und DDR, und bleibt damit ebenfalls politisch. Das löst bei Musicalfans unweigerlich gedankliche Verbindungen zu dem UdoLindenberg-Jukebox-Stück „Hinterm Horizont“ aus, das zwischen 2011 und 2016 in Berlin und daraufhin noch ein Jahr in Hamburg lief. Und ganz nebenbei – ob das wohl so Zufall ist – ist seit einem Jahr in Berlin das sehr erfolgreiche „Ku’damm 56“ zu sehen, das Anfang Oktober die wichtigsten deutschen Preise im Musicalbereich einsacken konnte, ebenfalls Rock’n’Roll-Musik in den Fokus rückt und auch eine Geschichte von unterschiedlichen Frauen aus mehreren Generationen erzählt.

Heißt konkret: Irgendwie ist man schon ganz gut im Thema und hat bereits einige Assoziationen im Kopf, wenn sich bei N Bisschen Frieden der Vorhang hochzieht. Das macht einerseits den Zugang einfacher, andererseits wachsen aber automatisch auch die Erwartungen. Genau da liegt das Problem. 200 Minuten später – der erste Akt dauert gute 90 Minuten, der zweite 80 Minuten, dazwischen gibt es eine halbstündige Pause – bleibt vor allen Dingen der Eindruck hängen, dass eigentlich kein einziges Merkmal sich hervorhebt, die Innovation ausbleibt und qualitativ alles maximal im Mittelfeld verharrt.

Zur Story: Richard und Elisabeth lernen sich Ende der 60er Jahre kennen. Sie kommt aus West-Berlin, ist jedoch auf Besuch in der DDR. Beide verfallen einander und wünschen sich sehnlichst die Wiedervereinigung Deutschlands herbei. Sowohl für sich als auch für die Nation. Das wird Richard zum Verhängnis, sodass die Stasi seine angepeilte Karriere als Musiker behindert. Beide verlieren sich aus den Augen. Heute möchte die 70 Jahre junge Oma Elisabeth mit ihrer Enkelin Nina noch einmal den Versuch wagen, Richard wiederzufinden. Gleichzeitig möchte Nina als Musikerin durchstarten und versucht an einer renommierten Musikschule in England zu landen.

Das ist jetzt nicht revolutionär, aber zumindest solide. Leider wird die Geschichte in N Bisschen Frieden nur nicht solide genug erzählt. Lässt man sich im ersten Akt in 90 Minuten ordentlich Zeit zur Charaktereinführung, werden im zweiten Akt viele Stationen nur mal schnell abgehakt. Kommt es zum finalen Showdown, wird es gar ein wenig hanebüchen. Die Situationskomik ist nicht immer gut getimt, sodass manche Witze nicht richtig zünden. Doch Storylines sind in Musical meist das, worüber noch am besten hinweggesehen werden kann.

Enttäuschender wird es hingegen, wenn das Bühnenbild nur aus einigen einfachen Requisiten und zwei Leinwänden besteht, auf denen Videos projiziert werden. Auch im Kostüm bietet das neue Musical in Duisburg nur Durchschnitt. Auf Seiten der Darsteller*innen ist dies ebenfalls kaum besser zu bewerten. Zwar gibt es kaum Totalausfälle, aber eben genauso wenige Performances, die sich hervorheben. Einen guten Job machen Sonia Farke als sympathische, quirlige Oma Elisabeth. Sie trumpft sowohl gesanglich als auch schauspielerisch am meisten auf. Jennifer Siemann als Nina ist stimmig besetzt, entspricht nicht dem typischen Musicaldarstellerinnenbild und macht besonders in den vielen gemeinsamen Szenen mit Farke eine angenehme Figur. Gesanglich liefert Michael Thurner die beste Leistung der Vorführung. Er sorgt als Tom als einziger für einige emotional treffende Darbietungen.

Auf der anderen Seite hört man von anderen Darsteller*innen in manchen Momenten einige Töne, die nicht wirklich mittig sind. Choreographisch ist N Bisschen Frieden ok, aber nicht auffallend. Dafür gibt es zu wenige Tanzszenen. Die, die es gibt, sind allerdings besonders in den Szenen an der Musikschule nicht synchron. Schade.

Das größte Manko ist jedoch die Technik, und das ist wirklich ärgerlich. Unzählige Male werden Mikrofone zu spät eingeschlatet. Mehrfach wird gegen Mikrofone geschlagen, weswegen laute, unangenehme Sounds durch die Boxen schallen. Bei Oma Elisabeth fällt in einer Szene sogar für mehrere Minuten das Headset aus, sodass sie plötzlich ein normales Mikrofon in Händen hält, um überhaupt gehört werden zu können. Auf der Leinwand fängt einmal ein Einspielfilm zu spät an, wodurch der Dialog zwischen den Charakteren nicht zu den Bildern passt. Die LED-Leinwand hat Fehler, was dazu führt, dass ein Teil des Bildschirms flackert. Mehrere Projizierungen wirken unscharf. Einmal sind Kompars*innen nicht rechtzeitig an Ort und Stelle und müssen sich noch verteilen. Mehrfach sind Umbauarbeiten zu hören, währenddessen vorne vor heruntergezogenem Vorhang gespielt wird. Das sind alles Dinge, die absolut gar nicht gehen und die Produktion semiprofessionell erscheinen lassen.

Zum Glück ist jedoch der beste Aspekt an N Bisschen Frieden die Musik. Da schließlich die Kompositionen von Ralph Siegel im Mittelpunkt stehen sollen, ist es schön, dass immerhin beim Sound der Band und auch bei den eingängigen Songs angemessen gearbeitet wurde. Auch wenn einige Titel ein wenig schlager-esque und old-fashioned wirken, sind viele schöne Melodien zu hören. Eurovision-Hardcore-Fans dürfen wild drauf los raten, aus welchem Jahr und welchem Land wohl der nächste Titel sein könnte. Statt einfach nur Hits abzuliefern, sind nämlich viele Lieder verwendet worden, die nur Insider*innen kennen können oder noch gar nicht veröffentlicht wurden. Ein „Lass die Sonne in dein Herz“ (Wind), ein „Dschingis Khan“ (Dschingis Khan) oder ein „Fiesta Mexicana“ (Rex Gildo) sucht man vergeblich, was aber nicht negativ zu bewerten ist. Wiederum eine Fehlentscheidung: Der Song, nachdem das Stück benannt wurde, wird zweimal im Stück angeteasert und zum Ende komplett gesungen, dann jedoch auf Englisch. Zwar im Storykontext verständlich, aber dennoch sehr schade, wäre das doch für das Publikum ein guter Moment zum Mitsingen geworden. Vielleicht ist es nachträglich noch eine gute Idee, eine deutschsprachige Zugabe einzubauen? Chancen dafür gäbe es noch bis Silvester, wenn das Stück seine Dernière feiern soll.

Man hörte bereits, dass die Inszenierung unter hohem Zeitdruck entstanden sei und nur wenig Zeit blieb. Das fällt auf. Auf Zeugnissen nennt man das oft „war stets bemüht“. N Bisschen Frieden – Rock’n’Roll Summer gibt sich Mühe, wirkt aber in der fünften Aufführung wie eine der letzten Proben, über die man im Nachhinein nochmal mit dem Team intensiv spricht, weil hier und da noch einiges verbessert werden muss. Gerade die technischen Fehler sind für eine Musicalinszenierung in einem hochkarätigen Theater ein No Go. Ansonsten ist alles einfach sehr mittelmäßig. Okaye Story, okaye Darsteller*innen, okayes Bühnenbild, wenigstens Musik. Das ist insgesamt aber ein bisschen zu wenig und für ein Musical, das die Möglichkeiten von dem kultigen Ralph Siegel aufzeigen soll, auch keine wirklich gebührende Würdigung. Dass von den Zuschauer*innen so gut wie niemand beim Schlussapplaus aufsteht, unterstreicht den Eindruck.

Und so sieht es hinter den Kulissen aus:

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Bild von Christopher.

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