Titanic – The Musical, Philharmonie Köln, 23.07.2019

1998 wurde die Kinowelt verändert. Mit Titanic kam ein Film auf die Leinwände, der in vielerlei Hinsicht Rekorde brach. Bis heute ist er derjenige, mit den meisten Oscarnominierungen und den meisten Gewinnen neben Ben Hur und Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs. Außerdem hält er sich immer noch nach Das Dschungelbuch auf Platz 2 der meisten Kinobesucher und erreicht ebenfalls Platz 2 bei den teuersten Filmen. Nur Avatar – Aufbruch nach Pandora konnte diese Zahl knacken – ironischerweise ebenfalls mit James Cameron als Regisseur. Doch trotz blauer Männchen riss der Kult um das sinkende Schiff nicht ab. Obwohl Avatar den Rekord brach, bleibt Titanic bis heute ein absolutes Must Seen. Die Story hatte wesentlich mehr emotionale Tiefe, was nicht zuletzt daran lag, dass sich zumindest zum Großteil an einer wahren Geschichte gehalten wurde.

Diese Geschichte fand bereits 1912 ihren ersten tragischen Höhepunkt, als die RMS Titanic nach nicht einmal zwei Wochen sank. Sie galt als unverwüstlich und gleichzeitig als das luxuriöseste und größte Schiff aller Zeiten. Bis heute ist das Faszinosum um das Objekt, das an ein Weltwunder erinnern sollte, nicht abgerissen. Es sollte den Traum von großen Karrieren verwirklichen und führte für über Zweidrittel der Passagiere zum Tod. Eine Geschichte, die nachhallt und einen festen Bestandteil in der Popkultur innehat. Nicht mal ein ganzes Jahr vor dem Bombasterfolg mit Leonardo di Caprio und Kate Winslet nahm man sich am Broadway die Materie vor und schrieb ein Musical. Titanic – The Musical lief im April 1997 in New York an und gewann direkt fünf Tony Awards. Leider sollte der Film dem Stück dann doch gewaltig den Rang ablaufen, insbesondere wegen der hervorragend komponierten Musik, die selbstverständlich auch alles einsackte, was irgendwie möglich war.

22 Jahre nach der Uraufführung holen BB Promotion das Stück auf deutsche Bühnen zurück – unter anderem eine Woche nach Köln. Die Premiere läuft am 23.07., einem Dienstag und ist zwar nicht ausverkauft, aber dennoch ordentlich gefüllt. Die Philharmonie ist genau der passende Ort dafür. Die runde Konzerthalle lässt alles wunderbar überblicken, spendet bequeme Sitze, viel Beinfreiheit und ab dem ersten Ton einen perfekten Sound. So muss das sein. BB Promotion hört weiterhin auf die Wünsche der Fans und lässt Titanic im englischen Original mit deutschen Übertiteln aufführen – mit der Neuinszenierung aus London. Viel hochkarätiger geht es nicht.

Und trotzdem bleiben am Ende der ersten Aufführung gemischte Eindrücke zurück. Da das Stück vor dem Film entstanden ist, gibt es selbstverständlich kein „My Heart Will Go On“ oder andere bekannte Titel aus dem Streifen. Das sollte jedem Zuschauer klar sein – auch wenn es das höchstwahrscheinlich nicht ist. Leider bleibt gerade auf kompositorischer Ebene das Stück etwas auf der Strecke. Vielen Songs fehlt es an Besonderheit und Pfiff. Man hält sich konsequent im moderaten Tempo auf und sorgt nicht für wirkliche melodische Highlights. Für ein Musical nicht die beste Voraussetzung.

Was dafür ganz vorzüglich funktioniert, ist eigentlich alles, was auf der Bühne zu sehen ist oder von den Darstellern passiert. Das Setting ist zwar nur minimal veränderbar – es zeigt einen Teil des Hecks mit der Reling und die Etage darunter, die multifunktional funktioniert – trotzdem herrscht durchweg Atmosphäre. Die Requisite setzt genau die passenden Akzente, sodass zu jeder Sekunde klar ist, wo gerade die Szenerie stattfindet – ob draußen an Deck, im Restaurant, in der 1., 2. oder 3. Klasse, bei den Arbeitern oder den Betuchten. Auch das Kostüm wirkt dem Jahrzehnt entsprechend stilecht und kommt stets schick daher. Die Cast, die zum Teil für ein Musical doch ungewöhnlich alt ist, spielt und singt makellos. Hier sind Profis am Werk, die alle genau wissen, was zu tun ist und stets ansprechend agieren.

Das dickste Problem stellt viel mehr der viel zu dünne Plot dar. Wer denkt, dass ähnlich wie beim Film eine Liebesgeschichte präsentiert wird, irrt. Stattdessen verfolgt man das Treiben der Passagiere in unterschiedlichen Szenen. Jeder darf sich einmal vorstellen; die Reichen speisen, die Armen malochen. Zwischen den Rollen gibt es bis auf die Pärchen wenig Interaktion und nahezu gar keine Entwicklung. Es wird berichtet, warum man da ist, was man sich von dem Leben nach der Schiffsfahrt erhofft und das war’s. Gerade die mit 80 Minuten gezogene erste Hälfte lässt ordentliche Längen durch. Der erste Akt endet mit dem Eisbergcrash – bis dahin ist es eher eine Aneinanderreihung von Spielszenen ohne viel Tiefgang.

Doch pünktlich zum dramatischen Höhepunkt nimmt das Stück dann doch an Energie auf. Zwar ist der Zenit schon ein paar Zentimeter überschritten, aber sowohl die letzten zehn Minuten als auch der komplette zweite Akt heben das Musical dann doch ins Mittelmaß. Gerade in der Atmosphäre gelingt es der Inszenierung trotz überschaulichen Mitteln wirklich gut Spannung aufzubauen. Der Zusammenknall entwickelt sich spürbar und lässt auch die Zuschauer erschaudern, ohne den Eisberg zu sehen. Es wird mit Lichtausfällen und passenden Klangeffekten gearbeitet.

Die zweite Hälfte ist mit 50 Minuten hingegen äußerst knackig geraten. Hat man sich in der ersten Hälfte entschieden zu viel Zeit gelassen, wird nun Zack auf Zack geliefert. Gerade das Katz und Maus-Spiel zwischen den führenden Personen auf dem Schiff zeigt, dass hier probiert wird jedem etwas in die Schuhe zu schieben und etwas zu retten, was nicht mehr zu retten geht. Das Verhalten der Passagiere geht in die unterschiedlichsten Richtungen und selbst das Abseilen in den Rettungsbooten ist stimmig inszeniert. Zum Finale setzt das Stück dann doch drei hervorstechende Momente, die hier nur kurz Erwähnung finden sollten, ohne zu viel zu verraten: das Setting ist anscheinend doch beweglicher, als zunächst gedacht; ein älteres Ehepaar sorgt für Gänsehautmomente und feuchte Augen; ein Epilog kommt nicht überflüssig, sondern genau richtig.

So steht es letztendlich auf der Haben- und Wollen-Seite ungefähr 50:50. Tolle Darsteller, schöne Location, gutes Bühnenbild, passender Klang gegen relativ schwache Musik und Langeweile im Storytelling, wenn auch nicht durchgängig. Wer also ein Musical sehen mag, das nicht so häufig in Deutschland in der Qualität aufgeführt wird und sich nicht zu doll auf den Film versteift, kann bis Sonntag noch eine Reise nach Köln antreten – ein Muss ist es aber nicht.

Und so sieht das aus:

Weitere Infos gibt es hier.

Die Rechte fürs Bild liegen bei BB Promotion.

* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.