Liebe minutenmusik-Leser, heute in unserer kleinen, gemütlichen Runde ein wenig Aufklärung. Lest, lernt und staunt, wenn ihr schon immer einmal wissen wolltet, wie man einen Fiat Punto erfolgreich als Porsche Cayenne verkauft. Devil’s Exorcist – The Horror Experience hat genau das äußerst raffiniert hinbekommen. Aber wie, ist hier die Frage. Das liegt in erster Linie daran, dass bisher niemand den Fiat Punto zu Gesicht bekommen hat, aber in seinem Kopf eben etwas Wunderbargroßes entstehen lässt. So verhält es sich leider immer mit komplett neuen Shows, bei denen man vorab keine Ausschnitte auf YouTube sehen oder auf die Meinungen von Presse und Freunden hören kann.
Dabei klingt das Konzept zunächst nach einer gefundenen Marktlücke. Genau eine Woche vor Halloween startet eine Livehorrorshow, die insgesamt zehn deutsche Städte an zehn Tagen ansteuert. Viel zu selten kommen Gruselshows in Deutschland auf die Bühne, weil es sich um eine Sparte handelt, die nicht die großen Massen, aber Genrefans anzieht. Das scheint auch Devil’s Exorcist zu wissen. Im Marketing der Veranstaltung wurden definitiv die Hausaufgaben gemacht. Worte wie „spektakulär“, „zum ersten Mal“ und „innovativ“ werden gebraucht. Es wird eine Warnung und eine Altersempfehlung ab 18 ausgesprochen. Man nennt es eine Mischung aus Show, Horrorfilm und Escape-Room-Event. Das Alles 90 Minuten lang ohne Pause. Besonders effektiv: für psychische und/oder physische Schäden würden keine Gewähr und Verantwortung übernommen werden. Und zack, läuft dem Leser eine Gänsehaut über den Rücken. Die einen sind abgeschreckt, die anderen legen Tickets für bis zu 60€ in den Warenkorb.
Ungefähr eine halbe Stunde vor Showbeginn ist die Stadthalle in der WELTmetropole Wattenscheid in Bochum dann auch für die WELTpremiere bereit. Naja, eine halbe Premiere. Die offizielle Uraufführung ist erst einen Tag später in Bonn, in Bochum gibt es quasi die finale Generalprobe vor Publikum – eine Preview, um zu testen, ob alles klappt. Schaut man sich im Eingangsbereich des zweietagigen Forums des Gebäudes um, fallen zwei Dinge auf: einige Leute tragen Horrorfanshirts, viele blicken etwas nervös umher und sind gespannt, was sie erwartet. Verirrt hat sich hier keiner. Das andere Detail, das optisch ins Auge springt, ist die Werbung für die im nächsten Jahr stattfindende WELTpremiere der neuen Show „Zombie Inferno“. Der Ticketverkauf hat also funktioniert. Bewegt man sich anschließend nach oben zum Saaleingang, kommt man das erste Mal mit dem Showinhalt in Berührung: es gibt eine große Schüssel voller Weihwasser, gebettet auf einem schwarzen Samttuch. Auf seinem Sitzplatz findet man einen Zettel mit Hinweisen vor, dass zu jeder Zeit Sanitäter vor Ort wären und Personen mit ernsten gesundheitlichen Einschränkungen noch vor dem Beginn ihr Ticket gegen Geld zurückgeben können. Man solle nur bitte Bescheid geben, es werde eine Lösung gefunden. Wie gesagt: Marketing können die hier.
Tatsächlich liegt dank des Tamtams ein wohliger Schauer in der Luft. Wer bereits Veranstaltungen von Bring it on Stage gesehen hat, hätte eigentlich im Vorfeld wissen können, dass die Ausstattung überschaubar bleibt. Im letzten Jahr gelang mit dem Musical „Hedwig and the Angry Inch“ eine absolut erstklassige Inszenierung, die allein durch den sensationellen Hauptdarsteller und der druckvollen Musik gelang und somit das spärliche Bühnenbild nicht auffiel. Anfang des Jahres 2019 sah das mit dem Musical „American Idiot“ schon nur noch ein Drittel so gut aus. Beide Stücke fielen nicht durch ihre Requisite auf. Warum sollte also bei Devil’s Exorcist auf einmal voll aufgefahren werden!? Und genau so ist dann auch der erste Eindruck, wenn man auf die Bühne schaut: ein großes Kreuz, ein Bett, ein paar Stühle, ein Tisch, eine vielleicht 5qm große Leinwand und abgedeckte Trennwände im Hintergrund. Dazu Nebel, schaurige Soundeffekte und zumindest geheimnisvolle, morbide Clips, die projiziert werden. Der restliche Saal, indem sich geschätzt 300 Leute befinden, bleibt ohne Deko. Man fragt sich, wie so eine große Masse an Leuten nun eingebunden werden soll und wie bis in die letzte Reihe gruselige Atmosphäre entstehen wird. Die Antwort lautet: gar nicht.
Auf der Bühne platzieren sich scheinbare Sanitäter und eine Therapeutin. Relativ pünktlich um 19:30 läuft Pater Paolo Cerni durch den Raum, sichtlich aufgebracht und fängt ein kurzes Handgemenge mit einem angeblichen Zuschauer aus der ersten Reihe an, der sich als Mitglied der katholischen Kirche entpuppt. Die undurchsichtige Wand zwischen Bühne und Publikum soll also schon vorab gebrochen werden. Kurz danach bricht eine ebenfalls vermeintliche Zuschauerin beim Laufen durch den Gang zusammen – warum auch immer – und wird von den Sanitätern abgeführt. Und dann kann es endlich losgehen. Theoretisch.
Der Pater begrüßt das Publikum und erklärt die Situation. Es wird darum gebeten, ruhig und auf den Sitzen zu bleiben, keine Fotos oder Videos zu machen und bei einer Notfallsituation die anwesende Feuerwehr zu kontaktieren. Gerade das mit dem Sitzenbleiben wird in der nächsten Stunde x-mal wiederholt. In manchen Momenten fragt man sich als Zuschauer wirklich, was alles Schlimmes auf einen zukommen wird. Die Erwartungshaltung steigt also kontinuierlich. Außerdem gibt es nun das Problem, ob man als Autor dieses Textes die Show spoilern sollte oder nicht.
Wobei… inhaltlich ist eigentlich gar nicht so viel zu spoilern. Nach einer halben Stunde Vorgeplänkel zwischen Pater und Therapeutin, die unterschiedliche Videos von der zu exorzierenden Person zeigen, beginnt dann mal der Hauptakt. Gerade der Einstieg nimmt zu viel Zeit in Anspruch und dauert entschieden zu lang. Plötzlich fällt das Licht aus. Anschließend betritt die Hauptdarstellerin den Raum, bleibt einige Sekunden regungslos in den Reihen stehen, um daraufhin ruckartig die neben ihr sitzende Person zu erschrecken. Das lässt das Opfer und die daneben sitzenden Personen auch wirklich zusammenzucken – alle restlichen im Raum kriegen es nur geringfügig mit. Was daraufhin auf der Bühne passiert, ist sowohl im dialogischen Bereich als auch in der Vorgehensweise ähnlich in dem Meisterwerk „Der Exorzist“ zu sehen, nur hier halt in abgespeckter Form und ohne neuen Input.
Mehrmals nehmen angeblich zu spät-kommende Zuschauer Plätze ein, um dann Minuten später zu kollabieren und teilweise mit Hilfe von echten Zuschauern abtransportiert zu werden. Das mag beim ersten Mal noch eine nette Idee sein, beim dritten Mal nervt es nur noch. Ein Schocker hingegen sitzt gewaltig: ein Schauspieler ist anscheinend dafür da, mit einer Knarre durch die Reihen zu laufen, diese zunächst direkt auf die Stirn eines Zuschauers zu richten und anschließend sich selbst zu erschießen. Das ist also die angekündigte Publikumsintegration. Zwei oder drei Leute werden primitiv erschreckt, genauso viele zum Abtransport oder zum Halten einer Infusionsflasche genutzt und einer darf herausfinden, wie es ist, eine Pistole am Kopf zu spüren. Das ist also Edge und Mut? Bravo. Try again.
Eine absolute Vollpleite ist Devil’s Exorcist nicht. Tatsächlich ist aufseiten der Schauspieler, insbesondere der Hauptdarsteller, vieles angemessen und gut gespielt. Die Licht- und Soundeffekte sind auch akzeptabel, wenn nicht besonders herausragend. Alles andere ist hingegen wenig gelungen. Der Sound ist schlecht abgemischt, sodass mehrere Gesprächsparts unverständlich bleiben. Das Skript ist sogar ein Totalausfall. Lässt man die schauspielerische Leistung außenvor, handelt es sich hier um nicht mehr, als eine gehobene Schulaufführung – nur eben für 60€ Eintrittsgeld. Zum Ende probiert die nicht vorhandene Story, die zwischendrin wirklich zu langweilen weiß, unabsichtliches Gelächter hervorruft und ca. zehn Zuschauer zum vorzeitigen Verlassen des Stücks animiert, mit einem banalen Twist nochmal an Fahrt aufzunehmen, wirkt aber so dämlich, dass spätestens hier die letzte Hoffnung auf finale Highlights stirbt. Dabei haben sich die Macher für den Abgang noch ein besonderes Schmankerl überlegt: zwei Polizisten, die nach ungefähr 70 Minuten ins Geschehen eindringen, das Passierte aufklären müssen und deswegen sämtliche Zuschauer herauswerfen.
Einige Aufforderungen später geht dieses auch. Das Publikum lässt sich post Erlebnis in drei Sparten einteilen: Gruppe 1, die denkt, es wäre Pause; Gruppe 2, die darauf hofft, dass das Stück vor dem Saal oder unten im Foyer weitergeht; Gruppe 3, die kopfschüttelnd, wütend oder enttäuscht die Stadthalle verlässt. Gruppe 1 und 2 finden schnell heraus, dass sie beide nicht das bekommen werden, was sie sich gerade erhoffen.
Fazit: Devil’s Exorcist schafft es durch eine aufwendige Promo in Form von Homepage und Social Media wirklich Heißhunger hervorzurufen, mehrere der geplanten Vorführungen trotz wenig Vorahnung auszuverkaufen und wenig bis nichts zu liefern. Ja, es handelt sich um eine Show, strenggenommen aber um ein klassisches Theaterstück, bei dem hin und wieder kleine Momente im Publikum passieren, was jedoch absolut nichts besonderes ist. Qualitativ würde es die Show in kein städtisches Theater schaffen. Gruselig? Minimal. Die Schauspieler können einem ein wenig leidtun, da sie neben der Marketingabteilung als einzige hier wirklich arbeiten. Horrorfilmelemente sind vertreten, allerdings auf einer viel zu kleinen Leinwand, sodass ab der Mitte im Raum wenig zu erkennen ist. Mit einem Escape Room hat die Show genau 0,0% gemeinsam, da man weder rätseln muss noch etwas findet oder gar irgendwie zu fliehen hat. Diese Ankündigung und die ebenfalls nicht stimmenden 90 Minuten Länge sind somit irreführend. Es gibt wenig gute Events zur Halloweenzeit in Deutschland – aber das Geld, das man hierfür ausgeben soll, kann man besser investieren. Publikumsreaktionen in den sozialen Netzwerken sprechen für sich. Die eingestellte Kommentarfunktion auf der Homepage des Stücks apropos auch.
Und so sieht das aus:
Die Bildrechte liegen bei BRING IT ON STAGE.
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